[581] Solmisation, eine Jahrhunderte hindurch neben der Theorie der Kirchentöne unabhängig bestehende und dieselbe ergänzende Methode, die Bedeutung der Stufen der Grundskala für die Logik der Melodie zu lehren, nämlich mittels der sechs Silben ut, re, mi, fa, sol, la, angeblich nach den Anfangssilben eines Johanneshymnus: ut queant laxis resonare fibris mira gestorum famuli tuorum, solve polluti labii reatum, sancte Ioannes, den wenigstens schon Guido von Arezzo (1026) zur Verdeutlichung des Unterschiedes der Ganztöne und Halbtöne der Skala beim Unterricht verwendete. Je nachdem man diese sechs[581] Stufennamen beginnend von C (Cantus naturalis) oder F (Cantus mollis) oder G (Cantus durus) den Tönen beilegte (s. Beispiel), hatten die Stufen der Skala andre Namen und andern Sinn.
Die noch im 18. Jahrh. üblichen zwei- und dreisilbigen Tonnamen C solfaut, A la mi re etc. erhielten den Musikern jederzeit die möglichen Umdeutungen (Mutationen) innerhalb der drei Hexachorde im Gedächtnis. Zur bequemen Demonstration der S. bediente man sich der sogen. Harmonischen Hand (s. d.). Weitere Transpositionen (z. B. ut = D oder = B) unterschied man als Musica ficta von diesen drei Formen. In Deutschland ist die S. nie sehr beliebt gewesen; dagegen verdrängten in Italien und Frankreich die Solmisationsnamen gänzlich die Buchstabennamen der Töne. Für das moderne System der transponierten Tonarten wurde die S. unbrauchbar und man sing daher schon im 16. Jahrh. an, den einfachen Silben ut, re, mi, fa, sol, la ein für allemal feststehende Bedeutung zu geben, um sie durch ♯ und ♭ beliebig verändern zu können; dabei bemerkte man, daß ein Ton (unser H) gar keinen Namen hatte; indem man nun auch diesem Ton einen Namen gab, versetzte man der S. den Todesstoß. Um 1550 soll Hubert Waelrant, ein belgischer Tonsetzer, die sogen. belgische S. mit den sieben Silben: bo, ce, di, ga, lo, ma, ni (Bocedisation) vorgeschlagen und eingeführt haben, während um dieselbe Zeit der bayrische Hofmusikus Anselm von Flandern für H den Namen si, für B aber bo wählte (beide galten nach alter Anschauung für Stammtöne). Ericius Puteanus stellte in seiner »Modulata Pallas« (1599) bi für H auf, Adriano Banchieri in der »Cartella musicale« (1610) dagegen ba und Pedro d'Urenna, ein spanischer Mönch um 1620, ni. Ganz andre Silben wünschte Daniel Hitzler (1628): la, be, ce, de, me, fe, ge (Bebisation), unserm A, B, C, D, E, F, G entsprechend, und noch Graun (1750) glaubte mit dem Vorschlag von da, me, ni, po, tu, la, be etwas Nützliches zu tun (Damenisation). Von allen diesen Vorschlägen, die man mit dem gemeinsamen Namen Bobisationen zusammenzufassen pflegt, gelangte schließlich nur der zu allgemeiner Geltung, die Silbe si für H zu setzen, die wie die übrigen Solmisationssilben dem erwähnten Johanneshymnus entnommen ist (die Anfangsbuchstaben der beiden Schlußworte: Sancte Ioannes).