Stiergefechte

[31] Stiergefechte (CorridasRennen«] oder FiestasFeste«] de Toros), Kämpfe von Menschen zu Fuß und zu Pferd mit Stieren, schon den Griechen und Römern bekannt, heute aber eine spezifisch spanische Volksbelustigung, die auch in den spanischen Kolonien (nur schwach in Portugal) sich erhalten hat und neuerlich im Süden Frankreichs Ausbreitung fand. Als ritterliches Vergnügen, ähnlich dem Turnier und den Eberhetzen, waren sie nachweislich schon im Anfang des 12. Jahrh. in Spanien üblich, wie denn auch der Cid Campeador als glänzender Stierfechter gerühmt wird, und unter Philipp IV. erreichten die S. den Höhepunkt ihres Glanzes. Erst Philipp V. trat, wenn auch ohne Erfolg, als offener Gegner der S. auf, die von nun an gewerbsmäßig von bezahlten Stierkämpfern (Toreadores, Toreros) betrieben wurden, die heute in ganz Spanien der Gegenstand allgemeinster Popularität und der übertriebensten Huldigungen sowohl innerhalb als außerhalb der Arena sind. Fast jede irgend bedeutende Stadt hat ihre in Form eines Amphitheaters errichtete Plaza de Toros. Die größten finden sich in Sevilla (20,000 Plätze), Valencia (16,000) und Madrid (14,000). Man kann 200 S. jährlich in Spanien annehmen. Das moderne Stiergefecht besteht aus drei Akten, in denen die vier Gruppen der pomphaft aufgeputzten, zöpschentragenden, meist direkt aus einer feierlichen Stierfechtermesse kommenden Cuadrilla (alle Toreros, die irgendwie am Gefecht teilnehmen) nacheinander ihre Geschicklichkeit entfalten. Die Picadores (Lanzenreiter) auf elenden Kleppern reizen zunächst den auf den Kampfplatz gelassenen Stier durch Lanzenstiche in den Nacken; seine Wut wird gesteigert durch die Banderilleros, die zu Fuß dem Stier mit Widerhaken versehene aufgeputzte Stäbe (Banderillas, Fähnlein) ins Fleisch stoßen. Die Chulos (auch Capeadores, von Capa, »Mantel«, genannt) lenken durch geschicktes Schwingen roter Mäntel die Aufmerksamkeit des Stieres von seinen Verfolgern, sobald diese in Gefahr schweben, ab. Die Hauptperson aber ist der Espada (Degen), der dem Stiere mit der blanken Waffe, einem ca. 90 cm langen, starken Stoßdegen (Espada), zu Leibe geht. Der Espada reizt den Stier durch die Muleta, ein an einem Stocke befestigtes Stück roten Tuches, das er mit der Linken vor sich flattern läßt, und stößt dann dem angreifenden Stier den Degen zwischen den Hörnern hindurch bis aus Heft in den Leib. Oft tritt noch ein besonderer Matador (Töter) auf, der dem Stier mit dem Genickfänger den Gnadenstoß gibt. Berühmte Espadas erhalten 6–8000 Frank für jedes Stiergefecht. Feige Stiere werden erst gebrannt und dann durch Hunde zerrissen, oder man durchschneidet ihnen von hinten die Fesseln, und der Cachetero, der auch die andern Stiere, die nicht tödlich getroffen sind, abfängt, tötet sie durch einen Dolchstoß ins Genick. Jeder einzelne Stierkampf dauert ungefähr eine halbe Stunde; meist kommen bei einer Vorstellung sechs Stiere und ungefähr doppelt soviel Pferde ums Leben. Im J. 1902 fanden in 143 Städten 527 Stierkämpfe statt, in denen 2753 Stiere auftraten. In Südfrankreich zählte man 29 Kämpfe mit 168 Stieren, in Portugal 48 mit 358 Stieren und in Amerika, hauptsächlich in Mexiko, 44 Kämpfe mit 284 Stieren. Der Versuch, die S. 1884–85 in Paris einzubürgern, wurde durch die Behörden nur mühsam unterdrückt, dagegen hatten sie sich in Dax, Auch und Nîmes bereits so eingebürgert, daß ihre Beseitigung im Polizeiweg am Widerstande des Volkes scheiterte. Die Literatur über die S. ist sehr reich; in Spanien wie in Südamerika widmen sich auch viele Zeitschriften dem nationalen Sporte. Vgl. Joest, Spanische S. (Berl. 1889); Lozano, Manuel de tauromachie (a. d. Span., Par. 1894); Da las Navas, Espectaculo mas nacional (Madr. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 31.
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