[679] Traumatische Neurose (Verletzungsneurose), nach Unfällen und Verletzungen (Traumen) auftretende Krankheitssymptome, die sich vorzugsweise durch Alterationen im Bereiche des Nervensystems kennzeichnen und auch zu Geistesstörungen führen können. Die Grundlage dieser Erkrankungen ist nicht in pathologisch-anatomischen Veränderungen, sondern in funktionellen Störungen durch Schreck, Gemütserschütterung zu suchen. Die Verletzung schafft allerdings direkte Folgezustände, doch würden diese in der Regel keine wesentliche Bedeutung gewinnen, wenn nicht die krankhaft alterierte Psyche in ihrer abnormen Reaktion auf diese körperlichen Beschwerden die dauernde Krankheit schüfe. Selten entwickelt sich in direktem Gefolge des Unfalls eine Psychose unter dem Bilde der halluzinatorischen Verrücktheit; meist bietet der Verunglückte zunächst gar keine Krankheitssymptome, die ersten Beschwerden sind gewöhnlich rein subjektiver Natur, es stellen sich die verschiedenartigsten Schmerzen ein, dazu Unruhe, Aufregung, Angst, Schreckhaftigkeit, und diese Anomalien steigern sich manchmal zu einer psychischen Verstimmung, die sich besonders durch hypochondrisch-melancholische Verstimmung, Angstzustände, Energielosigkeit und abnorme Reizbarkeit kennzeichnet. Schlaflosigkeit, Zittern, Ohnmachtsanfälle und Lähmungserscheinungen treten hinzu. Besonders wichtig und verbreitet sind Sensibilitätsstörungen, die niemals dem Ausbreitungsbezirk eines bestimmten sensibeln Nervs entsprechen und sich mit Anomalien der Sinnesempfindungen, besonders mit Einengung des Gesichtsfeldes verbinden. Die t. N. ist jedoch keine einheitliche Krankheit, vielmehr handelt es sich um verschiedene neurasthenische, hypochondrische oder echt hysterische Zustände oder um Psychosen, zu denen die Verletzung nur die auslösende Gelegenheitsursache abgegeben hat. Es ist daher besser, je nach dem Hauptzug im Krankheitsbilde von einem organischen, traumatischen Nervenleiden, einer Commotio cerebrospinalis, traumatischen Psychose, traumatischen Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie etc. zu sprechen. Seit Einführung der Unfallversicherungsgesetzgebung ist die t. N. besonders häufig, da den Verletzten durch den Gedanken an eine ihnen möglicherweise zustehende Unfallrente eine oft übertriebene Selbstbeobachtung nahegelegt wird. Auch beabsichtigte Simulation nimmt häufig das Krankheitsbild der traumatischen Neurose an. Vgl. Oppenheim, Die traumatischen Neurosen (2. Aufl., Berl. 1892); Strümpell, Über die Untersuchung, Beurteilung und Behandlung der Unfallkranken (in der »Münchener Medizinischen Wochenschrift«, 1895); Sachs und Freund, Die Erkrankungen des Nervensystems nach Unfällen (Berl. 1899); Bruns, Die traumatischen Neurosen (in Nothnagels »Spezieller Pathologie und Therapie«, Wien 1901), und die Literatur bei Artikel »Simulation«.