Karthāgo

[685] Karthāgo (bei den Griechen Karchēdon, phönikisch Kartha-hadatha oder abgekürzt Karthada, »Neustadt«), im Altertum berühmte Stadt in Zeugitana auf der Nordküste von Afrika, im Innern eines Meerbusens, war zum größten Teil von dem Tunesischen See und dem Meer umflossen und hing mit dem Festland nur durch einen 4 km breiten Isthmus zusammen. Ihr ältester Teil war die 60 m hohe Burg, Byrsa genannt, um die herum die Stadt allmählich erwuchs. Gegen die Seeseite hin, wo das Ufer steil abfiel, ward K. durch eine einfache, gegen die Landseite hin aber durch zwei vorliegende Befestigungslinien und eine 14 m hohe und 9 m breite Mauer geschützt, die mehrstöckig war und in ihrem Erdgeschoß Stallungen für 300 Kriegselefanten, im obern für 4000 Pferde und Unterkunft für 24,000 Mann enthielt. Nach neuern Berechnungen betrug der Umfang der Stadt etwa 24 km. Auf dem höchsten Punkte der Byrsa befand sich der vornehmste Tempel Karthagos, der des Esmun (Asklepios). Die Stadt hatte zwei Seehäfen, die im SO. lagen und durch einen 70 Fuß breiten Kanal miteinander verbunden waren. Der äußere war für Kauffahrteischiffe bestimmt. Der innere oder der Kriegshafen hieß nach einer inmitten desselben sich erhebenden Insel Kothon. Auf letzterer lagen die Zeughäuser, und rings um sie her war Platz für 220 Kriegsschiffe. In der Nähe des letztern Hafens befand sich der Marktplatz. Nordwestlich von der Byrsa auf einer flachen Höhe lag ein besonderer, neuerer Stadtteil, MagaliaHöhe«) genannt, von der Altstadt durch eine Zwischenmauer getrennt und durch eine 75 km lange Leitung mit Wasser versehen.

Lageplan von Karthago.
Lageplan von Karthago.

Die Bevölkerung der Stadt soll sich beim Anfang des dritten Punischen Krieges auf 700,000 (?) Menschen belaufen haben. Nach ihrer Zerstörung 146 v. Chr. (s. unten) von Augustus wieder aufgebaut, wurde sie bald wieder so bedeutend, daß sie bis zu ihrer Eroberung durch die Wandalen eine der ersten Stellen unter den Städten des römischen Reiches einnahm. Im Mittelalter wurden die Marmortrümmer nach allen Seiten hin, selbst nach Italien, verschleppt; daher zeigt die weite Strecke, über die sich die Stadt ausbreitete, nur noch einzelne, aber mitunter kolossale Bautrümmer; am besten erhalten sind die alten Zisternen und die Reste einer römischen Wasserleitung.

Staatsverfassung, Handel, Religion.

Das wenige, was über die Verfassung des altkarthagischen Staates bekannt ist, verdanken wir hauptsächlich Aristoteles, der in seiner »Politik« die karthagische Verfassung den besten der alten Staaten an die Seite stellt. Die Verfassung Karthagos war ursprünglich aristokratisch. An der Spitze standen zwei Suffeten (die Schophthim der Hebräer), die bald mit den spartanischen Königen, bald mit den römischen Konsuln verglichen und daher von den Römern Reges, Consules, Dictatores genannt wurden. Sie hatten den Vorsitz und Vortrag im Senat, den Vorsitz im Gericht und nicht selten auch den Oberbefehl im Krieg. Wie lange sie ihr Amt verwalteten, ist ungewiß. Wie die Suffeten, so wurden auch die Feldherren gewählt. In rein militärischen Sachen war die Gewalt der Feldherren in der Regel unbeschränkt; beim Abschluß von Bündnissen, Verträgen etc. aber waren sie an die Einwilligung[685] von Senatoren gebunden, deren in der Regel eine Anzahl mit ins Feld ging. Charakteristisch ist die rücksichtslose Härte, mit der öfters gegen Feldherren, die unglücklich gewesen waren, verfahren ward, wenn sie es nicht vorzogen, freiwillig zu sterben. Nächst den Suffeten und Feldherren genossen die Priester das höchste Ansehen; doch gab es keinen eigentlichen abgesonderten Priesterstand. Das höchste beratende und vollziehende Kollegium war der Senat, der in einen Großen und in einen Kleinen Rat zerfiel. Er hatte die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, die Oberaufsicht über das Kriegs-, Finanz- und Polizeiwesen sowie die gesetzgebende Gewalt; nur wenn Senat und Suffeten nicht einerlei Meinung waren, mußten die Gesetzvorschläge zur letzten Entscheidung an das Volk gebracht werden. Später (die Zeit ist nicht genau zu bestimmen) wurde dem Geschlechtersenat ein zweiter, der der Hundertmänner (die genauere Zahl war 104), an die Seite gesetzt, den Aristoteles mit dem Ephorat der Spartaner vergleicht; doch war dieser wohl mehr ein kontrollierender Gerichtshof und scheint demnach, obwohl er, wie bezeugt wird, aus den reichsten Bürgern bestand, einen demokratischen Charakter gehabt zu haben, was im Laufe der Zeit zu innern, den Staat zerrüttenden Parteikämpfen führte. Die Einkünfte Karthagos bestanden in den Tributen, welche die untertänigen Städte in Geld, die Ackerbau treibenden Bewohner des flachen Landes in Naturalien entrichten mußten, in den Zöllen, die in den Häfen erhoben wurden, vornehmlich aber in dem Ertrag der Bergwerke, namentlich der spanischen seit Hamilkars Eroberungen in diesem Lande. Die vornehmsten Ausgaben wurden durch die Flotte und die Mietstruppen veranlaßt; die Magistratspersonen erhielten gesetzlich keine Besoldung. Die Kriegsmacht war vornehmlich Seemacht. Am stärksten war dieselbe während des ersten Punischen Krieges; dann sank sie unter der Herrschaft der Barkiden, da diese zur Ausführung ihrer Eroberungspläne einer Seemacht weniger bedurften als einer tüchtigen Landmacht. Zur Zeit der Kriege mit Syrakus hatte K. eine Flotte von 150–200 Kriegsschiffen, im ersten Kriege mit Rom aber auf 350 Kriegsschiffen 150,000 Bewaffnete. Die trefflich eingeübten Ruderknechte waren gewöhnlich afrikanische Sklaven. Die Landmacht war größtenteils ein buntes Gemisch der verschiedensten Nationalitäten. Nur wenige karthagische Bürger zogen unter dem Namen der heiligen Schar mit in den Krieg. Den Kern des Landheeres machten aber die Libyer als schwere Reiter und Hopliten aus. Angeworbene Söldner, namentlich Spanier und Gallier, auch Kampanier, Ligurier und Griechen, endlich die numidischen Reiter, bildeten die übrige Masse.

Das Hauptgebiet des karthagischen Handels war das westliche Mittelmeer, und hier bildeten besonders die sizilischen und süditalischen Seestädte die Stapelplätze für denselben. Die Karthager holten hier Öl und Wein; dagegen brachten sie schwarze Sklaven aus dem innern Afrika, Edelsteine, Gold, afrikanische Früchte und karthagische Manufakturwaren, von denen besonders die Webereien sehr berühmt waren. Malta lieferte den Karthagern baumwollene Gewänder, die Liparischen Inseln Alaun, Korsika Wachs und Honig und besonders geschätzte Sklaven, Äthalia (Elba) Eisen. Den Bewohnern der Balearischen Inseln brachten sie gegen Lasttiere und Früchte Sklavinnen und Wein; zugleich dienten diese Inseln als Stationsplätze für den Handel mit Spanien, von wo sie außer edlen Metallen auch Wein und Öl bezogen haben mögen. Mit der ängstlichsten Sorgfalt wirkten sie jeder möglichen Konkurrenz mit andern Völkern entgegen und legten selbst ihren Kolonien Beschränkungen in bezug auf die Handelsfreiheit auf. Während daher der Hafen der Hauptstadt allen fremden Kaufleuten offen stand, wurden die Häfen der Kolonien diesen, solange es nur möglich war, verschlossen oder doch nur unter lästigen Bedingungen geöffnet. Gleich den Phönikern hatten die Karthager auch an der Westküste Europas Kolonien und besuchten, um Zinn zu holen, die britischen Inseln (Kassiteriden). Es ist ferner wenigstens wahrscheinlich, daß sie des Bernsteins wegen auch den Kanal und den Sund durchsegelten und die Küsten der Ostsee besuchten. An der Westküste von Afrika, an der sie bis zum Grünen Vorgebirge vordrangen, tauschten sie gegen Putzsachen und allerlei Gerätschaften sowie gegen Wein und ägyptische Leinwand Elfenbein und Felle ein. Was den Landhandel anlangt, so hören wir von Herodot, daß sich in dem ägyptischen Theben Libyer und Karthager, unzweifelhaft des Handels wegen, aufhielten. Außerdem bezogen sie von den Garamanten, den Bewohnern des heutigen Fezzan, Negersklaven und Edelsteine.

Die Religion der Karthager war im wesentlichen die phönikische. Als die Hauptgott heiten werden Baal, Moloch, Melkarth und die Göttin Astarte genannt; die beiden ersten führen bei den Griechen den Namen Kronos, Melkarth ist der griechische Herakles (Herkules), Astarte die griechische Aphrodite (Venus). Baal und Melkarth erscheinen beide meist als Sonnengott, Moloch als Feuergott, Astarte als die Mondgottheit (auch Dido genannt). Von dem Kultus ist nur der in ähnlicher Weise auch anderwärts vorkommende Gebrauch zu bemerken, dem Moloch (statt dessen aber auch oft Baal genannt wird) Menschenopfer darzubringen. Es war üblich, jedes Jahr ein Kind, und zwar das einzige Kind vornehmer Eltern, in die Arme des ehernen, mit Glut erfüllten Standbildes des Gottes zu legen, von wo es in das Innere hinabglitt. Außerdem geschah dies auch noch in Zeiten großer Gefahr, oft mit einer großen Menge von Kindern, wie denn z. B., als K. durch Agathokles schwer bedroht war, deren 200 geopfert wurden. – Über die Literatur ist nichts Näheres bekannt. Es wird indes berichtet, daß bei der Zerstörung der Stadt mehrere Bibliotheken vorgefunden wurden, welche die Römer, mit Ausnahme des Werkes eines Mago über den Ackerbau, verschenkten; dieses letztere wurde von D. Silanus ins Lateinische übersetzt. Ferner ist zu bemerken, daß von einem Bericht (Periplus) Hannos, der eine Entdeckungsreise an der Westküste von Afrika machte, noch eine griechische Bearbeitung erhalten ist. Die Sprache der Karthager war die phönikische (vgl. Phönikien).

Geschichte.

Nach der Sage gründete Dido (s. d.) oder Elissa, eine tyrische Königstochter, die Stadt und zwar nach Angabe der meisten alten Schriftsteller 814 (vielleicht auch 846) v. Chr. Als von den Phönikern abstammend, hießen die Bewohner der neuen Stadt Pönier oder Punier, und immer herrschte zwischen ihnen und den Tyriern ein Gefühl der Verwandtschaft. Zuerst den Libyern tributpflichtig, waren die Karthager bald stark genug, nicht nur den Libyern den Tribut zu verweigern, sondern sich dieselben durch Bekriegung auch dienstbar zu machen. So wurde das Gebiet Karthagos südlich bis an den Tritonsee, die Grenzmarke zwischen dem fruchtbaren Land und der Wüste, östlich bis zum Turris Euprantus und bis zu den [686] Arae Philaenorum ausgedehnt, während es sich im W. bis in die Gegend von Hippo Regius (Bona), der Residenz der numidischen Könige, erstreckte. Die bis an den Tritonsee und bis an die numidische Grenze wohnenden Libyer oder Libyphöniker wurden Untertanen der Karthager, mit Ausnahme der phönikischen Städte Utica, Groß-Leptis, Hadrumetum, Klein-Leptis, Hippo Zarytos, die in einem (jedoch meist untergeordneten) Bundesgenossenverhältnis zu K. standen; das weiter östlich gelegene Land war von nomadischen Völkerschaften bewohnt, weshalb daselbst keine feste Herrschaft der Karthager begründet werden konnte. Von diesem ihrem Gebiet aus breiteten sie ihren Handel und ihre Herrschaft immer weiter aus. So war die Küste von Numidien und Mauretanien bis zu den Säulen des Herakles (nach den Nachrichten der Alten) mit ihren Kolonien besetzt, desgleichen die Westküste von Spanien; insbes. aber war ihr Augenmerk schon sehr früh auf Sizilien und Sardinien gerichtet. Schon 540 lieferten die Karthager in Verbindung mit den Etruskern den Phokäern, die sich in Alalia (Korsika) niedergelassen hatten, eine Schlacht. Auch berichtet Polybios von einem Handelsvertrag mit Rom, durch den die Karthager 509 die Ausschließung der Römer von den fruchtbaren Gegenden südlich vom Schönen Vorgebirge, wo die Hauptemporien der Karthager lagen, bezweckten.

Der Kampf um den ausschließlichen Besitz Siziliens nahm zwei Jahrhunderte lang die Kraft Karthagos in Anspruch. Zuerst setzten sich die Karthager auf dem westlichen Teil der Insel fest, bemächtigten sich der phönikischen Niederlassungen zu Motye und Panormos und dehnten sodann, die fortwährenden Streitigkeiten unter den griechischen Städten ausbeutend, ihre Herrschaft weiter nach Osten aus. Nach Herodot rief der durch Theron von Agrigent vertriebene Tyrann Terillos von Himera die Karthager zu Hilfe, die 480 unter Hamilkars Anführung ein 300,000 Mann starkes Heer nach Sizilien gesandt haben sollen, Theron ward jedoch von Gelon von Syrakus unterstützt, und dieser brachte den Karthagern bei Himera eine völlige Niederlage bei, in der ihr ganzes Heer vernichtet wurde. Erst 408 begann der Krieg von neuem, als die Segestäer, von den Selinuntiern hart bedrängt, bei ihnen um Hilfe baten. Der Feldherr der Karthager, Hannibal, eroberte zwar an der Spitze eines großen Heeres Selinus, Himera, Agrigent (406), Gela (405), wurde aber durch eine Pest genötigt, mit Dionysios, dem Tyrannen von Syrakus (406–367), der die Verteidigung der griechischen Städte gegen K. übernommen hatte, einen Vertrag abzuschließen, in dem sich K. mit den gemachten Eroberungen begnügte. Dionysios erneuerte darauf den Krieg dreimal, um den Karthagern ihre Besitzungen auf der Insel zu entreißen (398–392, 383, 368), und brachte ihnen wiederholt Niederlagen bei, doch mußte er sie im Besitz wenigstens eines Teils ihrer Eroberungen lassen. Weiter beschränkt wurden diese durch den Sieg Timoleons, des Befreiers von Syrakus am Krimissos (343). Durch Agathokles (s. d.) wurden sie sogar 310–306 in Afrika selbst bedroht, und Pyrrhos bemächtigte sich 278–275 der ganzen Insel, mit Ausnahme von Lilybäon. Nachdem dieser aber Sizilien verlassen, unterwarfen sie sich wieder die ganze Insel, mit Ausnahme von Syrakus und Messana, und waren schon im Begriff, sich auch der letztern Stadt zu bemächtigen, als trotz der noch in der letzten Zeit geschlossenen Verträge der erste der drei sogen. Punischen Kriege (s. d.) mit Rom zum Ausbruch kam.

Im ersten Punischen Kriege (264–241) verloren die Karthager nach der Niederlage ihrer Flotte bei den Ägatischen Inseln ihren Besitz in Sizilien sowie die dazugehörigen Inselgruppen und mußten sich zur Zahlung von 3200 Talenten verpflichten. Ehe sie sich noch von ihren Verlusten erholen konnten, brach der mehr als vierjährige blutige Krieg (241 bis 237) gegen die aufrührerischen Söldner aus, an dem sich auch die libyschen Städte beteiligten; Hamilkars Feldherrnkunst trug den Sieg über die Meuterer davon, aber inzwischen hatten sich die Römer in den Besitz Sardiniens gesetzt, und die Karthager, zu schwach zu einem neuen Kriege, mußten nicht nur auf den Besitz jener Insel förmlich Verzicht leisten, sondern auch noch einen abermaligen Tribut von 1200 Talenten entrichten. Mit Sardinien zugleich ward ihnen auch Korsika entrissen. Nach Unterdrückung des Aufstandes setzte Hamilkar mit dem Heere nach Gades über, um die Pyrenäische Halbinsel zu erobern. Neun Jahre lang kämpfte er mit Glück gegen die hispanischen Völker, bis er 229 bei der Belagerung der Stadt Helike seinen Tod fand. An seine Stelle trat sein Schwiegersohn Hasdrubal, der weniger durch Krieg als durch friedliche Mittel die Grenzen der karthagischen Herrschaft weiter ausdehnte, und als auch dieser ums Leben gekommen war, wählte das Heer Hamilkars berühmten Sohn Hannibal zum Oberfeldherrn, und in K. wagte man nicht, dieser Wahl zu widersprechen. In den Jahren 221 und 220 vollendete Hannibal die Eroberung Hispaniens bis an den Iberus, und nun fühlte er sich stark genug, den Kampf gegen die Römer aufzunehmen, und bemächtigte sich der Stadt Sagunt trotz eines zwischen Rom und Sagunt bestehenden Bündnisses. Dies war die Veranlassung zum zweiten Punischen Krieg (218–201), in dem die Karthager unter der genialen Führung Hannibals (s. d. 3), der über die Pyrenäen und Alpen in Italien selbst eindrang, anfangs große Erfolge davontrugen, schließlich aber der unerschöpflichen Streitmacht und der bewundernswürdigen Ausdauer der Römer, die gleichzeitig auf vier Schauplätzen den Krieg führten, unterlagen. Nach der Niederlage bei Zama (202) wurde 201 der gedemütigten Rivalin Roms der Friede gewährt unter folgenden harten Bedingungen: Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zehn und der Elefanten, Zahlung von 10,000 Talenten, Entschädigung Masinissas und das Versprechen, hinfort nicht mehr ohne Einwilligung der Römer die Waffen zu ergreifen. Hannibal suchte sein niedergedrücktes Vaterland durch kluge Maßregeln in den verschiedenen Zweigen der Staatsverwaltung nach und nach wieder zu heben, beeinträchtigte aber dadurch die Interessen der ihm schon vorher abgeneigten Aristokratie, die ihn mit Hilfe der Römer aus K. vertrieb (195).

Seitdem wurde K. im Innern durch Streitigkeiten zwischen der aristokratischen und der Volkspartei zerrüttet und von außen durch Masinissa bedroht, der, den Karthagern von den Römern als Wächter an die Seite gesetzt, ihnen im Vertrauen auf seine Schutzherren ein Stück ihres Gebiets nach dem andern entriß. Als sich die Karthager endlich nach Vertreibung der Partei des Masinissa (151) gegen diesen zur Wehr setzten, aber geschlagen wurden, erklärten die Römer, durch M. Cato am Schluß jeder Rede im Senat an sie mit den Worten erinnert: »Ceterum censeo Carthaginem esse delendam« (»im übrigen bin ich der Meinung, daß K. zu vernichten sei«), dies für Friedensbruch und sandten 149 die Konsuln M. Manilius[687] und L. Marcius Censorinus mit 84,000 Mann nach Sizilien. Die Karthager baten um Frieden und zeigten sich bereit, sich in alle Bedingungen der Römer zu fügen; als diese ihnen jedoch befahlen, ihre Stadt zu verlassen und sich mehr landeinwärts wieder anzubauen, vereinigten sich alle Klassen und Stände zur verzweifeltsten Gegenwehr. So begann ein letzter furchtbarer Kampf (dritter Punischer Krieg, 149 bis 146), der mit Karthagos Eroberung durch P. Cornelius Scipio endete; 17 Tage wütete das Feuer in der Stadt, ein großer Teil der Bewohner kam um; die Überlebenden wurden in die Sklaverei geführt, die Stadt bis auf den Boden zerstört und fast das ganze karthagische Gebiet zur römischen Provinz Africa gemacht.

Im J. 122 wurde auf Antrag des Gajus Gracchus beschlossen, die Stadt unter dem Namen Junonia wieder aufzubauen und eine Kolonie von 6000 römischen Bürgern daselbst anzusiedeln; indessen verhinderte der Sturz des Gracchus die Ausführung. Julius Cäsar nahm das Projekt von neuem auf, konnte es jedoch nicht mehr ausführen. Die Herstellung geschah erst durch Augustus, der die Stadt mit 3000 römischen Kolonisten und zahlreichen Eingebornen aus der Umgegend bevölkerte.

Die neue Stadt gelangte in der Kaiserzeit wieder zu hoher Blüte, so daß sie nebst Alexandria die zweite Stelle unter den Städten des Reiches nach Rom einnahm. Sie war der Sitz des römischen Prokonsuls und der meisten übrigen römischen Beamten, später auch eines christlichen Bischofs und wurde infolge ihrer günstigen Lage bald wieder ein reicher Haupthandelsplatz, in dem es aber auch an Schulen für Grammatik, Rhetorik, Philosophie und die übrigen freien Künste nicht fehlte. 439 n. Chr. wurde sie aber von den Wandalen (s. d.) unter Geiserich erstürmt und war nun fast ein Jahrhundert hindurch Hauptstadt des Wandalenreichs, bis sie 533 von Justinians Feldherrn Belisar als »Justiniana« dem oströmischen Reich wieder einverleibt wurde. 697 ward sie jedoch durch den Sarazenen Hassan, den Feldherrn des Kalifen Abd al Malik, erobert und in Asche gelegt, um nun über 200 Jahre öde zu liegen, bis hierauf ein Teil der Stadt von dem ersten der fatimidischen Kalifen wieder bevölkert ward. Im Anfang des 16. Jahrh. bestand sie aus einer Moschee, einem Kollegium ohne Studierende, 25–30 Buden und den Hütten von etwa 500 Bauern. Aber selbst dieses elende Dorf wurde von den Spaniern, die Karl V. in die Feste Goletta gelegt hatte, zerstört. – Die Geschichte Karthagos kennen wir allein aus griechischen und römischen Schriftstellern, die seit dem 2. Jahrh. n. Chr. gelebt haben. Die von den Franzosen mit großem Eifer betriebenen Ausgrabungen (jetzt unter Delattre und Gauckler) haben über die Häfen Licht verbreitet, auf dem Festland aus der punischen Zeit fast nur Nekropolen zutage gefördert. Vgl. Beulé, Nachgrabungen in K. (deutsch, Leipz. 1863); Davis, K. und seine Überreste (deutsch, das. 1863); Graux, Les fortifications de Carthage (Par. 1876); Movers, Die Phönizier (Berl. 1841–56, 2 Bde.); O. Gilbert, Rom und K. (Leipz. 1876); Meltzer, Geschichte der Karthager (Berl. 1879–96, Bd. 1 u. 2); R. B. Smith, Carthage and the Carthaginians (3. Aufl., Lond. 1894); Church, Carthage, the empire of Africa (das. 1886); Babelon, Carthage (Par. 1896, Führer); Audollent, Carthage romaine (das. 1904); Winckler und Schurtz im 3. u. 4. Band von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1900 u. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 685-688.
Lizenz:
Faksimiles:
685 | 686 | 687 | 688
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon