Versuch eines Verbrechens oder Vergehens

[111] Versuch eines Verbrechens oder Vergehens (Conatus, Konat, Délit tenté) liegt dann vor, wenn der Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, die einen Anfang der Ausführung des Verbrechens oder Vergehens enthalten, betätigt, das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen selbst aber nicht zur Vollendung gekommen ist. Vorbereitungshandlungen (s. d.) dagegen, die noch keinen Anfang der Ausführung enthalten (z. B. das Zubereiten des Giftes), bleiben im allgemeinen straflos. Lebhaft bestritten ist die Frage, ob an einem untauglichen Gegenstand oder mit einem untauglichen Mittel ein verbrecherischer Versuch (délit manqué, fehlgeschlagenes Verbrechen) möglich sei. Manche verneinen die Frage, wenn es sich um ein absolut untaugliches Objekt, z. B. Mordversuch an einer Leiche, oder um ein absolut untaugliches Mittel, z. B. Vergiftungsversuch mit einer unschädlichen Substanz, handelt, während es als strafbarer Versuch anzusehen sei, wenn das Mittel nur ein relativ untaugliches, wenn z. B. die Dosis Gift zu gering war, um schädlich wirken zu können. Das Reichsgericht (Plenarbeschluß vom 24. Mai 1880) legt den Nachdruck auf die verbrecherische Absicht und erklärt auch den Versuch mit untauglichen Mitteln und am untauglichen Gegenstand für strafbar. Eine dritte Ansicht (v. Liszt u. a.) legt das Schwergewicht auf die Gefährlichkeit der Handlung, d. h. auf die Möglichkeit des Erfolgseintritts; nur der gefährliche Versuch soll strafbar sein. Der Vorentwurf eines schweizerischen Strafgesetzbuches läßt für den untauglichen Versuch ein richterliches Milderungsrecht zu. Der Versuch wird nach dem deutschen Reichsstrafgesetzbuch bei eigentlichen Verbrechen stets, bei Vergehen nur in denjenigen Fällen bestraft, in denen dies das Gesetz ausdrücklich bestimmt. Das versuchte Verbrechen oder Vergehen ist milder zu bestrafen als das vollendete. Bei Übertretungen ist der Versuch überhaupt nicht strafbar. Freiwilliger »Rücktritt vom V.« (s. d.) macht diesen straflos. Vgl. Deutsches Strafgesetzbuch, § 43–46; Österreichisches, § 8 ff., 47; v. Bar, Zur Lehre vom Versuch und Teilnahme am Verbrechen (Hannov. 1859); Lammasch, Das Moment objektiver Gefährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuchs (Wien 1879); L. Cohn, Zur Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen (Bresl. 1880); Klee, Wille und Erfolg in der Versuchslehre (das. 1898); Fabian, Abgrenzung von untauglichem Versuch und Putativdelikt (das. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 111.
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