Malaiischer Sprachstamm

[770] Malaiischer Sprachstamm (Malaiisch-polynefischer od. Oceanischer Sprachstamm), ist bei den Linguisten der Gesammtname für alle Sprachen, welche auf den Inseln des Indischen u. des Großen Oceans von Madagascar in Westen bis zur Osterinsel, in Osten von den Völkern der sogen. Malaiischen Race (s. Malaien) gesprochen werden. Obgleich die einzelnen Oceanischen Sprachen im Ganzen u. Großen unter sich in Bezug auf ihren Organismus sehr nahe verwandt sind, so zeigen dieselben doch im Einzelnen, namentlich in lexikalischer Hin ficht eine ziemliche Verschiedenheit, welche indeß bei mehrern, namentlich der eigentlichen Malaiischen Sprachen, zum Theil durch fremde Einwirkungen, bes. von Indien her, hervorgerufen worden ist. Man theilt die Oceanischen Sprachen gewöhnlich in zwei Hauptgruppen: a) die eigentlichen Malaiischen od. Australasischen Sprachen auf dem Indischen Archipel u. Madagascar. Die wichtigsten derselben sind: das Kawi (s.d.), welches den größten Theil seines Wortschatzes aus Indien entlehnt, eine alte Literatur besitzt u. stets nur Schrift- u. Priestersprache auf Java, Bali u. einigen benachbarten Inseln gewesen ist; das Javanische, welches auch gegenwärtig als Literatursprache blüht, u. auf der Insel Java gesprochen wird; das eigentliche Malaiische (s.d.), welches in einem Theile von Sumatra, auf der Halbinsel Malacca u. vielen Küstenlandschaften anderer Inseln als Landessprache, durch den ganzen Archipel aber als Verkehrssprache gesprochen wird; das Sundaische auf dem östlichen Theile Javas; das Buginesische u. das Makassarische auf Celebes; die Sprache der Batta's auf Sumatra; die der Dayaker im Innern von Borneo;das Formosanische auf der Insel Formosa; die Sprachen auf den Philippinen, namentlich das Tagalische (s.d.); das Iloca; auf Madagascar; b) die Südsee- od. Polynesischen Sprachen, worunter die Hawaiische auf den Sandwichinseln, die der Fidschi-, Samoa- (Schiffer-), der Tonga- (od. Freundschafts-), der Tahiti- u. der Marquesasinseln, ferner die der Marianen, Carolinen u. Neuseelands die bekanntesten sind. Die Sprachen der Negritos (s.d.) welche in einzelnen Resten über den Archipel (die Samang auf Malacca, die Aëtas auf den Philippinen etc.) zerstreut sind u. die Bevölkerung von Melanesien (s.d.) in der Südsee bilden, sowie die der Ureinwohner des Australischen Festlands sind dem Malaiisch-Polynesischen Stamme völlig fremd. Nationalliteraturen haben nur die Javanen, Malaien, die Bugis u. Makassaren, in geringerem Grade auch die Battas, die Tagaler u. die Malegassen entwickelt; in Polynesien haben durch europäische Einwirkung die Hawaier u. die Neuseeländer in raschem Wachsthum begriffene Literaturen erhalten. Eine umfassende Charakteristik des M-n S-s gibt W. v. Humboldt in seinem Werke Über die Kawisprache, Berl. 1836 ff., 3 Bde.; Boss suchte in der Schrift: Über die Verwandtschaft der Malaiischpolynesischen Sprachen mit den Indisch-europäischen Sprachen, Berl. 1841 vergeblich die Verwandtschaft dieser beiden Sprachstämme nachzuweisen. In morphologischer Beziehung bilden die Oceanischen Sprachen einen besonderen Typus der sogen. agglutinirenden Sprachen. Vgl. Grey u. Bleek, A Handbook of African, Australian and Polynesian Philology, Cape Town 1858 ff., Bd. 1 u. 2.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 770.
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