Madagascar

[674] Madagascar (früher Lorenzo, auch Isle Dauphine, Dauphinsinsel, Mondinsel, bei den Eingeborenen Nossindambo, d. h. Imel der wilden Schweine), Insel, liegt zwischen 12° 2' u. 25°40' südl. Br. längs der Ostküste Südafrikas, durch den Kanal von Mozambique vom Festlande getrennt. Bei einem Flächengehalt von[674] 19,500 QM. ist M. nächst Borneo die größte Insel der Erde. Ihre Oberfläche erscheint fast durchaus gebirgig u. steigt, übereinstimmend mit der Oberflächengestaltung des Festlandes von Afrika, terrassenförmig von der Küste auf, langsamer auf der Westseite, viel rascher dagegen, fast mauerförmig, im Osten bis zu den 4000 Fuß hohen, ausgedehnten Hochebenen des Innern, über denen sich fast in der ganzen Länge der Insel das 8–12,000 Fuß hohe Ambohitsmena- (Rothe) Gebirge erhebt. Die höchsten Punkte des Gebirges sind im N. der Vigaruraberg, im mittleren Theile die Vidindambaberge, ferner die Andringitra-, Angavo-, Ankaratra- u. Ambohimiangara-Berge, welche das Hochland der Howas umgeben. Nur vereinzelte Zweige des Gebirges treten in das Küstenland hinab, im. Übrigen wird die ganze Peripherie der Insel durch eine 10–15 Meilen breite, sehr niedrige, häufig sumpfige Küstenzone gebildet. Die Verbindung der Ost- u. Westküste wird durch die bedeutenden Terrainerhebungen sehr erschwert u. findet nur auf wenigen Pässen statt. Der nördliche Theil der Insel ist der bei Weitem schönere, indem hier dichte Bewaldung des Gebirges, zahlreiche Flüsse u. viele schöne Baien u. Häfen eine große Mannigfaltigkeit in den Verhältnissen hervorrufen. Die Küstenentwickelung ist im S. eiförmig, da sie daselbst nur wenig Baien u. noch weniger gute Häfen bietet; im N. dagegen finden sich eine große Zahl trefflicher Häfen, so auf der Ostseite die Bai von Antombony (Diego-Suarez-Hafen), die Baien von Antongil u. Fenerissa, den Hafen von Tintingue u. die weite Bai von Marofototra, auf der Westseite die Häfen von Passandava, Narinda, Maschambo, Matzambo, Bombetos, Cajembi u. Bali. Dagegen bietet die Südhälfte nur im O. die Bai St. Luce, im W. die Bai St. Augustin. Vorgebirge hat M. wenige; Cap St. Ambra bildet den nördlichsten, Cap Sta. Maria den südlichsten Punkt der Insel, am Westrande treten die Caps St. André u. St. Vincent, am Ostrande die Caps Bona u. Nonosi hervor. Die geognostische Beschaffenheit der Insel ist sehr mannigfaltig, jedoch noch wenig erforscht; man kennt das Auftreten großer Granitmassen mit riesigen Exemplaren des reinsten Bergkrystalls, häusigen Turmalinen u. Rosenquarz, Syenit, Thonschiefer, Marmor, ausgedehnte Eisenerz- u. Kohlenlager; vielfach finden sich vulkanische Gebilde, doch kennt man keinen noch thätigen Vulkan, obgleich häufig Erdbeben vorkommen, sowie auch kalte u. warme Mineralquellen. Das Klima der Insel ist gemäßigt u. gesund, in der Küstenzone dagegen drückend heiß u., bes. auch an der Ostseite, doch auchan der Nordwestküste, den Europäern durch Erzeugung der unter dem Namen des Madagasischen Fiebers bekannten Gallenkrankheiten so verderblich, daß die oft wiederholten Niederlassungsversuche der Europäer auf der Insel immer scheiterten. Verhältnißmäßig von gesunderem Klima ist der Westrand u. noch mehr der Nordrand. Die Höhe des Binnenlandes veranlaßt sehr häufige u. starke Regenbildungen; daher kommt der große Reichthum der Insel an fließenden Gewässern, von denen einige sehr groß sind, aber trotzdem nur wenige Katarakten bilden; zudem ist das Einlaufen in die Flüsse meist durch Sandbänke erschwert. Die hauptsächlichsten Flüsse sind im NW. der in die Bombetok-Bai mündende Betsibouka, dann der Ambongo, Mananghare, Ougulahé, Manguru u. Mananguru u.a. Von den zahlreichen Seen sind die bedeutendsten der Nossivé, Nossi. Vola, Ihotry, der Ima; alle diese Seen sind reich an Fischen u. wie die Flüsse an Krokodilen. Die Vegetation der Insel ist überaus reich u. mannigfaltig, an der Küste eine rein tropische, im Binnenlande theilweise dagegen eine alpinische. Die Flora ist reich an den besten Schiffsbauhölzern, Arzneigewächsen u. Farbehölzern; ganze Wälder bildet der Ebenholzbaum u. das rothe Sandelholz, dann das Rosen-, Benzoin- u. Adlerholz; es finden sich viele Ölpflanzen, namentlich Ricinus-, Elemi- u. Copalharzbäume, viele Gewürzpflanzen, darunter wilder Pfeffer, Indigo, vortrefflicher Reis, Baumwolle, Bananen, Bataten, Manioc, Tabak, schönste baumartige Farrn, Lianen u. Orchideen, ferner die eingeführten Gewächse Granaten, Orangen, Citronen, Feigen, Wein, Kaffee, u. Zuckerrohr; M. ganz eigenthümliche Gewächse sind der Tangulnbaum (Tanghinia venenifina), dessen giftige Früchte bei den hier noch üblichen Ordalien gebraucht werden, der Baum Tonse (Urania speciosa), von welchem fast jeder Theil nutzbar ist, der Harzbaum Harame, der Gummibaum Vintang, der Baum Sandraha, dessen Holz an Schwärze das Ebenholz noch übertrifft, u.a.m. Nicht minder reich ist die Thierwelt; es gibt zahllose Affen verschiedener Arten in den Wälder, ausgezeichnetes Rindvieh, darunter Buckelochsen, Schafe mit Fettschwänzen, wilde Büffel u. Schweine, zahlreiche Vögel mit prächtigem Gefieder, namentlich auch Colibris; Cochenille, Seidenraupen, prächtige Schmetterlinge, phosphorescirende Fliegen, Schlangen, Krokodile u. Fische etc.; in den letzten Jahrzehnten hat man auch Pferde eingeführt.

Die Einwohner schätzt man an Zahl auf 41/2–5 Millionen Seelen. Sie selbst nennen sich Malegasy, woraus die Europäer den Namen Madegassen od. Malegasehen gemacht haben. Die ersten Bewohner der Insel waren Afrikaner; später wanderten Malayen ein u. erhielten das Übergewicht; daher ist der herrschende Typus des Volkes malayisch, ebenso die Sprache (s. Magadässische Sprache) desselben; endlich wanderten auch Araber u. Hindus ein. Der Abstammung nach bestehen also die Madegassen aus einem Völkergemisch. Früher soll die Bevölkerung in etwa 50 größere u. kleinere Stämme zerfallen sein, welche sich gegenwärtig in vier Hauptstämme vereinigt haben: die Howas, das gegenwärtig fast die ganze Insel beherrschende Volk, in Sprache, Körperbildung u. Hautfarbe ganz malayisch, klein u. zierlich gebaut, mit olivenfarbiger Haut u. schwarzem schlichtem Haar; sie leben im Innern der Insel, haben feste Wohnsitze, treiben Landbau u. Viehzucht u. sind geschickte Handarbeiter, verstehen sich auf Weberei, fertigen Metallarbeiten, selbst Bijouterien. Die Sakalawas, schwarz von Ansehen, sind zum großen Theile Nomaden u. treiben bisweilen auch Seeräuberei; sie bewohnen hauptsächlich den nordwestlichen Theil der Insel; die Vetamenas an der Ostküste u. die Betsileos im hohen centralen Theile der Insel. Der Religion nach sind die Madegassen Heiden, obwohl es noch viele Christen unter ihnen gibt, aus der Zeit, wo unter König Radama das Christenthum eingeführt wurde. Der Handel der Insel M. ist nicht unbedeutend; der Sklavenhandel, ehemals sehr lebhaft betrieben, hat seit 1817 aufgehört; ausgeführt werden bes. Reis, Indisches Korn, Schlachtvieh etc., eingeführt dagegen [675] Waffen u. Munition, eiserne Töpfe, Fayence, Uhren, Hüte, Salz, Seife, baumwollene Zeuge, Rum u. Branntwein u.a.m. Der Verkehr im Innern ist sehr geringfügig. Durch die Eroberungen der Howas ist auf M. ein sehr complicirtes, für die unterworfenen Stämme drückendes Regierungssystem eingeführt, dessen Aufrechterhaltung in der ganzen Insel durch befestigte Posten u. Besatzungen durchgeführt wird, wozu eine Streitmacht von 40–50,000 Mann, welche theilweise europäisch organisirt ist, die Mittel bietet. Nur die Sakalawas haben in der letzten Zeit sich mit Glück zu befreien gesucht. Von den Howas wurde M. in mehr als 20 (wenig bekannte) Provinzen getheilt, von denen jede unter einem Obercommandanten steht; die Abgaben werden in Naturalien, namentlich in Reis, geliefert. Von den Provinzen sind die wichtigsten: a) im Norden: Vohlmarina, sehr gebirgig, wenig fruchtbar u. dünn von Antankars bevölkert; b) im Westen: Iboina od. Boueni, südlich von der vorhergehenden, flach, sumpfig u. ungesund, aber fruchtbar, bewohnt von Sakalawas; Ambongo, ebenfalls niedrig u. sumpfig, aber fruchtbarer als irgend ein Theil, bewohnt von Sakalawas; Menabé, niedrig u. ungesund, reich namentlich an Holz, Wachs, Indigo, Eisenerzen, bewohnt von Sakalawas; Fiarenana, außerordentlich fruchtbar, aber sehr wenig bekannt; Mahafaly, die südwestlichste Provinz; c) im Süden: Androy, waldig u. reich an Schafen mit Fettschwänzen; d) im Osten: Anosy, die südöstlichste Provinz, mit hohen Ufern u. sehr fruchtbar, namentlich an Reis, Zucker, Kaffee, Manioc; Betaninana, d. h. das Rothe Land, wegen seines rothen, sehr eisenreichen Thonbodens so benannt, besitzt großen Reichthum an Heerden; Mahavelona, einer der ungesundesten Küstenstriche; Ivongo, gebirgig, aber fruchtbar u. holzreich, erzeugt viel Reis u. Schlachtvieh. Bei dem Orte Iba-Batsi ist der Fundort großer Bergkrystalle; Maroa, sehr gebirgig u. waldreich, aber auch sehr fruchtbar, bringt die vorzüglichsten Bananen; e) im Innern: Antsianaka, d. h. das Land der Freien, mit großen Viehheerden, viel Seide u. der besten Baumwolle auf M.; Ankova, eine ungeheuere, fast im Herz der Insel gelegene, waldlose Hochebene, welche die Heimath der Howas ist, die auch hier ihre Hauptstadt Antananarivo haben. Das Klima der Landschaft ist gesund, der Boden aber wenig productiv, jedoch reich an Eisenerzen; Betsiléo, durch das Ankaratragebirg von der vorigen Provinz getrennt, ebenfalls Hochebene, zum Theil unfruchtbar, doch grasreich; Ibara, südlich von der vorhergehenden, bewaldet, dünn bevölkert; Ankay, im O. von Antsianaka u. Ankova, reich an Heerden, fruchtbar u. stark bevölkert.

Die Alten kannten M. nicht, doch glauben Einige, daß es. die von den alten Geographen in Südost von Äthiopien gelegene Insel Menuthias (s.d.) sei. Erst Marco Polo führt sie im 13. Jahrhundert als Magestra an, u. die Portugiesen unter Lorenzo von Almeida fanden sie 1492 (nach And. 1506) wieder auf u. nannten sie nach dem Heiligen des Entdeckungstages Insel St. Laurentii. Die Holländer, welche den Portugiesen folgten, scheuten sich vor dem dortigen ungesunden Klima u. legten erst deshalb später eine Colonie an. Die Franzosen, deren Indische Compagnie sie dem König Ludwig XIII. 1649 überlassen hatte, u. welche sie eine Zeit lang l'Isle Dauphine nannten, setzten sich auf der Südküste, später auf der Ostküste, erzürnten abex die Einwohner durch ihre Ausschweifungen dergestalt, daß dieselben sie durch drei Blutbäder, das erste zu Maughesia 1652, das zweite auf dem neu erbauten Fort Dauphin 1670 u. das letzte auf der Insel Sta. Maria 1754, zu verjagen suchten.1768 u. 1774 machten die Franzosen wieder vergebliche Versuche, sich hier niederzulassen; die letzte Expedition leitete Benjowsky. Sie behaupteten sich nur mit Mühe auf Fort Dauphin, Tamatava u. Foulepoint. 1810 nahmen die Briten M., nachdem sie schon früher die Colonie in der Bai St. Augustin auf der Westküste aufgegeben hatten, traten sie aber 1814 wieder an Frankreich ab. 1821 legten die Franzosen eine Colonie auf Sta. Maria an, aber die Colonisten starben fast alle. Viel für die Cultur seines Stammes that der Howassürst Radama durch englische Missionäre, indem er Schulen gründete, eine Buchdruckerei anlegte, sich auch eine Residenz Antananarivo baute. Er st. 1828, wie man sagt vergiftet von seiner Gemahlin Ranawala, die ihm nun folgte. 1829 baten die Franzosen die Königin um die Erlaubniß, in ihrem Lande eine Niederlassung zu gründen. Da aber dies abgeschlagen wurde, so eröffnete der Capitän Gourbeyre, nachdem er inzwischen die Halbinsel Tintingue befestigt hatte, die Feindseligkeiten u. nahm das Fort Tamava, wurde aber bei Foulepointe geschlagen. Zwar rächte er bald darauf diese Niederlage, aber die Besatzung, welche er in dem Fort Tintingue zurückließ, wurde in dem folgenden Winter fast ganz aufgerieben, u. der Regierungswechsel 1830 in Frankreich machte der französischen Niederlassung auf M. ein baldiges Ende. 1835 verbot die Königin bei Todesstrafe ihren Unterthanen die fernere Annahme des Christenthums, die Übergetretenen wurden heftig verfolgt u. aller Verkehr mit den Weißen beharrlichst abgewiesen. Ihre Beziehungen zu den Franzosen u. Engländern wurden dadurch immer gespannter, so daß es endlich 1845 zum offenen Kampfe mit denselben kam. Es erschienen ein englisches u. zwei französische Schiffe vor dem Hafen von Tamatawe u. schossen die Stadt in Brand, wurden aber bei einem Sturme auf das Fort gänzlich geschlagen, so daß sie mit Zurücklassung einer Anzahl Gefangenen, deren Schädel nach Landesbrauch auf Pfähle gesteckt wurden, die Insel verlassen mußten. Durch diesen Angriff nur noch erbitterter, verbot nun die Königin auch die Ausfuhr von Vieh u. Reis, wodurch die Inseln Bourbon u. Mauritius in harte Bedrängniß geriethen. Außerdem wurden nun auch die Christenverfolgungen blutiger als je; aber während sie in vollem Schwunge waren, nahm der Königin eigner Sohn u. andere Prinzen offen das christliche Glaubensbekenntniß an, auch gestattete die Königin einzelnen Fremden, namentlich Deutschen aus Nordamerika, Handel zu treiben, behielt auch einige Europäer an ihrem Hofe, doch war bis 1853 die Insel den Europäern so gut wie verschlossen. Dann bemühten sich englische Missionare abermals um Einlassung u. gelangten auch, allerdings erst nach manchen fehlgeschlagenen Versuchen, nach der Hauptstadt Antananarivo, wo sie freundliche Aufnahme fanden u. außer Anderem auch die Freigebung des Handels erreichten, wenngleich noch große Besorgnisse vor französischen Übergriffen am Hofe der Königin[676] herrschten. Im Jahre 1855 erhielt ein Franzos Namens Lambert von der Königin die Erlaubniß nach der Hauptstadt zu kommen. Bald darauf hatte er sich nach Paris begeben u. vom Kaiser Napoleon Instructionen empfangen, die ihn sofort nach M. zurückführten, um der Königin Geschenke zu überreichen. Von der Capstadt aus, wo sich ihm außer Anderen auch die bekannte Reisende Ida Pfeiffer angeschlossen hatte, begab er sich nach Antananarivo, um mit Hülfe der schon früher unter den Howasedelleuten von der Oppositionspartei angeknüpften Verbindungen die Königin zu beseitigen u. einen andern Herrscher auf den Thron zu setzen, welcher dann einen Freundschaftsvertrag mit Frankreich abschließen sollte. Doch der Plan war, wie man glaubt durch englischen Einfluß, der Königin bekannt geworden. Als die Verschwornen sich schon dem Ziele nahe glaubten, wurden sie sämmtlich auf Befehl der Königin verhaftet. Die einheimischen Verschwörer wurden in Gegenwart der Europäer hingerichtet, die Letzteren wurden ausgewiesen, wobei man sie in überaus langsamer Weise durch die allerungesundesten Gegenden nach der Küste transportirte. Die Expedition der Franzosen nach M., welche dem Gerücht nach 1856 beabsichtigt war, ist, wenn überhaupt beschlossen, wohl aus Rücksicht auf England unterblieben, doch bleibt es Thatsache, daß Frankreich nun schon seit 200 Jahren ununterbrochen sein Auge auf diese reiche Insel gerichtet hat. Vgl. Ackermann, L'hist. des révolution de M. depuis 1642 jusqu'à nos iours, Par. 1822; Ellis, History of M., Lond. 1838; Voyage de M., Par. 1840, 2 Bde.; Leguével de Lacombe, Voyage à M., Par. 1841; Mace Descartes, Histoire et géographie de M., ebd. 1846; M. past and present, Lond. 1847; Avezac, Iles de l'Africe, Par. 1848; Barbié du Bocage, M, ebd. 1859; W. Ellis, Three visits to M. (1853, 1854, 1856) with notices of the Natural history of the country and of the present civilisation of the people, Lond. 1858.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 674-677.
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