Nichtigkeitsklage

[878] Nichtigkeitsklage (Nichtigkeitsbeschwerde, Querela nullitatis), das Rechtsmittel, wodurch eine ertheilte richterliche Verfügung als nach den Gesetzen nicht zu Recht bestehend angefochten u. deshalb die richterliche Erklärung zu erlangen gesucht wird, daß dieselbe als nichtig wieder aufzuheben u. zu cassiren sei. Im Civilprocesse wurde das Recht auf N. als ein eigenes processualisches Rechtsmittel zuerst durch das Canonische Recht anerkannt, seit 1521 aber wurde dasselbe durch die Reichsgesetzgebung, welche sich dabei an die Ansicht der Praxis u. particularrechtliche Auffassungen anschloß, mehr u. mehr ausgebildet. Man unterscheidet dabei: a) Heilbare Nichtigkeiten, d.h. solche Fehler, durch welche der Partei kein unwiederbringlicher Schaden geschehen ist u. denen daher auf dem geordneten Wege der höheren Instanz, ohne deshalb den ganzen Proceß zu vernichten, abgeholfen werden kann (Defectus sanabiles); b) unheilbare N-n, Fehler, welche die Person des Richters, der Parteien od. die Substantialen des Processes betreffen (Def. insanabiles). Nach dem jüngsten Reichsabschied ist die N. in der Regel gleichzeitig mit der Appellation zu verhandeln, daher in zehn Tagen anzubringen u. unterliegt dann den Regeln eines ordentlichen Rechtsmittels; nur bei den unheilbaren Nichtigkeitsgründen ist, wenn dieselben principaliter, d.h. ohne Appellation, zur Geltung gebracht werden sollen, ein 30jähriger Zeitraum zur Anstellung der N. nachgelassen. In letzterem Falle erscheint dann die N. als ein außerordentliches Rechtsmittel. Die neuere Civilproceßgesetzgebung ist im Allgemeinen der Gestattung von N-n nicht günstig u. hat dieselben theils durch Festsetzung einer gewissen Werthsumme, die der Streitgegenstand dann haben muß, theils auch durch gänzliche Ausschließung bei einzelnen Proceßarten u. nähere Begrenzung der Nullitätsgründe zu beschränken gesucht. Im Criminalprocesse war das Recht der N., so lange dasselbe auf der alten Inquisitionsmaxime u. dem Grundsatze der Schriftlichkeit basirt war, den vorerwähnten Grundsätzen ziemlich ähnlich. Anders hat dasselbe sich aber vielfach im neueren Strafprocesse ausgebildet, indem dasselbe, nach vielen neueren Strasproceßordnungen, das einzige Rechtsmittel bildet, welches gegen die richterlichen Entscheidungen der Schwurgerichtshöfe überhaupt zugelassen wird. Hierbei ist jedoch dann der Umfang der Nichtigkeitsfälle in so fern ausgedehnt, als die N. dann auch zuweilen schon wegen unrichtiger Gesetzesauslegung gestattet wird, od. doch wenigstens auch auf solche Fälle Anwendung erleidet, in denen unrichtiger Weise das Vorhandensein eines Strafgesetzes angenommen wurde, während ein solches nicht vorhanden ist, u. umgekehrt. Vgl. Appellation.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 878.
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