[110] Physiognomik, 1) im Allgemeinen die Erkenntniß des Innern od. der geistigen Eigenheiten eines Menschen durch sein Äußeres, u. zwar sowohl Erkenntniß von Verstandeseigenheiten, als auch Erforschung von Neigungen u. herrschenden Gemüthsstimmungen. Die P. leitet daher in vielen Fällen ziemlich sicher, wobei jedoch schwer gewisse Regeln festzustellen sind u. die ja etwa aufzustellenden vielfachen Ausnahmen unterliegen. Es ist in dieser Beziehung auch P. auf Erkenntniß von Thiernaturen anwendbar, ja selbst auf Pflanzenerkenntniß ausgedehnt worden. In krankhaften Zuständen bekommt sie den Namen Pathognomik; 2) dieselbe Erkenntniß des Innern, insofern gewisse bleibende Ergebenheiten u. Züge der Gesichtsbildung die Andeutung geben. Vorübergehende Gefühle u. Leidenschaften, wie sie z.B. durch ein freudiges, trauriges, zorniges od. auch negativ durch ein gleichgültiges, ruhiges Gefühl etc. sich andeuten, sind davon ausgeschlossen. Schon in den ältesten Zeiten meinte man, daß es solche Andeutungen gebe, welche aber ein eigenes physiognomisches Studium voraussetzten. Schon Adamantos im 5. Jahrh. n.Chr. schrieb eine Schrift über P. Im 16. Jahrh. hat Baptist della Porta die P. wieder zur Sprache gebracht, indem er bes. auch Thierköpfe mit menschlichen Gesichtern verglich, auch Th. Campanella etc. Am meisten Aufsehen aber erregte Lavaters (s.d.) Werk, u. man glaubte eine Zeit lang ernstlich. daß durch selbiges eine Wissenschaft zur Menschenkenntniß begründet worden sei, sah aber bald ein, daß die P. in den Einzelheiten, welche er aufstellt, keinen Halt habe. Eine ganz abweichende Richtung hat das physiognomische Studium durch Galls Gehirn- u. Schädellehre (s. Phrenologie) erhalten. Vgl. Maaß, Ideen zu einer physiognomischen Anthropologie, Lpz. 1791; Sihler, Symbolik des Antlitzes, Berl. 1829; Carus, Symbolik der menschlichen Gestalt, Lpz. 1853.