Weltseele

[89] Weltseele (Anima mundi), die nach Analogie der menschlichen Seele in ihrem Verhältniß zum Körper gedachte, die ganze Welt durchdringende Seele. Bei den Pythagoreern läßt sich die Annahme einer besondern W. nicht mit Bestimmtheit nachweisen; dagegen denkt sich Plato die Entstehung u. das Bestehen der Weltordnung wesentlich als durch sie vermittelt. Sie ist ihm ein Erzeugniß des Weltbaumeisters, der höchsten Vernunft, ein zwischen der reinen Vernunft u. dem Sinnlichen in der Mitte stehendes Verbindungsglied, welches dem letzteren Maß u. Ordnung verleiht. Aristoteles nahm keine besondere W. an; bei den Stoikern fällt ihr Begriff mit dem der allwaltenden, alles aus sich erzeugenden göttlichen Urkraft zusammen. Bei Plotin u. den Neuplatonikern ist die W. nicht ein unmittelbares Erzeugniß der höchsten Ureinheit, sondern geht aus ihr erst vermittelst der Vernunft (νοῦς) hervor; sie ist auf der einen Seile von dieser erfüllt u. berührt sich auf der andern Seite mit der von ihr erzeugten Körperwelt. Dabei unterscheidet Plotin bisweilen eine doppelte W., eine höhere, welche ein schlechthin unsinnliches von der Körperwelt getrenntes Wesen ist, u. eine niedere, welche in ähnlicher Weise mit den Körpern des Weltalls verbunden ist, wie die einzelne Seele mit ihrem Leibe. Diese, bei den späteren Neuplatonikern verschiedenartig modificirte Vorstellungsart, mit welcher auch die Lehre der Gnostiker von den Äonen (s.d.) eine innere Verwandtschaft hat, hat ihren Grund in dem Bestreben zwischen dem höchsten Urgrunde u. der gegebenen Erscheinungswelt vermittelnde Glieder einzuschieben, welche bei der unendlichen Entfernung der letzteren von dem ersteren ihren Ursprung aus ihm begreiflicher machen sollen. Das Christenthum, indem es die Entstehung der Welt auf einen unmittelbaren Schöpfungsact Gottes zurückführt, verwirft die Annahme einer besonderen W.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 89.
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