Haftpflicht für Tötungen und Körperverletzungen

[52] Haftpflicht für Tötungen und Körperverletzungen (insbes. die sog. Haftpflichtgesetze).


Inhalt: A. Deutsches Reich. B. Österreich. C. Ungarn. D. Belgien. E. Frankreich. F. Italien. G. Niederlande, H. Schweiz. I. die skandinavischen Länder. K. Rußland. L. England (Amerika)1.

Es finden sich die Normen, die beruhen

I. auf dem Allgemeinen bürgerlichen Recht,

a) soweit sie sich auf Schadenfälle jeder Art (einschließlich der Körperverletzungen und Tötungen) beziehen, im Artikel H. der Eisenbahnen unter der Ziffer I;

b) soweit sie sich nur auf Körperverletzungen und Tötungen beziehen, in diesem Artikel unter der Ziffer I.

II. Auf dem Sonderrecht für die Eisenbahnen,

a) soweit sie sich auf Schadenfälle jeder Art (einschließlich der Körperverletzungen und Tötungen) beziehen, im Artikel H. der Eisenbahnen unter der Ziffer II;

b) soweit sie sich nur auf Körperverletzungen und Tötungen beziehen, in diesem Artikel unter der Ziffer II.

Hierbei ist für die Länder mit Haftpflichtgesetzen noch folgendes zu beachten: a) In einer Reihe von Staaten (so in Deutschland, England) hat der Kläger gegebenenfalls die Wahl, ob er seine Klage auf das Allgemeine bürgerliche Recht oder auf das Haftpflichtgesetz stützen will; b) in einer anderen Gruppe von Ländern (so in Österreich, Frankreich) ist das Haftpflichtgesetz ausschließliches Klagefundament, wenn und soweit es überhaupt anwendbar ist. In diesen Ländern kommt das Allgemeine bürgerliche Recht also nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des HPG. nicht vorliegen. Zu welcher dieser beiden Gruppen ein Land gehört, ist bei der Besprechung der Haftpflichtgesetze meist besonders hervorgehoben.


A. Deutsches Reich.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


In erster Linie kommen die Grundsätze des BGB. über unerlaubte Handlungen in Betracht.

Besonderheiten zu Nr. 2 (die Bahn als Trägerin der H.): Nach § 2 des HPG., der die Fabrikhaftung regelt, haftet die Bahn als Unternehmerin solcher Nebengewerbe, die den Charakter von Fabriken tragen (z.B. Reparaturwerkstätten, Billettdruckereien u. dgl.), für das Verschulden der dort tätigen bevollmächtigten Repräsentanten und Aufsichtspersonen in Ausführung ihrer Dienstverrichtungen ohne jeden Exkulpationsbeweis. Auf diese Haftung findet das bei der Besprechung des HPG. (s.u.) unter Nr. 2–5 Ausgeführte Anwendung.

Zu Nr. 3: Ersatzberechtigt sind: a) der Verletzte oder seine Erben. Neben dem Anspruch auf damnum emergens und lucrum cessans besteht für den Verletzten ein weiteres Recht auf eine »billige Entschädigung in Geld« als Genugtuung für den ideellen Schaden; dieses sogenannte Schmerzensgeld ist nicht übertragbar[52] und der Regel nach auch nicht vererblich (§ 847 BGB.). Als eine Art des entgangenen Gewinns hebt das BGB. die Nachteile hervor, die die Verletzung für den Erwerb oder das Fortkommen des Verletzten herbeiführt (§ 842); b) ferner gewisse dritte Personen: α) die standesgemäßen Beerdigungskosten sind dem zu ersetzen, der gesetzlich zu ihrer Tragung verpflichtet ist; β) die Personen, zu denen der Getötete zur Zeit der Verletzung in solchen Beziehungen gestanden hat, daß er ihnen gesetzlich unterhaltspflichtig war oder werden konnte, haben, wenn ihnen infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen ist, einen Anspruch auf Schadenersatz in der Höhe, in der ihnen der Getötete während seiner mutmaßlichen Lebensdauer alimentationspflichtig gewesen wäre; in diesem Anspruch steht der nasciturus dem natus gleich. Freiwillige Leistungen (z.B. an nicht alimentationsberechtigte Personen oder über den gesetzlichen Umfang hinaus) kommen nicht in Betracht. Anderseits ist es gleichgültig, ob der Verstorbene tatsächlich seiner Unterhaltspflicht genügt hat oder nicht. Der Übergang der Alimentationspflicht auf Dritte (z.B. von den Eltern auf die Großeltern) befreit die Ersatzpflichtigen nicht; γ) auch Dritten, denen der Verletzte kraft Gesetzes zur Dienstleistung im Hauswesen oder Gewerbe verpflichtet war, ist für die entgehenden Dienste Ersatz zu leisten (§§ 844 und 845 BGB.).

Art der Entschädigung: Der dem Verletzten (nicht auch seinen Erben) zu gewährende Schadenersatz wegen Aufhebung oder Minderung seiner Erwerbsfähigkeit oder Vermehrung seiner Bedürfnisse, sowie die Entschädigung für entgangene Alimente und Dienste ist in Gestalt einer vierteljährlich vorauszahlbaren, je am ersten, des Monats für das ganze Vierteljahr verfallenen Geldrente zu leisten. Aus wichtigen Gründen kann der Verletzte statt der Rente Abfindung in Kapital verlangen. Ob, in welcher Art und für welchen Betrag der Rente Sicherheit zu leisten ist, bestimmt der Richter nach den Umständen. Die übrigen Ersatzleistungen erfolgen durch Naturalrestitution oder Kapitalzahlung (§§ 843, 760 BGB.).


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Dem Bedürfnis nach einer Verschärfung der H. der Eisenbahn über das Allgemeine bürgerliche Recht hinaus hatte vor der Reichsgründung nur das preußische Eisenbahngesetz vom 3. November 1838 in seinem § 25 Rechnung getragen. Hier ist bereits der Grundsatz der Kausalhaftung ex lege unter Zulassung gewisser von der Bahn zu beweisender Befreiungsgründe (höhere Gewalt und eigenes Verschulden) verwirklicht. Als eines der ersten Reichsgesetze erging das im wesentlichen auf den gleichen Grundlagen beruhende sog. Haftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871, das außer der H. der Eisenbahnen auch die Haftung einiger anderer besonders gefährlicher industrieller Unternehmungen (Fabriken, Bergwerke u.a.) regelt. Auch nachdem durch das BGB. das gesamte Obligationenrecht einheitlich geordnet war, blieb das HPG. als Spezialgesetz in Kraft (Art. 32 Einf.-G. BGB.); es wurde aber unter gleichzeitiger Regelung einer Anzahl streitiger Punkte mit dem neuen Rechte in Übereinstimmung gebracht (Art. 42 Einf.-G. BGB.).

In dieser neuen Fassung gilt das HPG. seit dem 1. Januar 19002. Liegen im Einzelfalle sowohl die Voraussetzungen für die Anwendung des HPG. als auch des BGB. vor, so hat der Ersatzberechtigte die Wahl, auf welches Gesetz er seine Klage stützen will. Das BGB. gewährt ihm zwar etwas weitergehende Rechte als das HPG. (Schmerzensgeld, Ersatz für entgangene Dienste, längere Verjährung), fordert von ihm aber auch den Nachweis des Verschuldens.

Inhalt des HPG.: 1. Voraussetzung der H. ist die Tötung oder körperliche Verletzung eines Menschen beim Betriebe einer Eisenbahn. Verschulden wird also nicht gefordert (§ 1). Unter Eisenbahn im Sinne des HPG. versteht das Reichsgericht jedes Unternehmen, das wiederholt größere Personen- oder Gütermengen auf Eisenschienen mit erhöhter Geschwindigkeit über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken hin befördert; gleichgültig ist, von wem die Bahn betrieben, welche Betriebskraft verwendet wird, ob der Betrieb über oder unter der Erde stattfindet und ob die Bahn dem öffentlichen Verkehr dient oder nicht; es fallen also auch Privatanschlußgleise und Arbeitszüge beim Bahnbau unter das Gesetz. Als Körperverletzung gelten auch Störungen der psychischen Gesundheit. Zum Begriff der Tötung ist erforderlich, daß der Tod im rechtlichen ursächlichen Zusammenhang mit einer Verletzung »beim Betriebe« steht; nicht nötig ist es, daß der Tod sofort eintritt. Die Einwirkung auf den Körper selbst, mag sie nun tödlich sein oder nicht, heißt in der Sprache des Gesetzes »Unfall«. Als Unfall gilt nur ein außergewöhnliches und zeitlich bestimmbares einzelnes Vorkommnis. Die sog. Berufskrankheiten fallen also nicht unter diesen Begriff. Bestritten ist, was unter einem Unfall »beim Betriebe« zu verstehen ist; übereinstimmend[53] wird örtlicher, zeitlicher und ursächlicher Zusammenhang der Verletzung mit einem »Betriebsvorgang« verlangt; während aber die früher in Theorie und Praxis herrschende Meinung als Betriebsvorgang nur ein Ereignis gelten ließ, das mit dem Beförderungszweck wesentlich zusammenhängt und gleichzeitig auf eine der dem Eisenbahnbetrieb (im Gegensatz zu sonstigen Transportgewerben) eigentümlichen Gefahren zurückgeführt werden kann, genügt nach der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts schon jeder Vorgang, der sich im Zusammenhang mit der Durchführung, unmittelbaren Vorbereitung oder unmittelbaren Abwicklung des Beförderungsgeschäftes abspielt und an sich mit den eigentümlichen Betriebsgefahren verbunden ist, auch wenn diese im Einzelfall nicht kausal gewesen sind.

Zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Tod (Verletzung) und Betriebsvorgang mag noch darauf hingewiesen werden, daß nach der von den Zivilsenaten des Reichsgerichts gebilligten »adäquaten Kausaltheorie« als Ursache im Rechtssinn nicht jedes »Ereignis« gilt, »ohne das die Wirkung nicht eingetreten wäre«, sondern daß aus der Gesamtheit der Ereignisse (»Bedingungen«) nur die in Betracht gezogen werden, deren Berücksichtigung im Hinblick auf den erfahrungsgemäßen Lauf der Dinge der Billigkeit nicht widerspricht; das Dazwischentreten eines dem normalen Verlauf fremden Moments unterbricht also den rechtlichen Kausalzusammenhang. Es ist aber nicht gerade erforderlich, daß die betreffende Bedingung die überwiegende Ursache war. Die Beweislast für sämtliche Begriffsmerkmale trifft den Kläger.

Die Bahn kann sich von der Haftung durch den Nachweis befreien, daß der Unfall entweder auf höhere Gewalt oder auf eigenes Verschulden des Getöteten oder Verletzten als überwiegende Ursache zurückzuführen ist (§ 1). Unter »höherer Gewalt« (vis maior, im § 25 des preußischen Eisenbahngesetzes als »unabwendbarer äußerer Zufall« bezeichnet) ist jedes Ereignis zu verstehen, das von außen auf den Betrieb einwirkt und von dem Haftpflichtigen auch bei Anwendung der äußersten Vorsicht mit Mitteln, die ihm nach Lage der Sache, insbesondere auch mit Rücksicht auf die Rentabilität des Unternehmens vernünftigerweise zugemutet werden können, weder abgewendet, noch in den Folgen unschädlich gemacht werden kann. Nicht unter den Begriff fallen sog. »innere Zufälle«, d.h. solche Vorkommnisse, die sich ohne Verschulden aus Handlungen der Leute des Unternehmers in Ausübung ihres Dienstes oder aus Mängeln der Betriebsmittel ergeben, nach der Rechtsprechung auch solche Ereignisse, die beim Betrieb häufig vorkommen und nach seiner Natur und seinen Gefahren nicht vermeidbar sind. Im übrigen kann die höhere Gewalt sowohl in Naturereignissen als in Handlungen Dritter bestehen.

»Eigenes Verschulden« des Geschädigten besteht in bewußter oder fahrlässiger Außerachtlassung der von ihm vernünftigerweise zu erwartenden Rücksicht auf die eigene Sicherheit. Dabei wird das Verhalten von Bahnbediensteten milder beurteilt als das Dritter, die mit dem Eisenbahnbetrieb wenig vertraut sind. Verschulden liegt nicht vor, wenn das Verhalten durch sittliche oder Berufspflichten gerechtfertigt oder geboten war. Auch bei zivilrechtlich unzurechnungsfähigen Personen (§§ 827, 828 BGB.) kann von Verschulden keine Rede sein. Das Verschulden seiner Leute oder Vertreter wird dem Verletzten nicht zugerechnet. Ist eigenes Verschulden zwar nicht die überwiegende, aber eine mitwirkende Ursache der Schädigung, so ist nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (wegen § 254 BGB.) die Ersatzleistung der Bahn entsprechend abzumindern.

2. Träger der H. ist der Betriebsunternehmer (§ 1). Als solchen bezeichnete die frühere Theorie und Praxis die (meist juristische) Person, auf deren Rechnung und Gefahr der Betrieb erfolgt; neuerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts entscheidend, wem die selbständige Verfügungsgewalt über den Betrieb zusteht. Nach dieser Begriffsbestimmung bemißt sich also z.B. die Frage, wen bei Unfällen auf Anschlußgleisen, bei durchgehenden Zügen, bei gemeinschaftlichen Strecken und Bahnhöfen u.s.w. die Ersatzpflicht trifft. Kommen mehrere Betriebsunternehmer, z.B. beim Zusammenstoß von Zügen verschiedener Betriebsführer, in Frage, so haften sie nebeneinander.

Sowohl für diesen Fall als auch für das Verhältnis einer haftpflichtigen Bahnverwaltung zu sonstigen Ersatzpflichtigen gelten die im Artikel H. der Eisenbahnen unter I, 2 besprochenen Grundsätze.

In der Regreßnahme stellt das Reichsgericht die nach dem HPG. haftende Bahn, auch wenn sie kein Verschulden trifft, den ex delicto Haftenden gleich. Von der allgemeinen Regel, daß Versicherungssummen nicht auf die Leistungen der Bahn angerechnet werden, besteht nach § 4 HPG. folgende Ausnahme: War der Getötete oder Verletzte bei irgend einem auf Versicherung der Person[54] im weitesten Sinne gerichteten Unternehmen (»Versicherungsanstalt«), einer Knappschafts-, Unterstützungs-, Kranken- oder ähnlichen Kasse (hierher gehören auch private Pensionskassen) in der Weise gegen den Unfall versichert, daß der haftpflichtige Unternehmer von den Prämien oder Beiträgen mindestens ein Drittel bezahlte, so sind die Leistungen der Versicherungsanstalt oder der Kasse an den Ersatzberechtigten auf die gleichartigen Leistungen nach dem HPG. in voller Höhe einzurechnen.

Ist die Forderung gegen die Versicherungsanstalt u.s.w. nicht realisierbar, so hat die Bahn vollen Ersatz zu leisten. Die Einrechnung ist im Prozeß von dem Unternehmer einredeweise geltend zu machen. Der § 4 HPG. hat im Hinblick auf die Reichsversicherungsordnung und die Beamtenunfallfürsorgegesetze (s. unten Nr. 5 c) nur noch wenig praktische Bedeutung.

Immerhin kommt er namentlich noch für solche Bahnangestellte in Betracht, die unter das Angestelltenversicherungsgesetz vom Jahre 1911 fallen.

3. Kreis der Ersatzberechtigten und Inhalt ihrer Ansprüche: a) im Falle der Körperverletzung ist lediglich der Verletzte ersatzberechtigt; er hat Anspruch α) auf die Kosten der Heilung einschließlich der Vermögensnachteile, die ihm aus der Vermehrung seiner Bedürfnisse erwachsen. Die Heilungskosten umfassen alle zur Erhaltung des Lebens, wie zur Heilung und zur Linderung des Leidens notwendigen, den Verhältnissen des Verletzten angemessenen Ausgaben; sie können sowohl für die Vergangenheit in dem Betrag, in dem sie tatsächlich aufgewendet worden sind, als auch für die Zukunft, so weit sie voraussichtlich noch erforderlich sind, eingeklagt werden. Vergrößert der Verletzte die Kosten durch ungeeignetes Verhalten während der Krankheit, so fällt dieser Mehrbetrag ihm selbst zur Last. β) Ferner sind dem Verletzten die Vermögensnachteile zu ersetzen, die er durch (zeitweilige oder dauernde) Herabsetzung seiner Erwerbsfähigkeit erleidet. Es muß also seine Fähigkeit beeinträchtigt sein, sich durch eine solche erlaubte wirtschaftliche Tätigkeit, wie sie ihm nach seinen Kräften und seiner bisherigen Stellung zugemutet werden kann, Erwerb zu verschaffen; von einer Person mit wissenschaftlicher oder technischer Vorbildung kann hiernach ein Berufswechsel nicht verlangt werden. Unnötig ist, daß bereits eine Erwerbstätigkeit vor dem Unfall ausgeübt wurde; vielmehr ist der gesamte Verdienst zu ersetzen, den der Verletzte ohne den Unfall unter normalen Umständen gehabt hätte. Immerhin ist bei der Abschätzung dieses Schadens meist von der Fortdauer der Erwerbsverhältnisse zur Zeit der Verletzung auszugehen; für die Erwartung erhöhten Verdienstes trifft daher den Ersatzberechtigten, für das Eingreifen erwerbsmindernder Umstände die Bahn die Beweislast. Wird Fortdauer des bisherigen Erwerbs angenommen, so sind bei regelmäßiger Berufstätigkeit die sämtlichen bisherigen Gehaltsbezüge, bei unregelmäßiger Beschäftigung der Durchschnittssatz der letzten Jahre in Ansatz zu bringen. Verweigert der Verletzte die Übernahme einer neuen ihm zumutbaren Beschäftigung, so ist die Ersatzpflicht der Bahn entsprechend zu mindern (§ 3 a).

b) Im Fall der Tötung gehen α) die beiden zu a) erwähnten Ersatzansprüche auf die Erben über, β) Außerdem sind die oben zu I, Nr. 3 b α und β (nicht γ!) [S. 52, 53] genannten dritten Personen in dem dort geschilderten Umfang auch nach dem HPG. ersatzberechtigt (§ 3).

Für die Art der Ersatzleistung gelten die oben zu I, Nr. 3 dargestellten Regeln (§ 7).

4. Die Ansprüche aus dem HPG. verjähren in zwei Jahren, die im allgemeinen vom Unfall an, bei dem Anspruch auf Alimentenersatz aber vom Tode an zu rechnen sind; Unfallsund Todestag werden nicht eingerechnet (§ 8). Im übrigen sind für die Verjährung die §§ 202–225 BGB. maßgebend.

5. Einzelheiten: a) Die Bestimmungen über Voraussetzungen, Beweislast und Umfang der H. dürfen nicht »im voraus« durch Verträge (Reglements oder besondere Übereinkommen) zum Vorteil des Unternehmers ausgeschlossen oder beschränkt werden. Hiegegen verstoßende Abmachungen sind nichtig. Dagegen sind Erweiterungen der H. durch Vertrag und Vereinbarungen nach dem Unfall (insbes. Vergleiche) rechtsgültig (§ 5).

b) Prozessualische Eigentümlichkeiten:


α) Revisionsinstanz ist auch für Bayern das Reichsgericht (§ 10 HPG., § 8 Einf.-G. Gerichtsverfassungsgesetz).

β) Urteile auf Zahlung einer Geldrente nach dem HPG. sind ohne Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären, soweit die Rente auf die Zeit nach der Klageerhebung oder das letzte Vierteljahr vorher entfällt (§ 7, Abs. 2).

γ) Geldrenten für Alimentationsberechtigte sind in voller Höhe, solche für den Verletzten bis zum Jahresbetrag von 1500 M. unpfändbar (§ 7, Abs. 2 HPG.). In dem gleichen Umfang ist die Aufrechnung gegen solche Forderungen, ihre Zession, rechtsgeschäftliche Verpfändung, Belastung mit einem Nießbrauch und ihre Einbeziehung in die Konkursmasse ausgeschlossen.

δ) Rechtskräftige, auf die Zahlung einer Geldrente (nicht Kapitalabfindung) nach dem HPG. lautende Urteile können in gewissen Fällen abgeändert oder ergänzt werden. Einmal kann nämlich der Ersatzberechtigte[55] beliebig oft auf Erhöhung, Weiter- oder Wiedergewährung der zuerkannten Rente, der Haftpflichtige auf deren Aberkennung oder Ermäßigung (für die Zeit nach Beginn des Rektifikationsprozesses) klagen, wenn eine wesentliche d.h. nicht bloß vorübergehende Änderung der für das frühere Urteil maßgebenden Verhältnisse eingetreten ist und deren Geltendmachung im ersten Prozeß nicht mehr möglich war (§ 323 ZPO.). Sodann kann der Ersatzberechtigte beliebig oft nachträglich auf Sicherheitsleistung oder Erhöhung einer bereits zuerkannten Kaution klagen, wenn eine erhebliche, d.h. den Anspruch des Berechtigten gefährdende Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Verpflichteten eingetreten ist und diese Tatsache im Vorprozeß nicht mehr vorgebracht werden konnte (§ 7, Abs. 3 HPG.). Diese beiden sog. Rektifikationsklagen unterliegen nicht der Verjährung.


c) Verhältnis zur Sozialversicherung und zum Beamtenunfallfürsorgerecht:

Einer der maßgebenden Gesichtspunkte für den Erlaß des HPG. war das Bestreben, die durch den Eisenbahnbetrieb und besonders gefährliche industrielle Unternehmungen gefährdeten wirtschaftlich schwachen Arbeiter bei Unfällen sicherzustellen und dadurch zugleich dem sozialen Frieden zu dienen. In dieser Beziehung entsprach das Gesetz nicht den Erwartungen; insbesondere wirkten die vielen Prozesse zwischen Arbeitnehmern und -gebern verbitternd, ohne daß die Arbeiter immer die wünschenswerte Entschädigung erreichen konnten. Diese Mißstände führten zum Erlaß des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884, dessen Geltungsbereich später mehrfach ausgedehnt worden ist. Heute enthält die maßgebenden Vorschriften die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911. Nach deren § 537, Nr. 5 unterliegt der gesamte Betrieb der Eisenbahnen der Gewerbeunfallversicherung; es steht allen Arbeitern und den Betriebsbeamten mit einem Jahresarbeitsverdienst unter 5000 M. sowie gewissen Gruppen ihrer Blutsverwandten bei Betriebsunfällen eine Reihe öffentlich rechtlicher Versicherungsansprüche auf genau bestimmte Leistungen zu (§ 559 ff. RVO.). Träger der Versicherung sind bei Angestellten der Reichs- oder Staatsbahnen das Reich oder der betreffende Bundesstaat (s. aber unten), sonst die Berufsgenossenschaft der deutschen Privatbahnen. Für das Verhältnis zu zivilrechtlichen Ansprüchen, insbesondere solchen nach dem HPG., gilt:

α) Die Versicherten und ihre Hinterbliebenen haben gegen die Verwaltung, in deren Dienst der Verletzte steht, zivilrechtliche Ansprüche nur dann, wenn straf richterlich festgestellt ist, daß der Unternehmer den Unfall vorsätzlich verursacht hat. Dies gilt auch, wenn im einzelnen Falle die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Versicherung überhaupt fehlt. Soweit eine Versicherungsleistung vorliegt, kürzt sich der zivilrechtliche Anspruch um ihren Betrag (§ 898 ff. RVO.).

β) Den Berufsgenossenschaften, Gemeinden, Armenverbänden, Krankenkassen u.s.w., die infolge des Unfalles Aufwendungen zu machen haben, steht gegen die Bahnunternehmung, in deren Dienst sich der Versicherte befindet, wenn ihr Vorsatz oder schwere Fahrlässigkeit zur Last fällt, ein Regreßrecht zu, u.zw. den Berufsgenossenschaften ohne weiteres, den übrigen nur nach straf richterlicher Feststellung des Verschuldens (§ 903 ff. RVO.).

γ) Die zivilrechtlichen Ansprüche der Versicherten gegen fremde Bahnverwaltungen bleiben bestehen, gehen aber in der Höhe der Versicherungsleistungen auf den Träger der Unfallversicherung über (§ 1542 RVO.).

Unter die Unfallversicherung würden an sich auch die in versicherungspflichtigen Betrieben beschäftigten Reichs-, Staats- und Gemeindebeamten mit einem Gehalte unter 5000 M. fallen. Das Reichsgesetz vom 15. März 1886/18. Juni 1901 hat jedoch die in solchen Betrieben tätigen Reichsbeamten ohne Rücksicht auf ihr Gehalt durch Gewährung der dort näher bestimmten Pensionen, Sterbe-, Witwen- und Waisengelder u.s.w. gegen die Folgen der im Dienst erlittenen Betriebsunfälle sichergestellt und gleichzeitig für sie die Geltung der Unfallversicherung ausgeschlossen. Auch auf Staats- und Kommunalbeamte, für die durch Landesgesetz oder statutarische Festsetzung eine Unfallfürsorge getroffen ist, die der in diesem Reichsgesetz gewährten mindestens gleichkommt, findet die Unfallversicherung keine Anwendung (§§ 13, 14 Reichsbeamtenunfallfürsorgegesetz); solche Bestimmungen sind in Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden und anderen Staaten erlassen. Über die zivilrechtlichen Ansprüche der unter solche Beamtenunfallfürsorgegesetze fallenden Beamten gelten ähnliche Bestimmungen wie die oben erwähnten:

α) Die Beamten haben gegen die Bahn, in deren Dienst sie den Unfall erlitten haben, überhaupt keine Haftpflichtansprüche (§ 10, 14 RBUFG.).

β) Die Ansprüche gegen fremde Bahnen bleiben zwar bestehen (gegen die Reichs- oder andere Staatsbahnen allerdings nur in Höhe der in den Unfallfürsorgegesetzen vorgesehenen Bezüge), gehen aber allgemein, u.zw. bis zum Betrage der Unfallfürsorgebezüge, auf die pensionspflichtige Betriebsverwaltung über; die Berechtigten selbst können also nur den Überschuß über die Fürsorgeleistungen, u.zw. nur[56] gegenüber nichtstaatlichen Bahnen, geltend machen (§ 12 RBUFG.).

Da nach dem Vorstehenden das HPG. für die Bahnbeamten und -arbeiter nur noch in seltenen Fällen in Betracht kommt, hat es gegen früher ganz erheblich an Bedeutung verloren.


B. Österreich.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


Auch für Tötungen und Körperverletzungen gelten in erster Linie die im allgemeinen Artikel dargestellten Grundsätze des österreichischen Deliktsrechts nach dem ABGB.

Besonderheiten zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): Abweichend ist der Kreis der ersatzberechtigten Personen und der Inhalt ihrer Ansprüche geregelt (u.zw. ohne Rücksicht auf den Grad des Verschuldens):

a) Im Falle der Körperverletzung sind die angemessenen Heilungskosten jedem zu ersetzen, der hierfür Ausgaben gemacht hat. Außerdem hat der Verletzte Anspruch auf den ihm zur Zeit der Klage infolge der Verletzung bereits entgangenen und, wenn er zum Erwerb in seinem bisherigen oder beabsichtigten Beruf ganz oder teilweise unfähig wird, auch auf den ihm künftig entgehenden Verdienst; ist er durch eine vorsätzlich oder grob fahrlässig zugefügte Verletzung (»Mißhandlung«) in einer Weise verunstaltet worden, daß dadurch sein Fortkommen beeinträchtigt wird (was besonders bei Personen weiblichen Geschlechts eine Rolle spielen kann), so ist auch der hierdurch entgangene Gewinn zu ersetzen; sodann hat der Verletzte noch ein Recht auf ein den Umständen entsprechendes Schmerzensgeld (§§ 1325, 1326 ABGB.).

b) Im Falle der Tötung sind alle Kosten, in erster Linie die der versuchten Heilung und Beerdigung denen zu ersetzen, die sie aufgewendet haben. Ferner ist der Ehefrau und den ehelichen oder unehelichen, auch adoptierten Kindern des Getöteten alles zu erstatten, was ihnen durch den Tod entgangen ist (§ 1327 ABGB.). Sonstige Personen haben nach der Rechtsprechung keine Ansprüche.

Von den erwähnten Ersatzleistungen werden nach den Grundsätzen der Praxis die Entschädigungen für Verdienstentgang und die an Ehefrau und Kinder in Rentenform, die übrigen durch Kapitalzahlung gewährt. Die Rente ist dem Verletzten bis zu seinem Tode, der Witwe bis zum Tode oder zur Wiederverheiratung, den Kindern nach näherer richterlicher Bestimmung bis zu dem Alter zu zahlen, in dem sie sich selbst erhalten können.

Zu Nr. 5 (Einzelheiten): a) Bei Ersatzleistung in Rentenform kann das Gericht auf Antrag Sicherstellung für die Zukunft anordnen, wenn dies den Umständen nach nötig erscheint. Ist nicht auf Sicherheitsleistung erkannt worden, so kann sie der Berechtigte nachträglich verlangen, wenn sich die Vermögensverhältnisse des Haftpflichtigen erheblich verschlechtert haben. Unter dieser Voraussetzung kann auch die Erhöhung einer bereits geleisteten Kaution verlangt werden (§ 407 ZPO.).

b) Renten sind der Exekution nur unterworfen, wenn und soweit sie im Jahre den Betrag von 1000 K übersteigen (bei Alimentenklagen beträgt die Grenze 500 K). Sie sind ferner in gleichem Umfange der Zession, Verpfändung oder sonstiger Vereinbarung entzogen (§§ 291–293 EO.).


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


In Österreich führte das Bedürfnis nach einer verschärften H. bei Personenunfällen schon sehr frühzeitig zu einer spezialgesetzlichen Regelung, u.zw. in dem Gesetze vom 5. März 1869 betr. die Haftpflicht der Eisenbahnunternehmungen für die beim Verkehre vorkommenden körperlichen Verletzungen und Tötungen. Mit diesem Gesetz wurde tatsächlich dem Grundsatz der Eisenbahnhaftung ex lege ohne Rücksicht auf Verschulden Geltung verschafft, wenn auch aus rein theoretischen Bedenken dem Wortlaut nach nur eine Rechtsvermutung für das Verschulden der Bahn oder ihrer Leute unter gewissen Voraussetzungen aufgestellt ist. Denn die sog. Vermutung kann nicht, wie es der Fall wäre, wenn es sich nur um Verschiebung der Beweislast handeln würde, durch den allgemeinen Beweis der Schuldlosigkeit, sondern nur durch Nachweis bestimmter viel engerer Tatbestände (Befreiungsgründe) entkräftet werden. Im folgenden wird daher von dieser, übrigens nicht ganz bedeutungslosen (s. unten Nr. 2) theoretischen Einkleidung abgesehen. Das HPG. galt lange Zeit nur für die mit Anwendung von Dampf kraft betriebenen Bahnen; erst durch § 1 des Gesetzes vom 12. Juli 1902 (sog. Haftpflichtnovelle) ist es auf jede mit Anwendung einer elementaren Kraft betriebene Eisenbahn ausgedehnt worden.

Das HPG. gilt nach der Rechtsprechung in allen Fällen, in denen seine Voraussetzungen vorliegen, unter Ausschließung anderer Gesetze; infolgedessen kommt das ABGB. nur bei den vom HPG. nicht erfaßten Unfällen zur Anwendung.

Inhalt des HPG.: 1. Voraussetzung der verschärften Haftung ist die Tötung oder körperliche Verletzung eines Menschen, herbeigeführt durch eine »Ereignung im Verkehre« einer mit Anwendung elementarer Kraft betriebenen Eisenbahn (§ 1). Als Eisenbahnen kommen[57] alle mit solchen Kräften arbeitenden Unternehmungen in Betracht, die Personen oder Güter auf eisernen Gleisen mittels Fahrzeugen befördern, u.zw. sowohl Haupt- als Kleinbahnen, gleichviel ob sie konzessioniert, bereits eröffnet sind oder nicht, ob sie dem öffentlichen Verkehr oder privaten Zwecken dienen und ob sie zu dauernder oder nur vorübergehender Benutzung bestimmt sind. Die H. besteht sowohl gegenüber Fahrgästen und Angestellten als auch gegenüber Dritten. (Siehe jedoch unten Nr. 5 c.) Was als »Ereignung im Verkehre« zu betrachten ist, ist bestritten; zwar verlangt die Rechtsprechung übereinstimmend den Nachweis eines einzelnen, zeitlich bestimmbaren außergewöhnlichen Vorganges, sonst aber ist die Begriffsbestimmung in der Praxis sehr schwankend; die neuere Literatur rechnet hierher im allgemeinen die Vorgänge, die sich unmittelbar aus der Durchführung der Beförderung vom Beginn der Zusammenstellung bis zur Auflösung des Zuges (aus dem sog. »Verkehrsdienst«) ergeben und selbst von den eigentümlichen Gefahren des Eisenbahnbetriebs beeinflußt sind. (Letzteres allerdings bestritten.) Die Beweislast für sämtliche Punkte trifft den Kläger.

Die Bahn kann sich von dieser Haftung befreien durch den Nachweis, daß die Ereignung entweder durch höhere Gewalt oder durch die unabwendbare Handlung eines Dritten, dessen Verschulden sie nicht »zu vertreten« hat, oder durch Verschulden des Beschädigten selbst überwiegend verursacht worden ist (§ 2, Abs. 1). Unter höherer Gewalt (vom Gesetz auch »unabwendbarer Zufall« genannt) ist jedes Naturereignis zu verstehen, das weder auf Mängeln der Betriebsanlage oder der Betriebsmittel beruht, noch durch irgendwelche nach dem Stande der Erfahrung mögliche und der Bahn nach den Umständen zuzumutende Mittel in Eintritt oder Wirkungen abgewendet werden konnte. Das Verschulden eines Dritten hat die Bahn im Sinne dieser Bestimmung »zu vertreten«, wenn er zu den Personen gehört, deren sie sich »zur Ausübung des Betriebs«, d.h. im Verkehrsdienst (s. o.), bedient (§ 1.) Unter eigenem Verschulden des Verletzten verstand die Rechtsprechung früher nur einen Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit auf die eigene Sicherheit und verneinte sein Vorliegen bei den Handlungen Unzurechnungsfähiger; neuerdings neigt sie dazu, lediglich ein ursächlich bedeutsames Verhalten zu verlangen und dies auch bei Unzurechnungsfähigen anzunehmen.

2. Träger der H. ist »die Bahnunternehmung«, d.h. die Person, für deren Rechnung und Gefahr der Betrieb erfolgt; hiernach bestimmt sich, wer bei durchgehenden Zügen, bei gemeinsamen Strecken und Bahnhöfen zu haften hat (§ 1).

Kommen neben einer nach dem HPG. ersatzpflichtigen Bahn andere nach dem. HPG. oder ex delicto Haftpflichtige (Bahnen oder sonstige Dritte) in Frage, so gelten die allgemeinen Regeln des Deliktsrechts (s. H. der Eisenbahnen), da die Spezialhaftpflicht im Gesetze als solche aus vermutetem Verschulden konstruiert ist.

3. Für den Kreis der Berechtigten, den Inhalt ihrer Ansprüche und die Form des Ersatzes gelten die Regeln des ABGB. (s. o. I und H. der Eisenbahnen).

4. Gleiches gilt für die Verjährung der H.-Klagen (s. H. der Eisenbahnen).

5. Einzelheiten:


a) Eine von der Unternehmung im voraus angekündigte oder mit ihr vereinbarte Ablehnung oder Einschränkung ihrer Ersatzpflicht ist ohne rechtliche Wirkung (§ 2, Abs. 2).

b) Die Klagen aus dem HPG. gehören nach Wahl des Klägers vor das Handelsgericht, in dessen Sprengel die beklagte Unternehmung ihren Sitz hat, oder in dessen Bezirk die Ereignung eingetreten ist (§ 3, Abs. 1).

c) Verhältnis zur öffentlichen Unfallversicherung: Auch in Österreich hat das HPG. viel an Bedeutung verloren, seit nach deutschem Vorbild die öffentliche Sozialversicherung eingeführt worden ist. Zwar waren anfangs mit Rücksicht auf das HPG. die im Verkehrsdienst verwendeten Angestellten von der Unfallversicherung ausgenommen (§ 2 des UVG. vom 28. Dezember 1887); da sich jedoch hieraus große Unbilligkeiten ergaben, wurde durch das Ausdehnungsgesetz vom 20. Juli 1894 der gesamte Betrieb der Eisenbahnen (gleichviel mit welcher motorischen Kraft sie betrieben werden) der Versicherung unterstellt und für alle Arbeiter und Betriebsbeamten die Versicherungspflicht, für andere Personen, die den Gefahren des Betriebs ausgesetzt sind, das Recht der Unternehmer, sie zu versichern, eingeführt. Hiervon ist insbesondere zu gunsten von Eisenbahnbediensteten, die weder Arbeiter noch Betriebsbeamte sind, sowie allgemein zu gunsten freifahrtberechtigter Staatsdiener Gebrauch gemacht worden (Art. I, Nr. 1 und Art. V Ausd.-Ges). Für die kraft Gesetzes oder freiwillig versicherten Eisenbahnbediensteten sowie für freiwillig versicherte, freifahrtberechtigte Staatsbedienstete hat der Umstand, daß sie oder ihre Hinterbliebenen nach dem UVG. rentenberechtigt sind, erhebliche Modifikationen der Rechte aus dem HPG. zur Folge (Art. VII, Ausd.-Ges. und § 2 H.-Novelle):

α) Diese Personen haben Ansprüche aus dem HPG. gegen den eigenen Betriebsunternehmer nur dann, wenn er oder eines seiner leitenden Organe vorsätzlich gehandelt hat; auch in diesem Falle erhalten sie aber nur den Überschuß über die Unfallrente. Dafür wird die Unfallrente, wenn sowohl die Voraussetzungen des UVG. als die des HPG. vorliegen, erheblich erhöht (§§ 46, 45 UVG. und Art. VII, Abs. 5 Ausd.-Ges.).

β) Der an und für sich haftpflichtige eigene Betriebsunternehmer hat, wenn er oder seine leitenden[58] Organe den Unfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, die Versicherungsanstalt für die Zahlung der Unfallrenten schadlos zu halten. Die Anstalt kann als Ersatz den Kapitalwert der Renten verlangen, ihr Regreßanspruch verjährt in drei Jahren von dem Unfall an (§ 45 UVG.).

γ) Gegen einen fremden Unternehmer bestehen die Haftpflichtansprüche nur, wenn ihn ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) trifft; sie gehen außerdem in Höhe der Unfallrenten auf die Versicherungsanstalt über, so daß dem Berechtigten auch hier nur der Anspruch auf den Überschuß verbleibt (§ 47 UVG.).


C. Ungarn.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


In erster Linie ist auf die im allgemeinen Artikel dargestellten Grundsätze des ungarischen Deliktsrechts zu verweisen.

Besonderheiten zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): Bei Körperverletzung sind dem Verletzten die Heilungskosten und, falls durch die Verletzung eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht ist, auch der entgehende Verdienst zu ersetzen. Bei Tötungen haben die Hinterbliebenen Anspruch auf Ersatz des ihnen entzogenen Unterhalts.


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Eine sonderrechtliche Regelung der Eisenbahn-H. ist in Ungarn schon getroffen worden durch den Gesetzesartikel 18 vom Jahre 1874, betreffend die Verantwortlichkeit und die Verpflichtung zum Schadenersatz bei Todesfällen und körperlichen Beschädigungen auf Eisenbahnen (im folgenden als HPG. zitiert).

Inhalt des HPG.: 1. Voraussetzung der verschärften H. ist die Tötung oder körperliche Beschädigung eines Menschen auf einer Eisenbahn (auch wenn sie dem öffentlichen Verkehr noch nicht übergeben ist). Die Beweislast trifft den Kläger. Die Bahn kann sich von der Ersatzpflicht durch den Nachweis befreien, daß der Tod oder die Körperverletzung entweder durch vis maior (unabwendbares Naturereignis) oder durch eine für die Bahnverwaltung unabwendbare Handlung eines Dritten oder durch eigenes Verschulden des Verletzten überwiegend verursacht wurde (§ 1).

2. Ersatzpflichtig ist die Bahnunternehmung (§ 1). Ihr Regreßrecht gegen ihre eigentlich schuldigen Angestellten bleibt unberührt (§ 6).

3. Kreis der Ersatzberechtigten und Umfang ihrer Ansprüche:

a) Bei Körperverletzung sind dem Verletzten die Kosten der ärztlichen Behandlung und die Vermögensverluste zu ersetzen, die er durch die infolge der Verletzung eingetretene Erwerbsunfähigkeit erleidet.

b) Bei Tötung gehen α) die dem Verstorbenen nach vorstehendem bereits erwachsenen Ansprüche auf die Erben über; diesen sind außerdem die Kosten der Beerdigung zu vergüten; β) falls der Verstorbene kraft Gesetzes oder Gewohnheitsrechts verpflichtet war, für den Unterhalt oder die Erziehung eines anderen zu sorgen, so hat die Bahn diesem auch die Kosten des Unterhalts oder der Erziehung zu ersetzen, soweit sie durch den Todesfall ihre bisherige Deckung verloren haben (§ 2).

Im einzelnen wird die Höhe des Schadenersatzes unter Berücksichtigung aller Umstände durch richterliches Ermessen bestimmt; der Richter entscheidet auch, ob und in welcher Art und Höhe Sicherheit zu leisten ist. Die Entschädigung für die geminderte Erwerbsfähigkeit und die Unterhaltungs- und Erziehungskosten sind vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarungen in der Form einer vorauszahlbaren Monatsrente zu leisten (§ 4).

4. Die Ansprüche aus dem HPG. verjähren in drei Jahren, bei Körperverletzungen vom Tage des Unfalls, bei Tötungen vom Todestag an gerechnet (§ 9).

5. Einzelheiten:


a) Verträge oder allgemeine Dienstvorschriften, die die gesetzliche H. aufheben oder einschränken, sind ohne rechtliche Wirkung (§ 3).

b) Auch nach rechtskräftiger Festsetzung der Renten können beide Parteien bei wesentlicher Änderung der für ihre Zuerkennung maßgebenden Umstände auf Erhöhung, Minderung oder gänzlichen Erlaß klagen; war eine zuerkannte Rente wieder erlassen worden, so kann der Bezugsberechtigte bei wesentlicher Änderung der für den Erlaß maßgebenden Momente neuerliche Zuerkennung beantragen (§ 5).

c) Zuständig für H.-Prozesse ist das Gericht erster Instanz, in dessen Sprengel sich der Unfall ereignet hat (§ 7). Das Verfahren bestimmt sich nach §§ 144–151 des Gesetzartikels 54 vom Jahre 1868 und nach § 8 HPG.


D. Belgien.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


In erster Linie kommen die im Artikel H. der Eisenbahnen bezeichneten Bestimmungen des Code civil auch hier in Betracht.


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Als Sondervorschrift ist zunächst Art. 4 des Ges. vom 25. August 1891, betreffend Abänderung des Code de commerce zu erwähnen. Danach haftet die Bahn für alle Unfälle, die Reisenden zustoßen, sofern sie nicht beweist, daß der Unfall auf eine Ursache zurückzuführen ist, die ihr nicht zur Last gelegt werden kann; es tritt in diesem Falle also eine Umkehrung der gewöhnlichen Beweislast wegen des Verschuldens ein.

Ferner wurde in Belgien am 24. Dezember 1903 ein Gesetz über den Ersatz des aus Arbeitsunfällen erwachsenden Schadens erlassen, das sich aufs engste an das französische Ges. vom 9. April 1898 (s. Frankreich) anschließt. Das Gesetz findet auf alle Unternehmungen, die sich[59] mit der Beförderung von Personen oder Sachen zu Lande befassen, also insbesondere auf alle Eisenbahnen Anwendung (Art. 2).

Im allgemeinen können die unter das Gesetz fallenden verunglückten Arbeiter und ihre Angehörigen gegen die Bahn nur auf Grund dieses Gesetzes klagen; nur wenn der Unternehmer den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat, bleibt daneben seine Haftbarkeit nach den allgemeinen Grundsätzen bestehen (Art. 21).

Inhalt des Ges. vom 24. Dezember 1903: 1. Voraussetzung der verschärften Haftung ist ein »Unfall« (d.h. eine Tötung oder körperliche Verletzung), der einem Bahnarbeiter oder einem auf Grund seiner mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung an der Arbeit denselben Gefahren wie ein Arbeiter ausgesetzten Bahnangestellten mit einem Jahresgehalt von nicht mehr als 2400 Fr. während der Ausführung ihrer Obliegenheiten zustößt, wenn dadurch eine Unterbrechung der Arbeit von mindestens einer Woche verursacht wurde. Die Beweislast trifft den Kläger (Art. 1 und 4).

Die Bahn kann sich von der Haftung befreien a) gegenüber allen Berechtigten, wenn sie nachweist: α) daß der Unfall zwar während, aber nicht infolge der Ausführung der Obliegenheiten eingetreten ist (also Vermutung des Kausalzusammenhanges!) oder β) daß der Verletzte selbst den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat; b) gegenüber jeder einzelnen der außer dem Verletzten berechtigten Personen, wenn sie nachweist, daß diese den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat (Art. 1 und 22).

2. Träger der Ersatzpflicht ist die Bahn als Arbeitgeberin (Art. 10).

Die Ansprüche des Berechtigten auf Grund des allgemeinen bürgerlichen Rechts gegen den eigentlich Schuldigen bleiben unberührt. Die Bahn wird aber von ihren Verpflichtungen aus dem Gesetz insoweit entlastet, als der Berechtigte von dem Schuldigen Ersatz erlangt. Macht der Berechtigte seinen Anspruch gegen den Schuldigen nicht geltend, so kann sie selbst es auf ihre Gefahr tun (Art. 21).

War der Verletzte bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit sowohl gegen Krankheit als gegen Unfall in der Weise versichert, daß die Bahn einen Bruchteil der Beiträge von mindestens einem Drittel bezahlte, so werden die in den ersten sechs Monaten nach dem Unfall von dem Versicherungsverein gewährten Leistungen ihren Verbindlichkeiten gutgerechnet (Art. 11).

3. Kreis der Berechtigten und Umfang ihrer Ansprüche:

a) Im Falle der Körperverletzung hat die Bahn zu zahlen: α) die Kosten für Arzt und Apotheker; Gläubiger dieser Forderung sind, solange diese Kosten noch nicht anderweitig bezahlt wurden, der Arzt und der Apotheker, sonst die Personen, die für die Kosten bereits aufgekommen sind. Der Arbeitgeber kann sich durch eine Bestimmung der Arbeitsordnung oder durch besonderen Vertrag mit seinen Arbeitern das Recht vorbehalten, Arzt und Apotheker selbst zu bestimmen. Tut er dies nicht, so fallen ihm die Kosten nur bis zu einem durch kgl. Verordnung bestimmten Höchstbetrag zur Last; β) an den Verletzten eine Rente von 50% des ihm infolge des Unfalles entgehenden Verdienstes (Art. 4 und 5).

b) Im Falle der Tötung sind zu bezahlen: α) 75 Fr. als Beerdigungskosten; Gläubiger analog wie bei a, a die zunächst Forderungsberechtigten, oder die, welche die Kosten ausgelegt haben; β) ferner an gewisse Klassen von Hinterbliebenen in der im Art. 6 des Gesetzes näherbestimmten Reihenfolge Renten von verschiedener Höhe. Um die Höhe dieser Bezüge zu berechnen, wird angenommen, es habe dem Getöteten eine Leibrente von 30% seines Jahresgehaltes zugestanden. Der nach den amtlichen Mortalitätstabellen sich ergebende kapitalisierte Wert dieser Leibrente wird sodann nach einem sehr komplizierten Verfahren auf die einzelnen Berechtigten umgelegt und endlich aus dem auf jeden kommenden Anteil, wieder nach den Mortalitätstabellen, der Betrag der wirklich zu zahlenden Rente errechnet. Im einzelnen vgl. Art. 6.

Die Zahlung der Renten an den Verletzten erfolgt bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit in denselben Zeitabschnitten, in denen der Lohn ausbezahlt worden ist (sog. »zeitweilige Entschädigungen«), bei dauernder Arbeitsunfähigkeit in vierteljährlichen Teilzahlungen (bis zum Ablauf der zu Nr. 5 d, γ [S. 61] erwähnten Frist für die Rektifikationsklagen »jährliche Entschädigungen«, von da ab »Leibrente« genannt). Die Renten an die Hinterbliebenen werden vierteljährlich ausbezahlt (als sog. »Leibrenten«). Auf Antrag eines »Leibrenten«-Berechtigten kann das Gericht die sofortige Auszahlung von höchstens einem Drittel des Kapitalwertes der Leibrente (bei dauernder teilweiser Unfähigkeit und einer jährlichen Rente unter 60 Fr. auch des ganzen Kapitalwertes) anordnen, wenn ihm diese Maßnahme im Interesse des Antragstellers gelegen erscheint (Art. 4, 7, 12). Der der Berechnung der Renten zugrunde liegende Jahresverdienst umfaßt, wenn der Verletzte während des ganzen letzten Jahres vor dem Unfall bei der Bahn angestellt war, seine Bezüge während dieses Zeitraums, wenn er nur kürzere Zeit im Dienst der[60] Bahn gestanden hat, seine Bezüge während der Tätigkeit bei der Bahn, vermehrt um den durchschnittlichen Verdienst eines Arbeiters oder Angestellten gleicher Art während der übrigen Zeit des Jahres. Übersteigt (bei einem Arbeiter) der Jahresverdienst 2400 Fr., so wird der Überschuß über diese Summe nicht in Ansatz gebracht (Art. 8).

4. Die Klagen aus dem Gesetze verjähren in drei Jahren nach der Entstehung des Klageanspruchs (Art. 30).

5. Einzelheiten:


a) Sicherstellung der Leistungen: α) Hat der Arbeitgeber eine Haftpflichtversicherung mit der staatlichen »allgemeinen Spar- und Pensionskasse« oder mit einer zugelassenen privaten Versicherungsanstalt abgeschlossen, so können die nach dem Gesetz Berechtigten sich unmittelbar an den Versicherer halten; wird der Unternehmer selbst in Anspruch genommen, so kann er den Eintritt des Versicherers in den Prozeß herbeiführen. Hat der Arbeitgeber keinen solchen Vertrag geschlossen, so muß er Beiträge an einen staatlich verwalteten Garantiefonds leisten. Von diesen Bestimmungen kann beim Nachweis sonstiger Garantien dispensiert werden (Art. 10, 27). β) Nach Eintritt eines Unfalles hat der Unternehmer, wenn er keine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, entweder in der im Art. 16 näher bezeichneten Weise die dauernde Zahlung der ihm obliegenden Renten sicherzustellen oder ihren Kapitalwert sofort an die »allgemeine Spar- und Pensionskasse« abzuführen, die dann die Auszahlung der Leistungen übernimmt (Art. 14 u. 16). γ) In der Zwangsvollstreckung sind die Ansprüche gegen den Unternehmer (nicht aber die gegen den Versicherer) nach Nr. 4 b des Art. 19 des Gesetzes vom 16. Dezember 1851 privilegiert (Art. 15). δ) Bei nachgewiesener Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers und gegebenenfalls auch des Versicherers haftet den Berechtigten der oben erwähnte Garantiefonds; dieser kann seinerseits gegen die in erster Linie Verpflichteten Regreß nehmen (Art. 20).

b) Die Ansprüche aus dem Gesetz sind nicht abtretbar und nur zugunsten von Alimentenforderungen pfändbar (Art. 13).

c) Jede Vereinbarung, die dem Gesetz widerspricht, ist ohne Rechtswirkung (Art. 23).

d) Prozessualisches: α) Zur Erleichterung eines etwaigen Prozesses hat der Arbeitgeber dem Arbeitsinspektor von jedem Unfall Anzeige zu machen; wenn er dabei seine Haftpflicht bestreitet, so findet eine Voruntersuchung durch den Arbeitsinspektor statt (Art. 24). β) Zuständig für alle Haftpflichtklagen ist der Friedensrichter des Kantons, in dem sich der Unfall ereignet hat; wenn es sich um einen Streit wert unter 300 Fr. handelt, sogar in erster und letzter Instanz. Haben mehrere Unternehmer einen Haftpflichtverband auf Gegenseitigkeit gegründet, so können dessen Statuten die Zuständigkeit eines paritätisch besetzten Schiedsgerichts vorschreiben (Art. 26). γ) Innerhalb drei Jahren nach einem Vergleich zwischen den Parteien oder einem rechtskräftigen Urteil kann von den Berechtigten wegen Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder wegen nachträglichen Todes des Verletzten infolge des Unfalls, von dem Unternehmer wegen Besserung der Unfallfolgen eine Rektifikationsklage erhoben werden (Art. 30).


E. Frankreich.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


Die im Artikel H. der Eisenbahnen besprochenen Grundsätze des französischen Deliktsrechts gelten auch für Tötungen und Körperverletzungen.


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Die Bestimmungen des Code civil und die Auslegung, die sie in der Praxis erfahren haben, insbesondere die freie Stellung des Richters, der große Kreis der Ersatzberechtigten, zu dem als mittelbar geschädigt von vornherein auch die Angehörigen des Verletzten gehören, und der weite Umfang ihrer Ansprüche, die unbedingte Haftung der Bahn für das Verschulden ihrer Angestellten und Arbeiter, sowie das Verbot entgegenstehender Abmachungen entsprechen dem tatsächlichen Bedürfnis in so hohem Maße, daß von dem Erlaß eines HPG., etwa nach Art des deutschen oder österreichischen, abgesehen werden konnte. Dagegen erging unter dem 9. April 1898 aus sozialpolitischen Gründen ein Gesetz, betreffend die Haftung für Unfälle, von denen Arbeiter bei ihrer Arbeit betroffen werden. Dieses Gesetz verfolgt ähnliche Ziele wie die deutsche Und österreichische Unfallversicherungsgesetzgebung, führt jedoch keine öffentlich rechtliche Versicherung ein, sondern gewährt zivilrechtliche Rentenansprüche unmittelbar gegen den Arbeitgeber; aus diesem Grunde ist es hier zu besprechen. Es gilt außer für eine Reihe anderer besonderer gefährlicher Betriebe auch für Transportunternehmungen (entreprises de transport), also namentlich für alle Bahnen (Art. 1).

Die unter das Gesetz vom 9. April 1898 fallenden Arbeiter können, wenn seine Voraussetzungen gegeben sind, gegen ihre Arbeitgeber nur auf Grund dieses Gesetzes vorgehen. Der Code civil kommt also nur in Ausnahmsfällen in Betracht (Art. 2).

Inhalt des Gesetzes:

1. Voraussetzung der besonderen Haftung ist ein »Unfall« (accident), der einem Arbeiter oder Angestellten der Bahn infolge oder gelegentlich seiner Arbeit zugestoßen ist, wenn dadurch eine Unterbrechung der Arbeit von mehr als viertägiger Dauer hervorgerufen ist (Art. 1). »Unfall« ist jede Tötung oder Körperverletzung, die durch ein einzelnes zeitlich bestimmbares Ereignis verursacht worden ist, das selbst wieder mit der Ausführung der dem Verletzten übertragenen Arbeiten (wenn auch nur sehr entfernt und mittelbar) ursächlich zusammenhängt. Selbständige Arbeitsleute fallen auch dann nicht unter das Gesetz, wenn[61] sie gelegentlich eine Verrichtung für die Bahn zusammen mit dauernd bei dieser beschäftigten Personen vorzunehmen haben. Die Beweislast für sämtliche Punkte trifft den Kläger.

Die Bahn kann sich durch den Nachweis befreien, daß der Verletzte den Unfall absichtlich herbeigeführt hat. (Art. 20, Abs. 1.)

2. Ersatzpflichtig ist der Bahnunternehmer (chef d'entreprise), Art. 1. Die auf dem Code civil beruhende Haftung ex delicto des eigentlich schuldigen Dritten bleibt daneben (mit gewissen im Art. 7 enthaltenen Modifikationen) bestehen.

In der Höhe, in der der Berechtigte von diesem Ersatz erlangt, wird der Unternehmer entlastet. Deshalb hat letzterer das Recht, in dem Prozesse des Berechtigten gegen den Dritten zu intervenieren; ja, er kann sogar die Klage zu gunsten des Berechtigten selbst erheben, wenn dieser es unterläßt (Art. 7).

Versicherungsleistungen, die der Verletzte anläßlich des Unfalles erhält, kommen der Bahn in folgenden Fällen zu gute:

a) Hat die Bahn nachweislich ihre Arbeiter in eine der durch das Gesetz neugeschaffenen Hilfskassen auf Gegenseitigkeit (sociétés de secours mutuels) aufnehmen lassen und von den Beiträgen den in den ministeriell genehmigten Mustersatzungen festgestellten Bruchteil (mindestens 1/3) übernommen, so wird sie (je nach der Höhe des Bruchteils) für die ersten 30, 60 oder 90 Tage von ihrer Verpflichtung zur Zahlung der Kosten für Arzt und Apotheker oder zu sog. »täglicher Entschädigung« (s. unten Nr. 3) bis zu dem Betrag befreit, zu dem der Berechtigte gleichartige Leistungen von der Hilfskasse erhält (Art. 5).

b) Hat sie den Betroffenen bei einer der nach Titel III des Gesetzes vom 29. Juni 1894 errichteten industriellen Hilfskassen durch Zahlungen eines jährlichen Zuschusses, dessen Höhe mit ministerieller Genehmigung von diesen Kassen bestimmt wird, versichert, so kommen Leistungen der unter a erwähnten Art überhaupt in Wegfall (Art. 6).

3. Kreis der Ersatzberechtigten und Inhalt ihrer Ansprüche:

a) Im Falle der Körperverletzung erhält der Verletzte α) bei dauernder, völliger Arbeitsunfähigkeit (d.h. der Unfähigkeit zu jeder Art von Erwerbsarbeit) eine jährliche Rente gleich 2/3 seines Jahresverdienstes; β) bei dauernder, verminderter Arbeitsfähigkeit eine jährliche Rente gleich der Hälfte des durch den Unfall bewirkten Verdienstentgangs; γ) bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit vom fünften Tage ab eine »tägliche Entschädigung« gleich der Hälfte des zur Zeit des Unfalls bezogenen Tagesverdienstes. Die Renten wegen dauernder (ganzer oder teilweiser) Arbeitsunfähigkeit sind von dem Zeitpunkte an zu bezahlen, in dem diese Tatsache sicher erkennbar ist; bis dahin ist die »tägliche Entschädigung« zu gewähren. δ) Außerdem sind die Kosten für Arzt und Apotheker dem zu ersetzen, der dafür aufgekommen ist. Wenn der Verletzte seinen Arzt ohne Zustimmung des Arbeitgebers wählt, so muß nur die Armentaxe vergütet werden (Art. 3 u. 4).

b) Im Falle der Tötung erhält α) der überlebende Ehegatte, wenn er weder vollständig noch von Tisch und Bett geschieden ist und die Ehe schon vor dem Unfall geschlossen war, eine jährliche Rente von 20% des Jahresverdienstes des Verunglückten. Bei der Wiederverheiratung wird er mit dem dreifachen Betrag dieser Rente abgefunden, β) Die ehelichen und die vor dem Unfall anerkannten unehelichen Kinder bekommen bis zum Alter von 16 Jahren jährliche Renten, die, wenn die Kinder Doppelwaisen sind, für jedes 20%, zusammen aber höchstens 60%, wenn sie einfache Waisen sind, bei einem Kind 15%, bei zwei Kindern zusammen 25%, bei drei Kindern 35%; bei vier oder mehr Kindern 40% des Jahresverdienstes betragen, γ) Hinterläßt der Verletzte weder einen Ehegatten noch Kinder, so erhalten alle vorhandenen alimentationsberechtigten oder tatsächlich von dem Verletzten unterhaltenen Aszendenten und Deszendenten – erstere auf Lebensdauer, letztere. bis zum Alter von 16 Jahren – jährliche Renten, die für jede Person 10%, zusammen aber höchstens 30% betragen (gegebenenfalls verhältnismäßige Minderung). δ) Schließlich sind die etwa entstandenen Kosten für Arzt und Apotheker wie im Falle a und die Beerdigungskosten – diese höchstens mit 100 Fr. – denen zu ersetzen, die sie tatsächlich getragen haben (Art. 3 u. 4). Die Renten sind vierteljährlich zahlbar. Der bei ihrer Berechnung zu gründe gelegte Jahresverdienst umfaßt bei Arbeitern, die ununterbrochen das ganze Jahr vor dem Unfall bei der Bahn beschäftigt waren, alles, was sie in dieser Zeit wirklich an Geld oder in Natur als Entgelt für ihre Arbeit bezogen haben, bei Arbeitern, die seit kürzerer Zeit im Dienste der Bahn gestanden haben, ihren Verdienst in dieser Zeit und den Durchschnittsverdienst von Arbeitern gleicher Art für den übrigen Teil des Jahres. Handelte es sich um Lehrlinge oder Arbeiter unter 16 Jahren, so wird mindestens der niedrigste Verdienst erwachsener, bei demselben Arbeitgeber beschäftigter Arbeiter gleicher Art in Ansatz gebracht;[62] jedoch darf die »tägliche Entschädigung« nie mehr als der wirkliche Verdienst des jugendlichen Arbeiters betragen. Hatte der Verletzte einen Jahresverdienst von mehr als 2400 Fr., so wird von dem Überschuß über diese Summe nur ein Viertel der Berechnung der Renten zu gründe gelegt (Art. 2, 8 und 10).

Fremde Arbeiter, die Frankreich nach dem Unfall wieder verlassen, werden bei ihrer Auswanderung mit dem dreifachen Jahresbetrag der ihnen zukommenden Renten abgefunden (Art. 3). Wird nachgewiesen, daß der Unfall auf Fahrlässigkeit des Verletzten zurückzuführen ist, so können die Renten wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit oder Tötung vom Richter nach Ermessen herabgesetzt werden. War umgekehrt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Arbeitgebers oder seiner leitenden Organe die Ursache des Unfalls, so kann der Richter die Entschädigungen erhöhen. Die Rente darf jedoch bei völliger Arbeitsunfähigkeit oder Tötung den Betrag des Jahresverdienstes, bei verminderter Erwerbsfähigkeit den des Verdienstentgangs nicht übersteigen (Art. 20).

4. Die Ansprüche auf Grund des Gesetzes verjähren in einem Jahre vom Tage des Unfalls oder vom Abschluß der Untersuchung des Friedensrichters oder vom Aufhören der Bezahlung einer »täglichen Entschädigung« an (Art. 18).

5. Einzelheiten:


a) Jede vom Gesetz abweichende Vereinbarung, sie mag dem Unternehmer zum Vorteil oder Nach teil gereichen, ist nichtig (Art. 30). Nur in zwei Punkten sind Abweichungen zugelassen: α) Es kann vereinbart werden, daß bei einem Jahresverdienst von über 2400 Fr. von dem Überschuß über diese Summe ein höherer Betrag als ein Viertel bei der Berechnung der Renten in Ansatz gebracht wird (Art. 2, Abs. 2).

β) Die Parteien können nach rechtskräftiger Feststellung der Höhe der Renten sich über eine andere Form der Entschädigung als Rentenzahlung einigen; jedoch ist Kapitalsabfindung nur bei Renten von mehr als 100 Fr. im Jahre zulässig (Art. 21).

b) Prozessualisches: α) um die Feststellung der Haftung im Prozesse möglichst zu erleichtern, sind die Arbeitgeber verpflichtet, binnen 24 Stunden nach dem Unfall eine Anzeige beim Bürgermeisteramt zu erstatten und binnen vier Tagen ein ärztliches Zeugnis über die Folgen des Unfalls beizubringen. Beide Schriftstücke werden dem Friedensrichter übersandt (Art. 11).

β) Prozesse über die Beerdigungs- und Heilungskosten, sowie die »tägliche Entschädigung« werden ohne Rücksicht auf den Streitwert in erster und letzter Instanz vom Friedensrichter entschieden (Art. 15).

γ) Kommt nach der Anzeige und dem ärztlichen Zeugnis eine Tötung oder dauernde Arbeitsunfähigkeit in Frage, so findet sobald wie möglich eine Untersuchung durch den Friedensrichter über die tatsächlichen Verhältnisse statt. Die Akten werden dem Präsidenten des Kreisgerichts übersandt (Art. 12, 13). Dieser ladet die Parteien hierauf zu einem Sühnetermin. Kommt eine Einigung zu stande, so wird sie gerichtlich bestätigt; sonst wird der Prozeß im beschleunigten Verfahren vor dem Kreisgericht durchgeführt. Gegen dessen Urteile ist die Berufung an den Appellhof, gegen dessen Entscheidungen die Anrufung des Kassationshofs möglich (Art. 16, 17).

δ) Auch nach rechtskräftiger Feststellung der Haftung kann binnen drei Jahren nach der Einigung oder dem Endurteil eine Rektifikationsklage wegen nachträglichen Eintritts des Todes oder der dauernden Arbeitsunfähigkeit infolge des Unfalls oder wegen veränderten Grades der dauernd verminderten Arbeitsunfähigkeit von beiden Teilen erhoben werden (Art. 19). Nach Ablauf dieser Zeit können die Verletzten, denen endgültig eine lebenslängliche Rente zusteht, deren Abänderung in zweifacher Hinsicht verlangen: einmal ist ihnen auf Wunsch an Stelle eines Bruchteils dieser Rente, der jedoch höchstens ein Viertel betragen darf, der Kapitalwert dieses Bruchteils sofort bar auszubezahlen. Ferner kann der Verletzte bestimmen, daß an Stelle der vollen bisherigen oder durch die eben erwähnte Kapitalzahlung verminderten Rente, die nur ihm persönlich auf Lebensdauer zusteht, eine neue tritt, die bei seinem Tod zu einer bestimmten Quote (von höchstens 1/2) auf seinen etwa überlebenden Ehegatten übergeht; die neue Rente ist, so zu berechnen, daß ihr Kapitalwert mit dem der alten übereinstimmt. Als Grundlage für die Bestimmung des Kapitalwerts dienen die von der »Alterspensionskasse« (caisse nationale de retraites pour la vieillesse) aufgestellten Mortalitätstabellen (Art. 9). ε) Die Verletzten und ihre Hinterbliebenen haben ein Recht auf unentgeltliche Beiordnung eines Anwalts durch das Gericht (Art. 22). ζ) Das Verfahren ist meist gebührenfrei (Art. 29). η) Die H.-Renten sind unpfändbar und unabtretbar (Art. 3).

c) Sicherung der Berechtigten gegen Zahlungsunfähigkeit des Haftpflichtigen: α) Für die Forderungen auf Ersatz der Heilungs- und Beerdigungskosten und auf »tägliche Entschädigung« bestehen bei der Vollstreckung die Privilegien des Art. 2101 Code civil (Art. 23).

β) Sind die Renten wegen Tötung oder dauernder Arbeitsunfähigkeit nicht beitreibbar, so haftet dem Berechtigten die obenerwähnte Alterspensionskasse; bei dieser wird ein Garantiefonds aus besonderen Steuern zu diesem Zwecke angesammelt. Die Pensionskasse hat ein Regreßrecht gegen die Unternehmer für die Zahlungen, die sie an deren Stelle leistet. Bei der Beendigung des Unternehmens muß der Haftpflichtige, wenn er nicht andere Garantie bietet, schon vorher den Kapitalwert der geschuldeten Renten an die Pensionskasse abführen, die dann die Auszahlung der Renten übernimmt. Der Arbeitgeber kann die Übernahme der Renten durch die Pensionskasse jederzeit durch freiwillige Zahlung jenes Kapitalwerts herbeiführen. Die näheren Bestimmungen über den Garantiefonds, die Zahlungspflicht und das Regreßrecht der Pensionskasse sowie die anderen Garantien des haftpflichtigen Unternehmers bei Auflösung seines Betriebs sind durch zwei Verordnungen vom 28. Februar 1899 geregelt (Art. 24–28).


F. Italien.


Die im Artikel H. der Eisenbahnen (unter Verweisung auf Frankreich) erwähnten Grundsätze[63] des Codice civile über Delikte gelten auch für Tötungen und Körperverletzungen.

Besonderheiten: Nach dem Gesetz über die Betriebsunfälle der Arbeiter vom 17. März 1898 sind die Unternehmer von Eisenbahnen (von Trambahnen nur dann, wenn diese mit mechanischer Kraft betrieben werden) verpflichtet, die Arbeiter – mögen diese ständig oder nur vorübergehend beschäftigt sein auf ihre Kosten für die Dauer der Arbeit bei einer Versicherungsanstalt, deren Wahl dem Unternehmer freisteht (staatliche und kommunale Bahnen jedoch stets bei der sog. »nationalen Versicherungskasse«); gegen Unfälle, die den Tod oder eine mehr als fünftägige Krankheit verursachen, in der Weise zu versichern, daß die Arbeiter gewisse im Gesetz näher bezeichnete Entschädigungen erhalten. Die Unternehmer werden hierdurch im allgemeinen von ihrer zivilrechtlichen Haftung befreit. Ist jedoch straf gerichtlich festgestellt, daß der Unternehmer oder einer seiner Angestellten den Unfall durch eine strafbare Handlung verursacht hat, so hat die Versicherungsanstalt ein Regreßrecht gegen die Bahn.


G. Niederlande.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


In erster Linie kommen auch hier die im allgemeinen Artikel erwähnten Bestimmungen des Burgerlyk Wetboek in Betracht. Besonderheiten zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): a) Bei Körperverletzung ist lediglich der Verletzte ersatzberechtigt. Er hat Anspruch α) auf Vergütung der Heilungskosten im vollen Umfang; β) auf Ersatz des sonst durch die Verletzung erlittenen Schadens in der Höhe, die das Gericht nach Maßgabe des beiderseitigen Vermögensstandes und nach den Umständen für angemessen hält (Art. 1407 BW.).

b) Im Falle der Tötung erhalten der hinterbleibende Ehegatte, die Kinder und die Eltern des Getöteten, soweit sie durch seine Arbeit erhalten wurden, Schadenersatz in der wie zu a, β vom Gericht bestimmten Höhe (Art. 1406 BW.).


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Nach Art. 1 des holländischen Eisenbahngesetzes von 1875 (jetzt in der Fassung von 1893) und Art. 1 und 2 des Gesetzes vom 9. Juli 1900 haftet der Unternehmer einer Eisenbahn für den Schaden, den Reisende durch Ausübung des Betriebs erleiden, es sei denn, daß der Schade nicht durch sein Verschulden oder das seiner Beamten oder Bediensteten entstanden ist. Hiernach tritt also eine Umkehrung der gewöhnlichen Beweislast insofern ein, als zunächst ein Verschulden der Bahn vermutet wird und es ihr überlassen bleibt, den Gegenbeweis für ihre Schuldlosigkeit zu führen. So die Rechtsprechung des Hooge Raad; nach einer anderen Auffassung gilt diese Bestimmung bei Haupt- und Nebenbahnen (nicht bei Kleinbahnen mit 20 km Höchstgeschwindigkeit) auch für andere Personen als Reisende.


H. Schweiz.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


Die im Artikel »Haftpflicht der Eisenbahnen« dargestellten Grundsätze des schweizerischen Obligationenrechts gelten im allgemeinen auch für Tötungen und Körperverletzungen.

Besonderheiten zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): a) Im Falle der Körperverletzung ist nur der Verletzte ersatzberechtigt; er hat Anspruch α) auf Ersatz der ihm erwachsenen Kosten; β) auf Ersatz für den Verdienstentgang, den er infolge gänzlicher oder teilweiser Arbeitsunfähigkeit (unter Berücksichtigung der Erschwerung seines wirtschaftlichen Fortkommens) erleidet; γ) ferner kann der Richter unter Würdigung der besonderen Umstände dem Verletzten eine angemessene Geldsumme als weitere Entschädigung für die erlittene Unbill zusprechen (Art. 46 und 47 OR).

b) Im Falle der Tötung stehen zunächst α) den Erben des Verletzten die diesem nach a) bereits erwachsenen Ansprüche zu. β) Ferner hat jede Person, der infolge der Verletzung oder des Todes Kosten entstanden sind, Anspruch auf deren Ersatz. Als Beispiele nennt das Gesetz die Kosten der versuchten Heilung, worunter alle angemessenen Ausgaben zur Erhaltung des Lebens und zur Hebung des Gesundheitszustandes zu verstehen sind, und die Kosten standesgemäßer Beerdigung, γ) Weiterhin sind allen Personen, die infolge der Arbeitsunfähigkeit des Getöteten schon zu seinen Lebzeiten tatsächlich einen Einnahmeausfall erlitten haben, sowie denen, die durch den Tod ihren Versorger verloren haben, die entgangenen Einkünfte (insbesondere Zuschüsse zum Lebensunterhalt) zu ersetzen. Der Verstorbene ist »Versorger«, wenn er ganz oder zum Teil für den Unterhalt zur Zeit des Unfalls aufkam oder nach dem natürlichen Lauf der Dinge in Zukunft aufgekommen wäre, u.zw. gleichviel, ob er hierzu gesetzlich verpflichtet war oder nicht. δ) Auch die Hinterbliebenen haben, wenn nicht schon der Verstorbene nach a, γ eine Genugtuung erhalten hatte, Anspruch auf eine solche, nach billigem Ermessen des Richters (Art. 45, 47 OR.).[64]

Zu Nr. 5, Einzelheiten:


a) Bei Körperverletzungen, deren Folgen im Zeitpunkte der Urteilsfällung noch nicht hinreichend sicher feststellbar sind, kann der Richter die Abänderung des Urteils auf zwei Jahre vom Tage der Verkündung an vorbehalten. Tut er dies nicht, so ist eine Rektifikationsklage ausgeschlossen (Art. 46). b) Die Entschädigungsansprüche wegen Tötung oder Körperverletzung sind unpfändbar, aber auch in der Regel rechtsgeschäftlich nicht übertragbar. (Art. 92, Ziff. 10 des Schuldbeitreibungsgesetzes).


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Auch in der Schweiz erwies sich der Grundsatz der Kulpahaftung gegenüber den erhöhten Gefahren des Eisenbahnbetriebes auf die Dauer als unzureichend. Es erging deshalb nach deutschem Vorbild das auf dem Prinzip der Kausalhaftung ex lege beruhende Bundesgesetz betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffahrtsunternehmungen vom 1. Juli 1875. Um dieses Gesetz mit den Grundsätzen des inzwischen erlassenen schweizerischen Obligationenrechts, sowie des Fabrikhaftpflichtgesetzes vom 25. Juni 1881 (mit Novelle vom 26. April 1887) in Einklang zu bringen, wurde das EHPG. einer Revision unterzogen, aus der es in der geltenden Fassung vom 28. März 1905 als »Bundesgesetz, betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffunternehmungen und der Post« hervorgegangen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Haftung der Bahn, soweit das EHPG. anwendbar ist, durch dieses erschöpfend geregelt; das Obligationenrecht findet also nicht konkurrierend, sondern nur in den verhältnismäßig seltenen Fällen Anwendung, in denen die Voraussetzungen des EHPG. nicht gegeben sind. Eine Verschärfung der H. noch über die Bestimmungen des HPG. hinaus kann nach Art. 21 des EHPG. in den Eisenbahnkonzessionen vorgesehen werden; hiervon ist nur bei einigen besonders gefährlichen Bergbahnen, z.B. der Jungfraubahn, Gebrauch gemacht worden.

Inhalt des EHPG.: 1. Voraussetzung der spezialgesetzlichen H. ist die Tötung oder körperliche Verletzung eines Menschen durch einen Unfall beim Bau oder beim Betrieb einer Eisenbahn, oder bei Hilfsarbeiten, mit denen die besondere Gefahr des Eisenbahnbetriebs verbunden ist (Art. 1). Eisenbahn im Sinne dieser Bestimmung ist jedes Unternehmen, dessen Zweck die Beförderung von Personen oder Sachen auf Eisenschienen ist; Betriebsart und Betriebskraft sind gleichgültig. Die Tötung oder Körperverletzung (äußere oder innere, auch psychische Störung) muß in ursächlicher, zeitlicher und örtlicher Beziehung zu einem Vorgang stehen, der entweder dem Bahnbau (d.h. der Herstellung, Instandhaltung und Reparatur der Bahnanlagen) oder dem Bahnbetrieb (d.h. der Personen- oder Güterbeförderung samt ihrer unmittelbaren Vorbereitung und ihrem unmittelbaren Abschluß) dient, oder sich als eine Hilfsarbeit darstellt, mit der die besonderen Gefahren des Eisenbahnbetriebs verbunden sind. Dieser ursächliche Vorgang muß ein zeitlich näher bestimmbares einzelnes Ereignis sein; er heißt in der Sprache des EHPG. der Unfall. Ursächlicher Zusammenhang mit den besonderen Betriebsgefahren ist nur bei der dritten Kategorie von Unfällen erforderlich. Die Beweislast für die sämtlichen Punkte trifft den Kläger.

Von der H. kann sich die Bahn nur befreien, wenn sie nachweist: a) daß die überwiegende Ursache des Unfalls in »höherer Gewalt« besteht, d.h. in einem außergewöhnlichen, von außen in den Betrieb eingreifenden, trotz aller vernünftigerweise zu verlangenden Sorgfalt nicht abwendbaren Ereignis (also nicht etwa in einem sog. »inneren Zufall« d.h. einem Vorkommnis, das mit den Betriebsgefahren, dem Verhalten des Personals, dem Zustand der Anlagen oder Transportmittel u. dgl. zusammenhängt Art. 1); b) oder daß die überwiegende Ursache das Verschulden »Dritter« ist (d.h. anderer Personen als des Verletzten, des ständigen Personals der Bahn und der Personen, deren sie sich sonst, wenn auch nur vorübergehend, beim Betrieb oder beim Bau bedient). Nach der Rechtsprechung ist auch in diesem Falle notwendig, daß die Bahn das Verhalten der »Dritten« nicht durch geeignete Maßnahmen hintanhalten oder unschädlich machen konnte (Art. 1);

c) oder daß die überwiegende Ursache das eigene Verschulden des Verletzten ist, d.h. die vorsätzliche oder fahrlässige Außerachtlassung der gebotenen Rücksicht auf die eigene Sicherheit. Dabei ist jedoch, wenn ein Angestellter der Bahn verletzt wird, zu beachten, daß das Personal zur Übernahme gewisser Gefahren geradezu verpflichtet ist. Auch bei unzurechnungsfähigen Personen kann von einem Verschulden im Sinne von b oder c nicht die Rede sein (Art. 1);

d) oder daß der Verletzte oder Getötete sich durch eine »verbrecherische oder unredliche Handlung« (d.h. ein Verbrechen oder Vergehen des Strafrechts) »mit der Bahn in Berührung gebracht« d.h. in den Gefahrenkreis der Bahn begeben hat, selbst wenn dieses Vorgehen den Unfall nicht verursacht hat. Das Urteil des Strafgerichts über das[65] Vorliegen einer solchen Handlung ist dabei für das Zivilgericht nicht bindend (Art. 6).

2. Träger der H. ist der »Inhaber der Bahnunternehmung« d.h. die Person, auf deren Rechnung und Gefahr der Betrieb er folgt (Art. 1). Dies ist insbesondere bei Beteiligung verschiedener Bahnen an einem Unfall wichtig. Für das Verhältnis der haftpflichtigen Bahn zu anderen Ersatzpflichtigen gelten die allgemeinen Grundsätze. (S. H. der Eisenbahnen.) Ein Regreßrecht der Bahn gegen alle Personen, die durch ihr Verschulden den Unfall verursacht haben, ist ausdrücklich im Art. 18 EHPG. vorbehalten.

Für die Anrechnung von Versicherungssummen bestehen folgende Sonderbestimmungen:


War der Verletzte in der Weise gegen Unfall versichert, daß der haftpflichtige Unternehmer sich an der Zahlung der Prämien oder Beiträge beteiligt hat, so können nach richterlichem Ermessen die Versicherungsleistungen zu dem Bruchteile, zu dem die Bahn beigetragen hat, von der Schadenersatzsumme abgezogen werden. Sind Angestellte oder Arbeiter der Bahn verletzt, so findet dieser Abzug nur statt, wenn die Versicherung für alle in dem Bahnunternehmen etwa vorkommenden Bau- oder Betriebsunfälle genommen war (Art. 14).


3. Der Kreis der Ersatzberechtigten und der Umfang ihrer Ansprüche ist im EHPG. im allgemeinen ebenso geregelt wie in den oben zu I, 3 besprochenen Grundsätzen des Obligationenrechts. Abweichungen bestehen in zweifacher Hinsicht: a) Die Entschädigung für erlittene Unbill kann nur dann zugesprochen werden, wenn den Unternehmer, sein Personal oder die nur vorübergehend beim Betrieb oder Bau beschäftigten Personen ein Verschulden (namentlich Arglist oder grobe Fahrlässigkeit) trifft; b) ferner kann der Richter dem Verletzten bei einer Verstümmelung oder Entstellung, durch die sein Fort kommen geschädigt wird, auch Ersatz des dadurch erlittenen Vermögensschadens zuerkennen (Art. 2, 3, 8).

Der Richter kann die hiernach zu zahlenden Entschädigungen nach billigem Ermessen ermäßigen, wenn der Getötete oder Verletzte einen ungewöhnlich hohen Erwerb hatte, dann, wenn ihm mitwirkendes (aber nicht überwiegendes) Verschulden zur Last fällt und wenn er sich durch wissentliche Übertretung polizeilicher Vorschriften mit der Eisenbahn in Berührung gebracht hat; im letzten Fall kann das Gericht sogar ganz von der Ersatzpflicht entbinden (Art. 4, 5, 7).

Bei der Bestimmung der Art des Schadenersatzes hat der Richter nach dem Gesetz freie, auch durch die Anträge der Parteien nicht gebundene Wahl zwischen Rentenzahlung, Kapitalsabfindung und Kapitalsabfindung verbunden mit Rentenzahlung. Falls er auf Rentenzahlung erkennt, hat er gegebenenfalls auch die erforderlichen Anordnungen für die Sicherstellung der Rente zu treffen (Art. 9). Die Praxis hat hierbei folgende Grundsätze entwickelt: Der Ersatz für bereits erwachsene Kosten wird stets in Kapital geleistet, ebenso eine Genugtuung für immateriellen Schaden. Dagegen wird die Entschädigung für künftige Kosten sowie für den Einnahmeausfall in der Regel als Rente zugesprochen; sie ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (des bisherigen Verdienstes, der Aussicht auf künftige Steigerung oder Minderung, der mutmaßlichen Lebensdauer des Verletzten nach den auf Grund der Erfahrung aufgestellten Mortalitätstabellen, des prozentual bestimmten Grads der Arbeitsunfähigkeit) zu berechnen. Nur in Ausnahmefällen, wo ein besonderes Bedürfnis des Berechtigten es rechtfertigt und Garantien für verständige Verwendung bestehen, wird auf gänzliche oder teilweise Kapitalsabfindung erkannt; übrigens berechnet die Praxis auch in diesem Fall zunächst die erforderliche Rente und bestimmt dann die Abfindungssumme, indem sie von dem kapitalisierten Wert der Rente 20% wegen der Vorteile der Barzahlung abzieht.

4. Die Haftpflichtansprüche verjähren in zwei Jahren vom Tage des Unfalls an (Art. 14).

5. Einzelheiten:


a) die gesetzliche H. kann weder durch einseitige Erklärungen noch durch vertragliche Abmachungen im voraus ausgeschlossen oder eingeschränkt werden; entgegenstehende Rechtsgeschäfte sind ohne rechtliche Wirkung. Nach dem Unfall können solche Verträge rechtswirksam geschlossen werden; sie können jedoch (außer wegen der all gemeinen Anfechtungsgründe) auch wegen offen barer Unzulänglichkeit der dem Berechtigten zu gesicherten Entschädigung angefochten werden (Art. 16 u. 17).

b) Die Ansprüche der Angestellten und Arbeiter, aus dem EHPG. sind weder pfändbar noch rechts geschäftlich übertragbar (Art. 15 EHPG. und Art. 92 des Schuldbeitreibungsgesetzes).

c) Prozessualisches, α) Für die Rektifikationsklage gilt das unter I, 5 a (S. 65) Gesagte (Art. 10).

β) Für die H.-Klagen besteht ein Gerichtsstand zunächst an dem ordentlichen Domizil der Bahn, das sich aus deren Konzessionsurkunde ergibt, außerdem an den Hauptorten aller von der Bahn berührten Kantone (Art. 19).

γ) Für die H.-Klagen gilt (ohne Rücksicht auf die Beweisregeln der kantonalen Prozeßgesetze) der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Art. 20).

δ) Auf Grund des Art. 22 EHPG. ist in allen Kantonen für die H.-Klage die Zulässigkeit des I Armenrechts bei Bedürftigkeit in nicht ganz aussichtslosen[66] Prozessen, sowie das sog. beschleunigte Verfahren eingeführt.

ε) Klagen gegen die Bundesbahnen sind gegen die zuständige Kreisdirektion als Vertreterin des eidgenössischen Fiskus zu richten (Art. 25).


I. Die skandinavischen Länder.


Dänemark.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


In erster Linie gelten die im Artikel H. der Eisenbahnen besprochenen Rechtssätze auch hier.

Besonderheiten zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): Bei Körperverletzungen ist außer dem Ersatz des Vermögensschadens auch ein Schmerzensgeld zu gewähren.


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Eine verschärfte Haftung der Eisenbahnen ist durch das Gesetz vom 26. März 1898 eingeführt worden.

1. Voraussetzung für die Anwendung dieses Gesetzes ist die Verletzung oder Tötung von Reisenden oder- anderen Personen während der Fahrt oder bei Benutzung von Betriebseinrichtungen der Bahn. Die Beweislast trifft den Kläger. Die Bahn kann sich durch den Nachweis befreien: a) daß der Geschädigte selbst den Schaden vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat; b) daß der Schaden auch bei Anwendung der Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte, die der Bahnbetrieb von der Verwaltung und den Bediensteten in bezug auf Betriebsführung und Material erfordert (§ 1).

2. Ersatzpflichtig ist der Bahnunternehmer, d.h. die Person, auf deren Rechnung und Gefahr der Betrieb erfolgt (§ 1).

3. Kreis der Ersatzberechtigten und Umfang ihrer Ansprüche: a) im Falle der Körperverletzung ist nur der Verletzte ersatzberechtigt, er erhält α) Ersatz für die Heilungskosten; β) für den Erwerbsverlust in der Zeit der ärztlichen Behandlung; γ) wenn auch über diese Zeit hinaus eine Verringerung der Erwerbsfähigkeit besteht, Ersatz des hierdurch erwachsenen Schadens, der nach Lage der Umstände in Form einer einmaligen Abfindungssumme oder einer lebenslänglichen oder zeitlich begrenzten Rente zu gewähren ist; δ) ein »Schmerzensgeld« als Ausgleich für die erduldeten Leiden und die bleibenden Gebrechen und Verunstaltungen (§ 2).

b) Im Falle der Tötung gehen α) die Ansprüche, die der Verstorbene nach a bereits erworben hatte, auf die Erben über; ferner sind β) die Kosten der Beerdigung den Personen zu ersetzen, die dafür aufgekommen sind und γ) dem hinterbliebenen Ehegatten und den Kindern (auch Stief- oder Adoptivkindern) Entschädigungen für die Nachteile zu zahlen, die sie durch den Verlust ihres Versorgers erleiden; diese Entschädigung kann in Form einer einmaligen Abfindung oder einer lebenslänglichen oder zeitlich begrenzten Rente zugesprochen werden (§ 3).


Norwegen.


In erster Linie gelten die im Artikel H. der Eisenbahnen besprochenen Grundsätze auch für Tötungen und Körperverletzungen.

Besonderheiten zu Nr. 1 (Voraussetzungen der H.): Die Haftpflicht wird auch dadurch ausgeschlossen, daß der Verletzte durch eigene grobe Fahrlässigkeit zum Schaden beigetragen oder die schädigende Handlung durch eigenes rechtswidriges Verhalten veranlaßt hat (§ 25 StGB.).

Zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): a) Bei Körperverletzungen sind dem Verletzten α) die positive Vermögenseinbuße im vollen Umfang, β) entgehender Gewinn in dem Maße zu ersetzen, in dem es das Gericht mit Rücksicht auf das Verschulden und die Umstände für billig hält; γ) bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit kann das Gericht außerdem als Genugtuung für den nichtökonomischen Schaden eine angemessene Geldsumme zusprechen (§ 19 StGB.).

b) Im Falle der Tötung gehen α) die nach a dem Getöteten bereits erwachsenen Ansprüche auf seine Erben über; ferner sind β) die Begräbniskosten denen zu ersetzen, die gesetzlich dafür aufzukommen haben; γ) hat jemand durch den Tod seinen Versorger verloren, so erhält er Ersatz für die ihm hierdurch entgehenden Einkünfte in der Höhe, die das Gericht mit Rücksicht auf das Verschulden und die Umstände für billig erachtet; δ) bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit kann der Witwe oder dem Witwer, den Kindern und den Eltern eine angemessene Genugtuung für den ideellen Schaden zuerkannt werden (§ 20, 21 StGB.).

Zu Nr. 5 (Einzelheiten): Die Bahnarbeiter sind wie andere industrielle Arbeiter nach dem Unfallversicherungsgesetz von 1894 gegen Unfall versichert; im allgemeinen können sie neben ihren Ansprüchen aus der Unfallversicherung nicht auch noch die zivilrechtlichen Ersatzforderungen gegen ihren Arbeitgeber geltend machen.


Schweden.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


Die im Artikel H. der Eisenbahnen besprochenen Grundsätze des Deliktsrechts gelten auch bei Körperverletzungen und Tötungen.[67]

Besonderheit zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): Die Entschädigung umfaßt a) die Heilungskosten, b) Ersatz für die Unterbrechung der Berufstätigkeit, c) Genugtuung für die erlittenen Schmerzen und die bleibende Verunstaltung.


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Die im Artikel H. der Eisenbahnen unter I, Nr. 1 und 2 erwähnten Normen (S. 50) sind für die mit Dampfkraft betriebenen Eisenbahnen (auch die im Bau befindlichen) in dem HPG. vom 12. März 1886 noch einmal besonders ausgesprochen worden (§§ 2, 6, 7, 8 HPG.). Ferner enthält das Gesetz als eisenbahnrechtliche Besonderheiten, die auch für Tötungen und Körperverletzungen gelten, die bereits im genannten Artikel unter II, Nr. 2 und 4 (s. S. 50) dargestellten Bestimmungen.

Außerdem hatte das HPG. in seinen §§ 3 und 4 bei Tötungen und körperlichen Verletzungen von Arbeitern und Bediensteten der Bahn eine verschärfte H. eingeführt. Diese Bestimmungen wurden aber vom 1. Januar 1903 an für das neu zugehende Personal ersetzt durch das Gesetz vom 5. Juli 1901, betreffend den Schadenersatz bei Arbeitsunfällen, das sich an die Grundsätze des französischen Gesetzes vom 9. April 1898 (s. unter Frankreich) anlehnt.

Inhalt des Gesetzes vom 5. Juli 1901:

1. Voraussetzung ist die Tötung oder körperliche Verletzung eines Bahnbediensteten oder Arbeiters infolge eines Unglücksfalles bei der Arbeit (§ 1, Abs. 1 u. 3, § 3, Ziff. 11). Die Beweislast trifft den Kläger. Die Bahn kann sich durch den Nachweis befreien, daß die Verletzung entweder vom Beschädigten selbst vorsätzlich oder grob fahrlässig oder von einem Dritten, der aber nicht zu den Vorgesetzten des Verletzten gehören darf, vorsätzlich herbeigeführt worden ist (§ 1, Abs. 2).

2. Ersatzpflichtig ist die Bahn als Arbeitgeberin (§ 1).

3. Kreis der Ersatzberechtigten und Umfang ihrer Ansprüche: a) Im Falle der Körperverletzung erhält der Verletzte α) bei dauernder völliger Arbeitsunfähigkeit eine jährliche Rente von 300 K; β) bei dauernder teil weiser Arbeitsunfähigkeit, wenn die Verminderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 1/10 beträgt, als jährliche Rente einen dem Prozentsatz der Verminderung entsprechenden Bruchteil des Betrages von 300 K; γ) bei vorübergehender wesentlicher Minderung der Arbeitsfähigkeit eine Krankenunterstützung von 1 Krone für den Tag. Sämtliche Entschädigungen werden erst für die Zeit vom 61. Tage nach dem Unfall bezahlt; solange noch nicht feststeht, ob dauernder Verlust oder dauernde Verminderung der Arbeitsunfähigkeit eintritt, ist die tägliche Krankenunterstützung zu leisten (§ 4).

b) Im Falle der Tötung gehen α) die von dem Verstorbenen nach a) bereits erwachsenen Rechte auf die Erben über; β) außerdem ist denjenigen, die für das Begräbnis aufkommen, ein Zuschuß von 60 K zu bezahlen; γ) ferner erhält die Witwe aus einer schon vor dem Unglücksfall geschlossenen Ehe eine jährliche Rente von 120 K vom Todestage bis zur Wiederverheiratung; δ) jedes minderjährige Kind, das vor dem Unglücksfalle bereits, lebte oder nachher in einer vor dem Unfall geschlossenen Ehe geboren wird, erhält eine jährliche Rente von 50 K vom Todestag bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres. Würden die Hinterbliebenenrenten zusammen mehr als 300 K im Jahr betragen, so werden sie verhältnismäßig gekürzt (§ 4).


K. Rußland.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


Die im Artikel Haftpflicht der Eisenbahnen dargestellten allgemeinen Grundsätze des russischen Deliktsrechts finden auch auf Tötungen und Körperverletzungen Anwendung.

Besonderheiten zu Nr. 2 (die Bahn als Trägerin der H.): Versicherungssummen werden auf die Ersatzpflicht angerechnet.

Zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): a) Im Falle der Körperverletzung ist lediglich der Verletzte ersatzberechtigt, u.zw. bekommt er α) die Kosten der Behandlung und Pflege; β) wenn er Familie hat und sie aus eigener Arbeit erhält, die für ihren Unterhalt bis zum Ende der Krankheit aufzuwendenden Beträge; γ) bei dauernder Unfähigkeit zum Erwerb in dem bisherigen Beruf den Unterhalt für sich und die Familie in Form einer jährlichen Geldrente in der Höhe, die dem Gericht mit Rücksicht auf den Stand und die Verdienstaussichten des Verletzten einerseits und die Vermögensverhältnisse des Haftpflichtigen anderseits angemessen erscheint; δ) wenn ein unverheiratetes Mädchen oder eine Witwe im Gesicht eine nicht zu beseitigende Verunstaltung erleidet und keine Existenzmittel besitzt, bekommt es den ihrem Stand und dem Vermögen des Haftpflichtigen entsprechenden Unterhalt bis zu einer versorgenden Verheiratung.

Als Familienglieder im Falle β und γ zählt das Gesetz die Ehefrau, minderjährige Söhne, unverheiratete Töchter und die Eltern des Verletzten auf. Doch sind nach der Rechtsprechung auch alle anderen gesetzlich Unterhaltsberechtigten, sowie die tatsächlich vom[68] Verletzten erhaltenen Personen hierher zu rechnen. Eigene Ansprüche haben diese Personen zunächst nicht. Der Verletzte kann jedoch im Falle γ anstatt der Zusprechung einer Gesamtrente die rechnerische Ausscheidung der Unterhaltsbeiträge für jedes Familienglied verlangen. In diesem Fall gehen die Beträge auf die einzelnen Angehörigen als eigene Rechte über, wenn der Verletzte zur Geltendmachung unfähig wird oder stirbt (s. unten unter b). War dagegen auf eine Gesamtrente erkannt, so sind die Rechte der Hinterbliebenen nach der Praxis der Gerichte dauernd verwirkt. Während des Prozesses kann von der Berechnung als Gesamtrente zu der in ausgeschiedenen Beträgen und umgekehrt übergegangen werden (Art. 660–664 BGB.).

b) Im Falle der Tötung gehen zunächst α) die Rechte des Verstorbenen aus a, α und β auf die Erben über, außerdem erhalten diese Ersatz der Begräbniskosten; wegen des Falls a, γ vgl. das eben Gesagte; β) ferner haben die vom Getöteten bisher durch eigene Arbeit erhaltenen mittellosen Familienglieder kraft eigenen Rechts Ansprüche auf einen ihrem Stande und dem Vermögen des Haftpflichtigen angemessenen Unterhalt bis zur Erlangung anderer Existenzmittel (die Witwe jedoch nicht über eine Wiederverheiratung, die Söhne nicht über die Volljährigkeit, die Tochter nicht über die Verheiratung hinaus Art. 683, Ziff. 1, 657 und 658 BGB.).

Abgesehen von der Unterhaltsleistung unter a, γ, die Stets in Rentenform zu leisten ist, haben die Berechtigten die Wahl zwischen Kapitalsabfindung oder Rentenzahlung; die Rente ist auf Antrag durch den zehnfachen Betrag sicherzustellen (Art. 273, ZPO.). Die Wahl kann noch im Prozeß geändert werden (Art. 676 BGB.).


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Obwohl das russische Recht durch seine allgemeine Schuldvermutung und die unbedingte Haftung der Bahn für ihre Angestellten dem Bedürfnis nach möglichst strenger Haftung bei Bahnunfällen bereits in hohem Maße gerecht geworden war, wurde doch zur Ergänzung der allgemeinen Normen ein dem deutschen HPG. nachgebildetes Spezialgesetz vom 25. Januar/6. Februar 1878 erlassen, das völlig auf dem Standpunkt der Kausalhaftung ex lege steht. Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind bei der Neuredaktion des BGB. (1900) als Art. 683 in dieses ohne wesentliche Änderungen aufgenommen. Neben den Klagen aus diesem Artikel steht den Berechtigten gegebenenfalls auch die allgemeine Klage aus Art. 684 ff. BGB. offen, der in manchen Fällen weitergehende Rechte gewährt.

Inhalt des Art. 683 BGB.: 1. Voraussetzung der Spezialhaftung ist die durch den Eisenbahnbetrieb verursachte Tötung oder körperliche Verletzung eines Menschen (Ziff. 1). Als Eisenbahnbetrieb gilt nach der Rechtsprechung jede Tätigkeit, die auf die Beförderung von Personen oder Gütern auf Eisenschienen zu Erwerbszwecken gerichtet ist; Linien, die sich noch nicht im Betriebe finden, fallen nicht unter den Art. 683 BGB. Die Beweislast trifft den Kläger.

Die Bahn kann sich nur durch den Nachweis befreien, daß entweder a) unüberwindliche höhere Gewalt oder b) ein Verschulden des Verletzten oder anderer Personen, die zu der Bahnverwaltung in keinen dienstlichen Beziehungen stehen, die überwiegenden Ursachen des Unfalls sind. (Dies ist nach der Rechtsprechung der Sinn der sehr unklar gefaßten Ziff. 2 des Art. 683 BGB.). Der Nachweis nicht überwiegenden, sondern nur mitwirkenden Verschuldens genügt nicht. Unter unüberwindlicher höherer Gewalt sind Ereignisse zu verstehen, die, von außen auf den Bahnbetrieb einwirkend, durch kein Mittel zu verhüten sind, dessen Anwendung vernünftigerweise den Bahnen zugemutet werden kann.

2. Ersatzpflichtig sind die »Besitzer der Bahnunternehmung«. Auf Privatanschlußgleisen gelten die Inhaber der angeschlossenen Be triebe als Bahnunternehmer. Neben den Bahnen haftet auch der eigentliche Schuldige auf das Ganze. Wird die Bahn in Anspruch genommen, so hat sie ihm gegenüber ein Regreßrecht (Ziff. 8). Die Ersatzleistungen der Bahnen an verunglückte Angestellte mindern sich um die Beträge, die der Angestellte als Angehöriger von Pensions-, Spar- oder Hilfskassen bezieht, zu denen der Bahnunternehmer Beiträge leistete (Ziff. 4).

3. Der Kreis der Ersatzberechtigten und der Inhalt ihrer Ansprüche bestimmt sich nach den oben zu I, Nr. 3 dargestellten allgemeinen Regeln (Ziff. 1 u. 5).

4. Die Klagen aus Art. 683 BGB. verjähren innerhalb eines Jahres vom Tage des Unfalls an oder, wenn es deswegen zu einer strafgerichtlichen Verfolgung gekommen ist, vom Tage der Rechtskraft des Strafurteils oder der Einstellung des Strafverfahrens an. Auf diese Verjährung finden die allgemeinen Bestimmungen über Hemmung keine Anwendung (Ziff. 7).

5. Einzelheiten: a) Die Haftpflicht der Bahn kann im voraus durch Vereinbarungen[69] weder beseitigt noch abgeändert werden; entgegenstehende Verträge sind ungültig. Abmachungen über Höhe und Art des Schadenersatzes nach dem Unfall sind zulässig (Ziff. 3).

b) Ergeben sich nach Zuerkennung einer Geldrente neue Umstände, so kann die Rente auf die Klage des Berechtigten oder Verpflichteten hin vom Gerichte erhöht oder vermindert werden. Diese Rektifikationsklage ist unverjährbar (Ziff. 6).


L. England.


I. Allgemeines bürgerliches Recht.


Die im Artikel H. der Eisenbahnen besprochenen Grundsätze des gemeinen Rechts (common law) über torts gelten auch für Tötungen und Körperverletzungen.

Besonderheiten zu Nr. 1 (Voraussetzungen der H.): Gegenüber einer action of negligence, die von einem Angestellten gegen seinen Arbeitgeber (employer) erhoben wird, sind folgende besondere Einreden zugelassen: Die Haftung entfällt, a) wenn ein Angestellter durch einen anderen geschädigt wird, der im gleichen Betrieb, wenn auch in anderer Stellung und mit anderen Verrichtungen beschäftigt ist (Einrede des common employment); b) wenn der verletzte Arbeiter bewußt die mit seiner Arbeit verbundene Gefahr auf sich genommen hat.

Zu Nr. 3 (Ersatzberechtigte und ihre Ansprüche): a) Bei Körperverletzung umfaßt die im Einzelfalle unter Berücksichtigung aller Umstände festzusetzende Entschädigung mindestens den Ersatz der Heilungskosten, der Auslagen für einen etwaigen Vertreter im Geschäft und des infolge geminderter Erwerbsfähigkeit tatsächlich verlorenen Einkommens.

b) Im Falle der Tötung können nach der sog. Lord Campbell's Act von 1846 (9 u. 10 Vict. Ch. 93, abgeändert 1864 durch 27 u. 28 Vict. Ch. 95) der Witwer, die Witwe, die Eltern, Großeltern und Stiefeltern, die Kinder, Enkel und Stiefkinder Ersatz des ihnen infolge des Todes erwachsenden Schadens verlangen. Die Klage ist vom Testamentsvollstrecker oder Nachlaßverwalter namens des Verstorbenen zu gunsten der Berechtigten innerhalb eines Jahres nach dem Tode anzustellen. Ist kein solcher Kläger vorhanden oder klagt er nicht binnen sechs Monaten, so kann jeder Berechtigte selbst die Klage erheben.


II. Spezialrecht für die Eisenbahnen.


Da die bestehenden Rechtsnormen insbesondere den Interessen verunglückter Arbeiter nicht gerecht wurden (Nachweis des Verschuldens, Einrede des common employment und der bewußten Gefahrsübernahme), ergingen zu deren Schutze mehrere Gesetze, nämlich die sog. Employer's Liability Act 1880 (43 u. 44 Vict. Ch. 42, geändert 1888 durch 51 u. 52 Vict. Ch. 58) und die Workmen's Compensation Act 1906 (6 Edw. VII. Ch. 58, ältere Fassungen von 1897 und 1900). Von ihnen beruht das erste noch auf einem modifizierten Verschuldensgrundsatz, während das zweite zur Kausalhaftung übergegangen ist. Die WCA. verfolgt ähnliche Tendenzen wie die deutsche und österreichische Unfallversicherungsgesetzgebung, gibt aber immerhin zivilrechtliche Ansprüche gegen die Bahn und ist deshalb hier mit zu besprechen.

Der Arbeiter hat die Wahl, ob er eine Klage nach common law, nach der ELA. oder nach der WCA. erheben will; ja das Gericht hat sogar, wenn er nach gemeinem Recht oder der ELA. geklagt hat und nicht durchdringt, im gleichen Prozeß zur Beurteilung des Falles nach der WCA. überzugehen (WCA. sec. 1).

Inhalt der Employer's Liability Act:


1. Voraussetzung der Haftung ist die Tötung oder Körperverletzung eines Bahnarbeiters, wenn sie verursacht ist a) durch den mangelhaften Zustand der Betriebseinrichtungen und wenn dieser Mangel dem Verschulden des Arbeitgebers oder seiner Vertreter zugerechnet werden kann; b) durch das Ver schulden eines Vorgesetzten oder Aufsichtsbeamten; c) durch das Verhalten eines anderen Bahnarbeiters, der im Vollzuge der Arbeitsordnung oder besonderer Vorschriften eines Vorgesetzten gehandelt hat; d) durch das Verschulden eines Bahnarbeiters, der Signale, Weichen, Lokomotiven oder Züge zu bedienen hatte. Das Vorliegen einer dieser Voraussetzungen hat der Kläger zu beweisen. Die Einreden des common employment und der übernommenen Gefahr sind ausgeschlossen. Dagegen kann sich die Bahn durch den Nachweis befreien, daß der Arbeiter den mangelhaften Zustand oder das Verschulden kannte, ohne hiervon Anzeige zu machen, oder daß er es unterläßt, ihr den Unfall innerhalb 6 Wochen zu melden.

2. Ersatzpflichtig ist der Bahnunternehmer.

3. Ersatzberechtigt sind der Verletzte, nach seinem Tod gemäß der Lord Campell's Act seine Hinterbliebenen. Die Entschädigung umfaßt außer dem vollen Ersatz des Vermögensschadens (der Einbuße und des entgangenen Gewinnes) auch ein Schmerzensgeld. Sie darf jedoch den dreifachen Betrag des Jahreseinkommens des Verletzten nicht übersteigen.

4. Die Klage muß bei Körperverletzung innerhalb eines halben Jahres nach dem Unfall, bei Tötung innerhalb eines Jahres nach dem Tode erhoben werden.

5. Einzelheiten: a) durch Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeiter kann die Anwendung der ELA. ausgeschlossen werden; b) zuständig für alle Klagen aus der ELA. ist das Grafschaftsgericht (County Court).


Inhalt der Workmen's Compensation Act:


1. Voraussetzung ist die Tötung oder körperliche Verletzung eines Arbeiters durch einen Unfall infolge[70] und während seiner Beschäftigung (arising out of and in the course of the employment), wenn hierdurch eine Herabminderung der Erwerbsfähigkeit für mindestens eine Woche eintritt. Zu den Arbeitern im Sinne der WCA. gehören die Handarbeiter, andere Arbeiter nur bei einem Gehalt bis zu 250 £; auch Gelegenheitsarbeiter im Betriebe der Bahn fallen unter das Gesetz. Als Unfall gilt im allgemeinen (s. aber sec. 8) nur ein einmaliges, zeitlich bestimmbares Ereignis, nicht eine Berufskrankheit. Sämtliche Voraussetzungen hat der Kläger zu beweisen. Die Bahn kann sich durch den Nachweis befreien, a) daß der Unfall auf die schlechte Führung (serious and wilful miscondruct) des Arbeiters zurückzuführen ist, es sei denn, daß der Unfall den Tod oder eine dauernde erhebliche Gesundheitsschädigung zur Folge hatte; b) daß der Arbeiter es unterlassen hat, den Unfall baldigst zu melden, es sei denn, daß er hieran entschuldbar verhindert war oder daß durch die Unterlassung die Verteidigung des Arbeitgebers nicht erschwert worden ist. Sonstige Einreden bestehen nicht (sec. 1, 13, 2).

2. Träger der H. ist die Bahn als Arbeitgeberin. Hat die Bahn die Ausführung einer zum Betrieb gehörigen Arbeit einem Zwischenmeister (Contractor) übertragen, so haftet sie neben ihm auch seinen Arbeitern. Mehrere Ersatzpflichtige haften solidarisch. Die Bahn kann gegen sie Regreß nehmen (sec. 4 und 6).

3. Ersatzberechtigte und Inhalt ihrer Ansprüche:

a) Im Falle der Körperverletzung sind dem Verletzten in »wöchentlichen Zahlungen« zu vergüten α) bei völliger Arbeitsunfähigkeit im allgemeinen höchstens 50% seines durchschnittlichen Wochenlohnes (einem Arbeiter der zur Zeit des Unfalls noch nicht 20 Jahre alt ist, bei einem Wochenlohn von weniger als 20 sh. höchstens 100%, keinesfalls aber mehr als 10 sh.); β) bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit höchstens der Unterschied seines früheren und seines jetzigen durchschnittlichen Wochenlohns, keinesfalls aber mehr als 50% seines früheren durchschnittlichen Wochenlohns. Das Gericht kann unter diese Höchstsätze, nach billigem Ermessen heruntergehen. Haben die »wöchentlichen Zahlungen« mindestens ein halbes Jahr gedauert, so hat der Arbeitgeber das Recht, sie durch Zahlung eines Kapitals abzulösen, dessen Höhe bei dauernder Arbeitsunfähigkeit dem Wert einer Leibrente von 75% des Jahresbetrags der »wöchentlichen Zahlungen« gleichkommt, bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit mangels gütlicher Verständigung vom Gericht nach billigem Ermessen bestimmt wird (Anl. I, Nr. 1, 3, 17).

b) Im Falle der Tötung ist zu zahlen: α) an Angehörige des Arbeiters (Witwe, Witwer, Eltern, Großeltern, Stiefeltern, Kinder, Enkel, Stiefkinder, Geschwister, uneheliche Kinder und Enkel, unehelichen Vater und Großvater), die völlig von ihm abhingen, eine Geldsumme in dem Betrage, den er bei der Bahn während der letzten drei Jahre verdient hat oder, wenn er noch nicht solange beschäftigt war, das 156fache seines durchschnittlichen Wochenlohns, mindestens aber 150 £ und höchstens 300 £; etwaige dem Verletzten nach a bereits geleistete Zahlungen sind abzuziehen; β) an Angehörige, die nur zum Teil von dem Arbeiter abhängen, eine vom Gericht nach billigem Ermessen zu bestimmende Entschädigung, die den nach α sich ergebenden Betrag nicht übersteigen darf; γ) wenn der Arbeiter keine Angehörigen hinterläßt, Ersatz der angemessenen Krankheits- und Beerdigungskosten an den Testamentsvollstrecker, Nachlaßverwalter oder in deren Ermanglung an die sonstigen Personen, die diese Kosten bestritten haben.

Die Entschädigungen an die Angehörigen sind an das Gericht zu zahlen, welches sodann über die Verteilung des Geldes an die einzelnen Berechtigten und über die Art seiner Verwendung nach billigem Ermessen beschließt; im Bedürfnisfalle kann es diese Beschlüsse wieder abändern (sec. 13. Anl. I, Nr. 1, 5).

4. Die Klage ist innerhalb sechs Monaten, bei Körperverletzungen vom Unfall, bei Tötungen vom Tode an gerechnet, zu erheben; sie ist auch nachher statthaft, wenn die Frist entschuldbar versäumt ist oder der Arbeitgeber durch die Verzögerung nachweislich nicht in seiner Verteidigung geschädigt ist (sec. 2).

5. a) Im allgemeinen kann die Anwendung der WCA. durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeiter nicht ausgeschlossen werden. Wenn jedoch die Arbeiter ein Vertragsschema ihres Arbeitgebers, durch das ihnen und ihren Angehörigen mindestens gleichwertige Leistungen (z.B. durch Versicherung bei einer Versicherungsanstalt) ohne Entgelt zugesichert werden, mit Stimmenmehrheit genehmigt haben und der Führer des Hilfskassenregisters (Registrar of Friendly Societies) diese Tatsachen urkundlich bestätigt hat, kann der Arbeitgeber mit jedem Arbeiter vereinbaren, daß die Leistungen nach dem Schema an Stelle der gesetzlichen treten. Der Registerführer kann aus wichtigen Gründen auf Beschwerde eines Arbeiters seine Bestätigung widerrufen; im übrigen ist die Bestätigung höchstens 5 Jahre gültig; auch findet von Zeit zu Zeit von Amts wegen eine Nachprüfung ihrer Voraussetzungen statt (sec. 3).

b) Klagen aus der WCA. sind nicht im gewöhnlichen Zivilprozesse, sondern in einem sog. Schiedsverfahren (arbitration) zu erledigen; haben sich die Parteien nicht auf ein Schiedsgericht aus beiderseitigen Vertretern geeinigt, so entscheidet das Grafschaftsgericht oder ein von diesem ernannter Schiedsrichter (Anl. II des Gesetzes).

c) Im Falle des Konkurses (bei Gesellschaften auch im Falle der Liquidation) gehen Ansprüche des Arbeitgebers aus einer Haftpflichtversicherung auf die Ersatzberechtigten zugunsten ihrer Forderung über. Für den ungedeckten Rest sind die Berechtigten Konkurs- oder Liquidationsgläubiger. Liegt keine Haftpflichtversicherung vor, so genießen Ersatzberechtigte, deren Forderung bei der Konkurseröffnung (Liquidation) bereits entstanden war, bis zu einem Betrage von 100 £ die Rechte bevorrechtigter Konkurs- oder Liquidationsgläubiger (sec. 5).

d) Der Arbeiter muß sich anfangs und auch später von Zeit zu Zeit einer ärztlichen Untersuchung unterwerfen; weigert er sich, so werden seine Rechte einstweilen suspendiert (Anl. I, Nr. 4 u. 14).

e) Bei veränderten Umständen können die Parteien Erhöhung bzw. Verminderung der »wöchentlichen Zahlungen« verlangen. Wenn der Arbeiter zur Zeit des Unfalls noch nicht 21 Jahre alt war und die Revision nach mehr als einem Jahr stattfindet, kann der Betrag bis auf 50% der Summe, die der Arbeiter ohne den Unfall zur Zeit der Revision wahrscheinlich verdient hätte, keinesfalls aber auf mehr als 1 £ erhöht werden (Anl. I, Nr. 16).

f) Die Ansprüche auf »wöchentliche Zahlungen« oder auf eine Ablösungssumme sind unpfändbar und können weder abgetreten noch belastet werden (Anl. I, Nr. 19).[71]


Anhang:


Das amerikanische Haftpflichtgesetz.


Die Vereinigten Staaten, deren allgemeine Haftungsnormen sich im wesentlichen mit den englischen decken, haben unter dem 22. April 1908 für die Eisenbahnen ein Haftpflichtgesetz erlassen, dessen Bedeutung im Ausschluß gewisser Einreden der Bahn und in der Beschränkung der Vertragsfreiheit zu gunsten der Angestellten liegt.

Inhalt: 1. Voraussetzung der Anwendbarkeit dieses Gesetzes ist die Tötung oder Körperverletzung eines Angestellten bei Abwicklung des Bahnverkehrs infolge der Fahrlässigkeit eines Beamten, Angestellten oder Bediensteten der Bahn oder infolge fahrlässig mangelhafter Betriebseinrichtungen. In diesen Fällen kann sich die Bahn durch die Einrede überwiegenden Verschuldens des Verletzten nicht wie sonst von ihrer Haftung völlig befreien (s. dagegen Nr. 3) und kann auch die Einrede der übernommenen Gefahr wenigstens dann nicht mehr vorbringen, wenn sie durch Übertretung einer sicherheitspolizeilichen Vorschrift zu dem Unfall beigetragen hat (Art. 1–4).

2. Ersatzpflichtig ist der Bahnunternehmer (Art. 1 u. 2). Leistungen anderer Ersatzpflichtiger anläßlich desselben Unfalls, insbesondere auch Versicherungssummen, sind auf die Leistung der Bahn anzurechnen (Art. 5).

3. Ersatzberechtigt sind bei Körperverletzung der Verletzte, bei Tötung Witwe, Witwer und Kinder des Verstorbenen, wenn solche fehlen, die Eltern und in Ermanglung dieser die nächsten sonstigen Verwandten; die Klage zu gunsten dieser Hinterbliebenen ist vom Testamentsvollstrecker oder Nachlaßverwalter zu erheben. Zu ersetzen ist jeweils der volle Schaden (Art. 1 u. 2).

Liegt mitwirkendes Verschulden des Verletzten vor, so hat das Gericht die Entschädigung entsprechend herabzusetzen, es sei denn, daß die Übertretung einer sicherheitspolizeilichen Vorschrift durch die Bahn zu dem Unfall beigetragen hat (Art. 3).

4. Die Klagen auf Grund des HPG. müssen binnen 2 Jahren nach dem Unfall geltend gemacht werden (Art. 6).

5. Alle Verträge oder Anordnungen, Satzungen oder sonstigen Maßnahmen, die bezwecken, die Bahn ganz oder zum Teil von der H. zu befreien, sind ohne Rechtswirkung (Art. 5).

Literatur: v. Weber (Henry Andrews Simon), Haftpflicht der Eisenbahnen in England. Weimar 1868. – Randa, Über die Haftung der Eisenbahnunternehmungen für die durch Eisenbahnunfälle herbeigeführten körperlichen Verletzungen oder Tötungen von Menschen. Wien 1869. – Frantz, Die Haftpflicht der Eisenbahnunternehmer, Beuthen 1872. – Kah, Kommentar zum Haftpflichtgesetz, Mannheim 1874. – Kowalzig, Das Reichshaftpflichtgesetz 1877. – Jacobi, Erläuterungen zum Haftpflichtgesetz. 11. Aufl., Berlin 1878. – Ganzoni, Über das Bundesgesetz betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffahrtsunternehmungen bei Tötungen und Verletzungen. Zürich, 1879. – Röll, Die Haftpflicht der österreichischen Eisenbahnen. Wien 1880. – Genzmer, Das Reichshaftpflichtgesetz. Berlin und Leipzig 1882. – Bödiker, Die Unfallgesetzgebung der europäischen Staaten. Leipzig 1884. – Endemann, Die Haftpflicht der Eisenbahnen u.s.w. 3. Aufl., Berlin 1885. – Endemann, Das Recht der Eisenbahnen. 1886. – Zeerleder, Die schweizerische Haftpflichtgesetzgebung. Bern 1888. – Meili, Das Recht der modernen Verkehrs- und Transportanstalten. Leipzig 1888. – Hilse, Haftpflicht der Straßenbahnen. Berlin 1889. – Riesenfeld, Das besondere Haftpflichtrecht der deutschen Arbeiterversicherungsgesetze. Berlin 1894. – Linkelmann, Die Schadenersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen. Berlin 1898. – Liszt, Deliktsobligationen im System des Bürgerlichen Gesetzbuches. 1898. – Coermann, Das Reichshaftpflichtgesetz. Berlin 1898. – Reindl, Das Reichshaftpflichtgesetz. München 1901. – Laß & Meyer, Haftpflichtrecht und Reichsversicherungsgesetzgebung. 2. Aufl., München 1902. – v. Weinrich, Die Haftpflicht wegen Körperverletzung und Tötung von Menschen. 2. Aufl., 1902. – Wolz, Die Haftpflicht nach deutschem Reichsgesetz. Donauwörth 1905. – Wussow, Die Haftpflicht der Straßenbahnen. Berlin 1905. – Guyer, Kommentar zum schweizerischen Bundesgesetz betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- u.s.w. Unternehmungen. Zürich 1905. – Krasnapolski, Haftpflicht der Eisenbahnen (im Österreichischen Staatswörterbuch. Wien 1905, Bd. I). – Manzsche Taschenausgabe, Die österreichischen Eisenbahngesetze. Wien 1905. – Hammer, Haftung der Eisenbahn bei Verletzung und Tötung von Personen nach dem Reichsgesetz vom 7. Juni 1871. München 1906. – Wachtel, Kommentar zum (österreichischen) Eisenbahnhaftpflichtgesetz. Wien 1909. – Lange, Haftpflichtgesetz. Leipzig 1910. – Eger, Das Reichshaftpflichtgesetz. 7. Aufl., Hannover 1912. Ferner kommen in Betracht die großen Kommentare zu den bürgerlichen Gesetzbüchern. Deutsches Reich: Staudinger, 7./8. Aufl. München 1912. – Plank, 4. Aufl., Berlin 1913. – Österreich: Stubenrauch, 7. Aufl., Wien 1902/03. – Frankreich: Sirey, Les Codes annotées. – Rußland: Klibanski, Handbuch des russischen Zivilrechts. Berlin 1911. Von Zeitschriften und Sammelwerken, in denen sich einschlägige Abhandlungen finden, sind besonders zu erwähnen: Eger, Eisenbahnrechtliche Entscheidungen und Abhandlungen. – Goldschmidt, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht. – Preuß. Archiv für das Eisenbahnwesen. – Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen. – Das deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart. Berlin 1911.

List-Doerfler.

1

Über den Begriff der H. im weiteren und engeren Sinn, den Anlaß und die Prinzipien der sog. Haftpflichtgesetze, siehe die einleitenden Ausführungen des Artikels H. der Eisenbahnen. Aus dem dort Gesagten ergibt sich, daß ein Teil der Rechtssätze für Personenunfälle bereits in diesem Artikel besprochen ist.

2

Eine Änderung des HPG. wird vorbereitet.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 6. Berlin, Wien 1914, S. 52-72.
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