Richter, Familie (Hamburg)

[817] Richter (Hamburg). Am 1. 9. 1841 wurde von Frau Maria Theresia Richter unter der Firma »Hamburg-Altonaer Volksbuchhandlung« eine mit Verlag verbundene Buchhandlung in Hamburg-St. Pauli begründet. Es war dies das erste[817] Papier- und Buchhandlungsgeschäft in St. Pauli überhaupt. Der erste Verlagsartikel waren von Wurzbach angefertigte lithographische Ansichten von Hamburg, welche unter dem Titel »Die Rose von Hamburg« erschien. Bald darauf folgten verschiedene andere volkstümliche Schriften. Als im Mai 1842 durch den großen Brand in Hamburg die in der Stadt befindlichen Buchhandlungen teils vom Feuer gänzlich zerstört, teils in ihrer Tätigkeit brach gelegt waren, nahm der Richtersche Verlag einen ungemeinen Aufschwung. 1848 gründete J. F. Richter die »Reform«, welche noch heute in einer großen Auflage erscheint und eine der größten Hamburger Tageszeitungen ist. 1859 siedelte das Geschäft nach der Ecke der Gr. Johannisstraße und der Schauenburgerstraße und von dort nach der Ecke der Kl. Johannisstraße und der Schauenburgerstraße über. Bald darauf wurde Richter Teilhaber und später Besitzer der Buchdruckerei von H. G. Voigt. Das Geschäft wurde nunmehr in die Räume dieser Druckerei nach den Großen Bleichen 33 verlegt, nachdem das ursprüngliche Gebäude neuen, großen Baulichkeiten hatte Platz machen müssen. 1862 übernahm Dr. Eugen Richter von seinem Vater den Verlag, nachdem J. F. Richter kurz zuvor den Koberschen Verlag in Prag und damit die Werke von Friedrich von Sallet, Holtei, Chamisso u. A. erworben hatte. Auch von Rob. Hamerling befand sich ein kleines Werk unter den erworbenen Verlagsartikeln und wurde Veranlassung zu der Uebernahme sämtlicher aus der Feder dieses Schriftstellers weiterhin hervorgehenden Manuskripte. 1868 ging der Verlag wieder an J. F. Richter zurück. 1875 starb der Besitzer, nachdem er seinen Schwiegersohn Dr. E. B. Banks zum Verwalter des Geschäfts eingesetzt hatte mit der Befugnis, seinerseits bei seinem Ableben einen Verwalter wählen zu dürfen. Als Dr. Banks 1883 aus dem Leben schied, hatte er seinen Kompagnon Dr. S. A. Belmonte zu seinem Nachfolger bestimmt. Unter Dr. Belmontes Leitung stand das Geschäft bis zu dessen im Jahre 1888 erfolgten Tode.

Unter die Leitung des Dr. Banks fällt die Vereinigung der Firmen Karl Grädener Verlags-Conto und Karl Grädener & J. F. Richter zur Firma J. F. Richter, während unter Dr. Belmonte der rechtswissenschaftliche Verlag und derjenige der »Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge« sowie der »Zeit- und Streitfragen« von C. Habel in Berlin erworben wurden.

Im April des Jahres 1888 wurde das Geschäft in eine Aktiengesellschaft unter der Firma »Verlagsanstalt und Druckerei A.-G. (vormals J. F. Richter) in Hamburg« umgewandelt, deren Geschäfte neben dem Zeitungs- und Buchverlag umfaßten:[818] Buch- und Steindruckerei, Stereotypie, Galvanoplastik, Xylographie, Lithographie, Chemigraphisches und Photographisches Atelier, Buchbinderei und Liniiranstalt, sowie (nur für den eigenen Bedarf) Schriftgießerei, Tischlerei und mechanische Werkstätte.

Es wurde in diesen Betrieben mit 3 Dampfmaschinen von zusammen 240 Pferdekraft, 3 Rotationsmaschinen, 15 Schnellpressen, 6 Tiegeldruckpressen und zahlreichen Hilfsmaschinen gearbeitet, so daß neben den drei Kraftmaschinen und fünf Dynamos für elektrische Beleuchtung der Geschäftsräume und die der Firma gehörigen Grundstücke und für die Galvanoplastik über 100 Arbeitsmaschinen in Gebrauch sind. Das Personal der Firma beläuft sich durchschnittlich auf 300 Mitarbeiter.

Der Verlag erfuhr unter dem neuen Besitz beträchtliche Erweiterung, teils durch eigene Unternehmungen, teils durch die Erwerbung des Verlages von Rudolf Seelig in Hamburg, sowie eines großen Teils des Verlages der Firma Nestler & Melles Verlag in Hamburg und A. Hofmann & Co. in Berlin.

Im Einzelnen mögen hier von den Autoren der Firma, soweit sie nicht schon genannt sind, angeführt werden, Gräfin Eufemia Ballestrem, Tiermaler Jean Bungartz, Gerhard von Amyntor, R. Elcho, Alfred Friedmann, Rudolph Genée, Hans Hopfen, Hieronymus Lorm, Alfred Meißner, Oskar II., König von Schweden und Norwegen, Levin Schücking, H. Riemann, R. Schmidt-Cabanis, F. Wehl, Schmidt-Weißenfels, Julius Stettenheim, Julius Stinde u. s. w. Dazu kommen eine große Anzahl Jugendschriften und Bilderbücher, unter denen der Dunckersche Kinderkalender »Buntes Jahr« vorteilhaft bekannt geworden sind. Ueberall beliebt und geschätzt sind auch die C. A. Cörnerschen Kindertheaterstücke. Von anderen Literaturgebieten verdienen besonders Erwähnung die anthropologischen Schriften C. Lombrosus; ferner Esmarch-Keulenkampff, elephantiastische Formen; Charlotte Böttchers Kochbuch »Kraft und Stoff«; das von Holtzendorff und Jagemann im Verein mit bedeutenden Gelehrten herausgegebene »Handbuch des Gefängniswesens«, die Handbücher des Strafrechts und Strafprozeßrechts sowie endlich das »Handbuch des Völkerrechts«. Von den Zeitschriften und Zeitungen, den Sammelwerken und periodischen Unternehmungen überhaupt sind zu nennen: die Bibliothek deutscher Curiosa; Lohmeyers Deutsche Jugend; Die Neue deutsche Schule; Klassiker des In- und Auslandes, sowie die Sandersche Zeitschrift für deutsche Sprache, Völschaus »Hühner- und Entenbücher«, Nansen »Auf Schneeschuhen durch Grönland«, Daniel Bartels »Grillenscheucher«, Piening »De Reis nahn Hamborger Dom«, Liliencron »Up ewig ungedeelt«, v. d. Post »Piet Nijs« usw.[819]

Unterm 5. 5. 1905 beschloß die Generalversammlung der Aktionäre, die Verlagsanstalt in Liquidation treten zu lassen, worauf das Geschäft am 31. 3. aufgelöst wurde. Der gesamte technische Betrieb ging in den Besitz der neugegründeten Firma: Druckereigesellschaft Hartung & Co. m. b. H über. Von dem Verlag erwarb Max Hesse in Leipzig die gesamte Hamerling Literatur, der Hamburger Verlag, Harlay, Hartung & Co. m. b. H. Richters (Seeligs) Führer und den Reformkalender, die übrigen Verlagswerke erwarb ohne Ausnahme Wolfgang Mecklenburg in Berlin.

Quellen: Verlagskataloge 1888, 1890 u. ff.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 817-820.
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