Jeder besondere Zustand des Gemüthes, der den Vorstellungen und Handlungen einen besondern Ton giebt. Wenn Haller sagt:
Ein wolgesezt Gemüth kann Galle süße machen,
Da ein verwöhnter Sinn auf alles Wermuth streut;
so zeiget er die Würkung zweyer einander entgegen gesetzter Faßungen an; der ruhigen, die sich mehr zu angenehmen als unangenehmen Vorstellungen lenkt; und der verdrießlichen, die geneigt ist, alles von der widrigen Seite zu betrachten.
Es ist eine der wichtigsten, obgleich überall in die Augen fallenden Beobachtungen, daß die Urtheile der Menschen und die Eindrüke, welche die Sachen auf sie machen, also ihr Thun und Leiden vornehmlich durch die Faßung bestimmt werden. So wie derselbe Mensch von dem Geschmak der Speisen ganz anders urtheilet, wenn er hungrig, als wenn er satt ist, so beurtheilet und empfindet man insgemein jede Sache nach Beschaffenheit der Faßung, darin man ist. Dieses hat nicht nur bey den gemeinen Seelen statt, die nie nach wol überlegten Begriffen, sondern blos nach Eindrüken handeln; auch der verständigste Mensch, der welcher die Stimme der Vernunft laut und vernehmlich höret, läßt sich ofte durch die Faßung hinreißen.
Wir wollen diese merkwürdige psychologische Erscheinung hier nur in Rüksicht auf ihre Wichtigkeit [373] in Ansehung der schönen Künste betrachten. Bey Verfertigung der Werke der Kunst ist die Faßung des Künstlers, und bey ihrer Würkung die Faßung derer, auf deren Gemüther man würken will, von großem Gewicht.
Wer mit irgend einiger Aufmerksamkeit auf sich selbst, Arbeiten die Nachdenken erfodern, gethan hat, der weiß, wie sehr die Gemüthsfaßung, in welcher man arbeitet, alles erleichtert oder schweer macht. Sich in die zur Arbeit erfoderliche Faßung zu setzen, ist bey jedem Geschäft der erste und wichtigste Punkt; und die Leichtigkeit dieses zu thun, ist kein geringer Theil des Genies, und das, was ingenium versatile genennt wird. Man erleichtert sich die Faßung, wenn man die Aufmerksamkeit von allen andern Dingen, als dem vorhabenden Geschäft abzieht, und dasselbe eine Zeitlang, ehe man an die Ausführung geht, wenn es auch nur ganz summarisch, oder aus einem allgemeinen Gesichtspunkt geschieht, beständig vor Augen hat; welches um so viel leichter geschieht, wenn man erst irgend eine intressante Seite desselben entdekt hat. Ein hoher Grad der vortheilhaften Faßung ist die Begeisterung, von deren Einfluß an seinem Orte gesprochen worden.1 Wenn der Künstler hierin nicht glüklich gewesen, so wird sein Werk nie vollkommen seyn.
Eben so wichtig ist die Faßung derer, auf welche die Gegenstände der Kunst würken sollen. Wer sich in einer vergnügten Laune befindet, den kann man leicht zum Lachen bringen; alles was man vor ihm sagt, hat doppelte Kraft. Demnach muß in jedem Werk der Kunst etwas liegen, was diese Faßung hervorzubringen vermag. In der Musik sucht man dieses durch Vorspielen, oder Präludiren zu erhalten; in der Rede durch den Eingang, in einigen Gedichten durch die Ankündigung, in allen Arten der Gedichte und der Reden, so wie auch in allen Gemählden, durch den Ton des Vortrages. Gemählde von sehr ernsthaftem Inhalt müssen schon von weitem, ehe man noch etwas darin unterscheiden kann, das Aug durch einen ernsten Ton rühren, so wie ein Gewitter von weitem durch eine dunkele, drohende Luft angekündiget wird.
Der Redner kann beym mündlichen Vortrag die Faßung seiner Zuhörer am sichersten dadurch bewürken, daß er selbst in dem Ton der Stimme, in der Stellung, in den Gebehrden und Bewegungen die Fassung vollkommen ausdrükt. Es liegt eine sehr sympathetische Kraft in dem lebhaften Ausdruk einer natürlichen Faßung. Wir können uns, wenn wir einen von Herzen vergnügten, oder durchaus bekümmerten Menschen sehen, selten enthalten, wenigstens einigermaaßen uns in dieselbe Faßung zu setzen. Die große Kraft, die eine solche Faßung dessen der redet, seinen Worten giebt, kann keinem Menschen unbemerkt geblieben seyn. Wer einen schrekhaften Vorfall gleichgültig, oder gar vergnügt erzählt, läuft Gefahr, daß ihm niemand glaubt; der aber in schrekhafter Faßung eine Lüge hervorbringt, findet leicht Glauben. Der Grund dieser Sympathie ist leicht zu entdeken. Der Mensch hat einen natürlichen Hang sich jede Sache, die seine Aufmerksamkeit an sich gezogen, so klar als möglich ist, vorzustellen.2 Wenn wir also einen Menschen von irgend einer Empfindung gerührt sehen, so wollen wir auch einen klaren Begriff von seinem Zustand haben; (wenn nur sonst nichts da ist, das die Aufmerksamkeit davon ablenkt) diesen aber erhalten wir nicht besser, als wenn wir dieselbe Empfindung haben, die er hat. Daher entsteht also eine Bestrebung der Seele sich in dieselbe zu setzen. Nur muß die Faßung, darin wir andre sehen, nichts unnatürliches oder widersinnliches haben; denn dieses wird uns anstößig, und verhindert jene Bestrebung, davon gesprochen worden ist, gänzlich. Wenn wir einen Lustigmacher bey ernsthaften Dingen in einer lustigen Laune sehen, so sind wir sehr entfernt, in seine Faßung zu treten.
Es ist demnach eines der wichtigsten Talente des Redners, daß bey dem mündlichen Vortrag alles, was man an ihm sieht und von ihm höret, eine dem Inhalt seiner Rede natürliche Faßung ausdrüke: dadurch rührt und überredet er mehr, als durch das was er sagt. Wie er aber dazu kommen soll, kann ihm nicht durch Regeln gezeiget werden. Man empfehle ihm überhaupt, wenn er Gelegenheit hat, große Redner zu hören, auf die Faßung in die sie sich setzen können, und auf die große Kraft derselben vorzüglich acht zu haben, und auch im gemeinen Leben, auf den Ton der Stimme, auf Stellung und Gebehrden der Redenden genau zu merken. Dieses Studium muß der Redner, als seine Experimentalphilosophie mit großem Fleis treiben. Er wird oft bey den ungelehrtesten Menschen in besondern Fällen eine Kraft zu überreden finden, die [374] ihm wichtige Lehren geben wird, und wird das Studium seiner Kunst in dem Umgang mit eben so viel Vortheil treiben, als in seinem Cabinet.