Klang (Redende Künste)

[587] Klang. (Redende Künste)

Das menschliche Genie hat zwey Mittel erfunden den Gedanken ein körperliches Wesen zu geben, wodurch sie den äussern Sinnen empfindbar werden; eines für das Gehör, das andere für das Gesicht. Jenes ist weit kräftiger als dieses, weil das Gehör stärker empfindet, als das Aug.1 Wir betrachten hier den Klang, oder Schall blos in so fern er ein Mittel ist einzele Begriffe, oder zusammengesetzte Vorstellungen, andern vermitttlst des Gehöres mitzutheilen. Es ließe sich zeigen, daß zu diesem Behuf von unsern Sinnen keiner so tauglich sey, als das Gehör; wir wollen es aber, um uns nicht in allzutiefe Betrachtungen einzulassen, hier als bekannt annehmen.2 Hier zeiget sich also gleich die Wichtigkeit der Betrachtung der Sprache, in so fern sie Klang ist. Wir wollen uns aber hier blos auf das Aesthetische einschränken.

Man bedenke, wie schwach uns die Sprach rühren würde, wenn wir sie blos in der Schrift, ohne Klang hätten. Schon finden wir einen sehr großen Unterschied zwischen dem stummen Lesen und dem lauten Vortrag einer Sache; und doch wird auch dem stummen Lesen einigermaaßen durch den Klang aufgeholfen, der sich wenigstens in der Einbildungskraft immer dabey hören läßt. Für die redenden Künste ist der Klang der Rede von großer Wichtigkeit. Seine ästhetische Kraft kann sich auf dreyerley Art äussern. Je vollkommener er ist, je stärker und lebhafter präget er einzele Begriffe in die Vorstellungskraft; zusammengesetzte Vorstellungen, hilft er in eine leicht faßliche und angenehme Form zubringen; endlich kann er auch das Leidenschaftliche der Vorstellungen verstärken.

Die Theorie der redenden Künste betrachtet demnach den Klang, in Absicht auf einzele Wörter – auf Redensarten und Perioden – und auf das Leidenschaftliche der Töne. Hier schränken wir uns auf den ersten Punkt ein; der andere ist in die Arkel Wolklang und Perioden vertheilt, und der dritte kommt in der Betrachtung des lebendigen oder des leidenschaftlichen Ausdruks vor.

Der Endzwek der Beredsamkeit und Dichtkunst erfordert, daß jedes einzele Wort, wenn man auch nicht auf das Leidenschaftliche sieht, das Gehör mit hinlänglicher Stärke und Klarheit rühre, daß es schnell begriffen, und leicht behalten werde. Das erstere erwekt Aufmerksamkeit und zwinget uns Antheil an der Sache zu nehmen; das andre erleichtert die Vorstellung, und das dritte den fortdauernden Besitz derselben. Hieraus läßt sich leicht bestimmen, wie die Wörter der Sprache in Ansehung des Klanges müssen beschaffen seyn, wenn sie den redenden Künsten diese drey Vortheile verschaffen sollen. Ihre erste Eigenschaft ist, daß sie laut und volltönend seyen, und mit gehöriger Stärke gleichsam anpochen, um auch bey mittelmäßiger Aufmerksamkeit ihre Würkung zu thun. Was dazu gehöre ist leicht zu sehen; viel und volltönende Selbstlauter, Töne die einen offenen Mund erfordern, die mitten im Munde, weder zu tief in der Kehle, noch zu weit vor zwischen den Zähnen, oder blos auf den Lippen gebildet werden. Dazu müssen noch starke Accente kommen, und mehr lange, als kurze Selbstlauter. Je näher überhaupt die Aussprach einzeler Worte dem Gesange kommt, je stärker sind sie.

Die zweyte Eigenschaft der Wörter ist ein deutlicher Klang. Den haben sie, wenn die verschiedenen[587] Sylben gut von einander abstechen, daß die einzelen Theile eines Worts klar vernommen werden. Es giebt Wörter, die kein Mensch, der sie zum erstenmal höret, nachsprechen, oder schreiben könnte: diese sind das Gegentheil deutlicher Wörter.

Hat ein Wort die beyden erwähnten Eigenschaften, so hat es auch schon das Wichtigste in Absicht auf das leichte Behalten. Doch mag wol noch in manchen Fällen das leichte Aussprechen noch von andern Eigenschaften herkommen. Der Buchstaben R hat, als ein Mitlauter den stärksten Klang, ist auch deutlich, aber doch schweer auszusprechen. Darum kommt auch viel darauf an, daß ein Wort nicht allzuschwere Bewegungen der Gliedmaaßen der Sprach erfordere.

Dieses scheinen also die Grundsätze zu seyn, nach welchen die Wörter der Sprach zum ästhetischen Gebrauch verbessert werden müssen. Wäre nicht die Bildung der Sprach dem völligen Despotismus des Gebrauchs unterworfen; so würde es wol der Müh werth seyn, eigene Veranstaltungen für die Verbesserung derselben, in Absicht auf den guten Klang der Wörter zu machen. Sollte es inzwischen irgend einer deutschen Academie gelingen, Ansehen genug bey der ganzen Nation zu erhalten; so könnte sie alsdenn durch ein Wörterbuch hierinn viel Nutzen stiften. Aber der Gebrauch ist ein schnelleres und kräftigeres Mittel. Wir müssen die Verbesserung des Wolklanges der Sprache von Schriftstellern erwarten, die allgemeinen Beyfall finden.

Hier zeiget sich die Wichtigkeit blos ergözender und belustigender Werke der Beredsamkeit und Dichtkunst; wenn die Verfasser vorzügliches Gefühl für den Wolklang haben. Sie find die besten Mittel den guten Klang der Sprach auszubreiten. So wenig Achtung sie bisweilen ihres Inhalts wegen verdienen, so schätzbar müssen sie der Nation wegen dieses Nebennutzens seyn. Einem blos ergözenden Schriftsteller liegt ob, mit äusserster Sorgfalt wolklingend zu schreiben; weil darin sein Hauptverdienst besteht. Es ist so gar billig, daß man die Dichter die ein vorzüglich feines Ohr haben, und sich dem äusserst mühesamen Geschäft, den höchsten Wolklang zu suchen, unterziehen, durch Beyfall ermuntere; weil die Sprache durch sie in einer ihrer schätzbarsten Eigenschaften gewinnet.

Hier ist, glaube ich, auch der Ort anzumerken, daß blos in Rüksicht auf den Wolklang der Worte, die Einführung fremder, anstatt einheimischer Wörter, nicht nur erlaubt, sondern verdienstlich sey. Haben wir für gewisse nicht unwichtige Begriffe eigenthümliche Wörter von schlechtem Klang, und ist ihnen gar nicht aufzuhelfen, so sollte man sie, so oft es angeht, gegen fremde, wolklingende vertauschen, und sie blos der gemeinen Rede überlassen. So möchte ichs, um ein Beyspiel zu geben, wol leiden, daß das Wort Gerücht für immer gegen Fama vertauscht würde; und so könnte man mit viel andern auch noch verfahren. Darin ist Hr. Ramler allen nach ihm folgenden Dichtern mit seinem Beyspiel vorgegangen.

Gut würd es auch seyn, wenn die, welche die neu herauskommenden Schriften des Geschmaks der Nation ankündigen, besondere Aufmerksamkeit auf den Wolklang richteten, und allemal das Neue und Vorzügliche was sie hierüber bemerken, anzeigten. Unsre Sprach ist darin noch großer Verbesserung fähig. Man sollte darum diejenigen, die den Klang eines Worts durch Weglassung, oder Aendrung irgend eines Buchstabens verbessern, nicht tadeln, noch sie einer Uebertretung der grammatischen Regeln beschuldigen, sondern ihnen viel mehr Dank dafür wissen. Dadurch haben die Italiäner ihre Sprache so wolklingend gemacht, als sonst keine neuere Sprache ist. In Deutschland würde der eines critischen Verbrechens schuldig erklärt werden, der sich unterstünde mit einem deutschen Worte eine solche Veränderung vorzunehmen, als die ist, da der Italiäner Fiamma, Fiume, anstatt Flamma, Flume, gesetzt hat. Will man aber dergleichen Dinge nicht erlauben, so kann auch der Klang der Sprache nicht zu einer gewissen Vollkommenheit kommen.

Die Dichter, denen unsre Sprach in diesem Stük am meisten zu Danken hat, sind unstreitig Klopstok und Ramler. Man hat den letztern sehr ernstlich getadelt, daß er eigenmächtig in andrer Dichter Arbeit viel geändert habe. Es gehört nicht hieher, die Rechtmäßigkeit dieser Sache zu untersuchen; aber dieses kann hier gesagt werden, daß ich es für ein sehr verdienstliches Werk halten würde, wenn Hr. Ramler gewisse sehr gute Gedichte die nicht wolklingend genug sind, nach seiner Art umarbeiten, und anstatt schlechter Worte wolklingende nehmen wollte, [588] wenn sie auch griechischer, oder noch fremderer Abkunft wären. Wem damit gedient wäre den Dichter in seiner Sprache zu lesen, der könnte ihn darum noch immer bekommen.

1S. Art. Gesang. S. 461.
2Wem daran gelegen ist, alles, was hier und da, von der ästhetischen Krast der Töne angemerkt wird, aus richtigen Gründen zu beurthellen, den verweise ich auf die Vergleichung unserer Sinne, die ich in dem vierten Abschnitt der Theorie der angenehmen und unangenehmen Empfindungen, gegen das Ende angestellt habe. Auch wird man in Hrn. Herders Untersuchung über den Ursprung der Sprache, welche den Preiß bey der Berlinischen Academie der Wissenschaften erhalten hat, einige ganz wichtige Bemerkungen hierüber finden.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 587-589.
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