Lebhaft

[683] Lebhaft. (Schöne Künste)

Dieses Wort wird in den schönen Künsten oft und in mancherley Bedeutungen gebraucht, die allemal eine gute Eigenschaft anzeigen. Lebhaft ist, was viel Leben hat; das Leben aber besteht überhaupt in einer innern oder eigenthümlichen würkenden Kraft der Dinge. Aber es scheinet, daß nicht die Größe, sondern die schnelle Aeusserung dieser Kraft den Namen der Lebhaftigkeit bekomme. Es giebt Menschen von kalter Sinnesart, die mit ausnehmend starker, und doch gelassener Kraft würken, aber deswegen nicht unter die lebhaften gezählt werden. Also scheinet der Begriff des Lebhaften etwas schnellwürkendes anzuzeigen, oder einen geringern Grad des Feurigen.

Lebhafte Farben sind helle Farben, die zugleich das Aug stark rühren, und etwas glänzendes haben. Lebhaft in der Musik, und in dem Ton der Rede, ist das, was stark und zugleich schnell vorgetragen wird. Lebhaft ist der Geist, der schnell faßt, und dabey schnell von einem Begriff auf den andern kommt; aber diese Schnelligkeit ohne Deutlichkeit der Vorstellung, scheinet blos Flüchtigkeit zu seyn. Lebhaft ist das Gemüth, das stark, aber zugleich schnell empfindet, und eben so schnell von einer Empfindung zur andern übergeht. Aus diesen beyden Begriffen läßt sich bestimmen, was der lebhafte Charakter des Menschen sey.

Dem Lebhaften ist zwar das Träge, auch das Kalte gerad entgegengesetzt; doch scheinet auch das Sanfte, Gefällige und Einschmeichelnde ihm einigermaaßen entgegen zu stehen; jenes wiederspricht dem Lebhaften ganz, und mißfällt meistentheils. Dieses macht einen gefälligen Gegensatz, und ist noch in seiner Art angenehm. In den schönen Künsten gefällt das Lebhafte eben so gut, als das Sanfte; jedes an seinem Orte und in der genauen Uebereinstimmung mit dem Charakter des Ganzen. Der Künstler muß sanft oder lebhaft seyn, nach Beschaffenheit des Gegenstandes, den er behandelt, oder der Vorstellung und Empfindung, die er zu erweken hat.

Die Lebhaftigkeit hat an sich selbst, ohne Rüksicht auf ihre Ursachen oder Würkungen etwas, das gefällt. Denn wie wir überhaupt Leben und Bewegung der Ruhe vorziehen, so gefällt es uns auch wenn in dem Leben und in der Thätigkeit bisweilen einige lebhafte Augenblike vorkommen. Indessen scheinet es doch, daß die Lebhaftigkeit sowol in dem Fortgange des Lebens, als in den Gegenständen des Geschmaks eigentlich nur als eine Würze zur Erhöhung der gewöhnlichen Vorstellungen diene. In dem gesellschaftlichen Umgange der Menschen würd' eine anhaltende Lebhaftigkeit ermüden. Kommen aber bisweilen zwischen die gewöhnlichen Scenen des Lebens, einige von grösserer Lebhaftigkeit, so geben sie dem Geist und dem Gemüthe einen neuen Schwung und neue Kräfte. Aber eine langanhaltende Lebhaftigkeit ermüdet zu sehr, hemmet die Würkungen einer ruhigen Vernunft, und hindert den Menschen zu der Gründlichkeit und Standhaftigkeit zu kommen, der er sonst fähig wäre. Man kann bey ganzen Völkern, wie bey einzelen Menschen die Beobachtung machen, daß eine allgemeine und anhaltende Lebhaftigkeit sie nicht zu der Größe des Geistes und Herzens kommen läßt, der die Menschen überhaupt fähig sind.

Hieraus ziehen wir die Folge, daß in Werken des Geschmaks das, was man vorzüglich lebhaft nennet, ohne Nachtheil nicht allgemein werden därf. Es scheinet, daß die neuern französischen Kunstrichter die Lebhaftigkeit, für die erste und fürnehmste Eigenschaft eines guten Schriftstellers halten; das erste Lob, das sie den Schriften, die ihnen gefallen, geben, ziehlt meistentheils dahin ab; eine hinreißende feurige Schreibart, ist allemal das, was sie vorzüglich loben; aber es ist gerade das, was man bey [683] den Alten am seltensten findet. So ist auch ihre Instrumentalmusik, und eben dieser Geschmak des Lebhaften findet sich auch in ihren zeichnenden Künsten.

Der Mensch ist nie lebhafter, als im Zorn und in der Freude; deswegen auch die Lebhaftigkeit der Gedanken und des Ausdruks sich am besten zu diesen beyden Leidenschaften schiken. In der Rache kommen bisweilen beyde zusammen, und alsdenn entsteht eine sehr große Lebhaftigkeit, wovon wir in folgender Stelle des Horaz ein schönes Beyspiel haben:


Audivere Lyce, DI mea vota; DI

Audivere Lyce: fis anus, et tamen

Vis formosa videri.1


Die Werke des Geschmaks, deren Hauptcharakter Lebhaftigkeit ist, können den Nutzen haben, träge, kalte, auch zu ernsthafte Gemüther etwas zu ermuntern. Vorzüglich können lebhafte Lieder mit guten Melodien diese Würkung thun. Es würde in manchem Fall für die Erziehung der Jugend vortheilhaft seyn, wenn man unter den gangbaren Werken der Dichtkunst eine Anzahl solcher Lieder hätte, davon man zur Ermunterung der Gemüther, denen es an Lebhaftigkeit fehlet, Gebrauch machen könnte. Alles Scherzhafte, darin wahre Lebhaftigkeit herrscht, wenn nur sonst nichts, das den guten Geschmak beleidiget, darin ist, kann zu diesem Behuf angewendet werden.

1L. IV. 13.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 683-684.
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