Ein Intervall von vier diatonischen Stufen, davon zwey ganze Töne sind, und eine einen halben Ton ausmacht; von dieser Anzahl diatonischer Stufen, kommt sein Name, der so viel bedeutet, als, die vierte Sayte vom Grundton. Die Quarte entsteht durch die harmonische, oder arithmetische Theilung der Octave. Wenn man nämlich zwischen zwey gleichstarke und gleichgespannte Sayten, davon die tiefere 12 Fuß, die höhere 6 Fuß lang wäre, eine dritte, als die harmonisch mittlere1 von 8 Fuß sezet, so klinget diese gegen die untere das Intervall der Quinte, und alsdenn klinget die obere, gegen diese mittlere, die Quarte. Sezet man aber zwischen die Sayten 12 und 6 eine arithmetisch mittlere 9; so klinget sie gegen die untere die Quarte, die obere aber gegen ihr, die Quinte. Hieraus versteht man, was die ältern Tonlehrer sagen wollen, wenn sie sagen, durch die Quinte werde die Octave harmonisch, durch die Quarte arithmetisch getheilet.
Das reine Verhältnis der Quarte gegen den Grundton, ist nach den Längen der Sayten wie 3/4 zu 1; oder kurz die Quarte wird durch 3/4 ausgedrükt. Allein da man in der heutigen Musik die einmal gestimmte diatonische Tonleiter für jeden Grundton beybehält, so hat die Quarte auch nicht immer dieses reine Verhältnis von 3/4 gegen jeden Grundton. Man kann aus unsrer Tabelle der Intervalle2 ihre verschiedenen Verhältnisse sehen, wenn sie vollkommen, klein, oder übermäßig ist. Von der übermäßigen Quarte, die insgemein der Tritonus genennt wird, kommt unten an seinem Ort ein besonderer Artikel vor; sie ist eine Dissonanz, die man gar nicht mehr zur Quarte rechnen kann. Die eigentliche wahre Quarte kann in ihren Verhältnissen sich nicht weit von 3/4 entfernen. Hieraus läßt sich schon abnehmen, daß die Quarte ein angenehm consonirendes Intervall, und das nächste an Annehmlichkeit nach der Quinte, sey. Dafür ist sie auch von den Alten, ohne Ausnahm immer gehalten worden.
Hingegen findet man, daß die besten neuern Harmonisten sie meistentheils, als eine Dissonanz behandeln, und eben den vorsichtigen Regeln der Vorbereitung und Auflösung unterwerfen, als die unzweifelhaftesten Dissonanzen. Da es aber doch auch Fälle giebt, wo Quarten gänzlich wie Consonanzen behandelt werden, so ist daher unter den Tonlehrern, die die wahren Gründe dieses anscheinenden Wiederspruchs nicht einzusehen vermochten, ein gewaltiger Krieg über die Frag entstanden, ob dieses Intervall müsse den Consonanzen oder Dissonanzen zugezählt werden. Und dieser Streit ist bey vielen bis an diese Stunde nicht entschieden.
Und doch scheinet die Auflösung dieses paradoxen Sazes, daß die Quarte bald consonirend, bald dissonirend sey, eben nicht sehr schweer. Alle ältere Tonlehrer sagen, die Quarte consonire, wenn sie aus der harmonischen Theilung der Octav entstehe, und dissonire, wenn sie aus der arithmetischen entstehe. Andre drüken dieses so aus. Die Quarte dissonire gegen die Tonica, hingegen consonire die Quarte [931] deren Fundament die Dominante der Tonica sey. Beyde Arten des Ausdruks sagen gerade nicht mehr, und nicht weniger, als wenn man sagte dieser Accord
klinge gut, und dieser
klinge nicht gut. Dieses empfindet jedes Ohr. In beyden Accorden liegt eine Octave, eine Quint und eine Quarte, wie der Augenschein zeiget. Aber im ersten empfindet man die Quinte in der Tiefe, gegen den Grundton und die Quarte in der Höhe, gegen die Dominante des Grundtones; im andern hingegen liegt die Quarte unten, und klinget gegen den Grundton, die Quinte oben, und klinget gegen die Unter-Dominante, oder die Quarte des Grundtones. Hieraus nun läßt sich das Räthsel leicht auflösen.
Man gesteht, daß im ersten Accord alles consonirend ist. Nun lasse man den untersten Ton weg, so höret man eine reine und wol consonirende Quarte. Im andern Accord lasse man den obersten Ton weg, so höret man gerade dasselbe Intervall, als im ersten Accord, von dem der unterste Ton weggelassen worden, nur mit dem Unterschied, daß izt beyde Töne tiefer sind. Ob man aber ein Intervall hoch oder tief im System nehme, dieses ändert seine consonirende oder dissonirende Natur, nach aller Menschen Geständniß nicht. Hieraus ist also offenbar, daß zwey Töne, die um eine reine Quarte von einander abstehen, für sich allein, ohne Rüksicht auf einen dritten, betrachtet, würklich consoniren. Demnach ist das Intervall der Quarte an sich betrachtet, unstreitig eine Consenanz, und sie ist es noch mehr, als die große Terz.
Warum dissonirt aber der zweyte von den angezeigten Accorden, besonders wenn noch in dem Contrabaß auch C angeschlagen würde? Darum, weil ihm die Quinte fehlet, an deren Stelle man eine weniger vollkommene Dissonanz, nämlich die Quarte genommen hat. So bald man einen Ton und dessen Octave höret, vornehmlich, wenn man ihn als eine Tonica, als einen Grundton vernihmt, so will das Gehör den ganzen Dreyklang vernehmen; besonders höret es die Quinte3 gleichsam leise mit, wenn sie gleich nicht angeschlagen wird. Nun zwinget man es aber hier die Quarte, statt der Quinte zu hören, die freylich als die Unter-Secunde, der schon im Gehör liegenden Quinte, mit ihr sehr stark dissonirt. Man muß sich also jenen zweyten Accord so vorstellen, als wenn diese Töne zugleich angeschlagen würden,
wobey das g nur sehr sachte klänge. Daß dieser Accord dissoniren müsse ist sehr klar.
Es ist also klar, daß man die Quarte, so consonirend sie auch an sich ist, gegen den Grundton, wegen der Nachbarschaft der Quinte nicht als eine Consonanz brauchen könne. Daher braucht man sie in dieser Tiefe nicht anders, als einen Vorhalt der Terz, wodurch sie allerdings die völlige Natur der Dissonanzen annihmt und so wie jeder Vorhalt muß behandelt werden. Diese ganz natürliche Auflösung des Räthsels scheinet der scharfsinnige Philosoph Des-Cartes schon angegeben zu haben, obgleich der Streit erst nach seiner Zeit recht hizig geführt worden ist. Aber freylich bekümmern sich die Tonlehrer selten um das, was ein Philosoph sagt.4
Aus diesen vorläufigen Erläuterungen erhellet, daß es bey der Quarte vornehmlich darauf ankomme, ob sie als Quarte des Grundtones, der das Gehör eingenommen hat, in welchem Falle sie eigentlich Quarta toni genennet wird, oder als Quarte eines andern Tones vorkomme. In dem ersten Falle wird sie dissoniren; weil man bey Empfindung der Tonica, auch deren Quinte, und meistentheils auch deren Terz einigermaaßen mit empfindet, da denn das würkliche Anschlagen der Quarte nothwendig dissoniren muß. Man stelle sich folgenden Gang der Harmonie vor:
[932] Auf den Niederschlag des ersten der drey hier gesezten Takte empfindet das Ohr den wesentlichen Septimen Accord auf G dergestalt, daß zugleich das Gefühl einer zu erwartenden Cadenz in den Hauptton C erwekt wird. Bey diesem Accord fühlt man also, daß auf die erste Harmonie der Dreyklang auf C als die Tonica folgen müsse, und von dieser Tonica wird das Gehör nun zum Voraus eingenommen. Nun folget in der zweyten Zeit des ersten Taktes in den obern Stimmen in der That der Dreyklang der erwarteten Tonica C, mit verdoppelter Terz, und dieses macht, daß man auch im Basse die Tonica C würklich erwartet. Allein an ihrer Stelle höret man den Ton G fortdauren, weil die Cadenz nach der Absicht des Sezers etwas sollte verzögert werden. Auf diese Weise machen die Töne der obern Stimme gegen den würklichen Baßton eine Quarte und zwey Sexten. Diese Quarte behält hier ihre consonirende Natur gegen den würklichen Baßton; weil man hier von der Quinte dieses Baßtones, nämlich d, gar nichts empfindet, da man vielmehr von dem Accord des wahren Grundtones C eingenommen ist, der nothwendig die Empfindung von d ausschließt. Man empfindet hiebey den Accord C nur nicht in seiner beruhigenden Vollkommenheit, weil ihm sein wahres Fundament, seine Tonica im Basse fehlet.
Nun vernihmt man beym Niederschlag des zweyten Taktes im Baße wieder den Ton G, und dessen Octave im Tenor. Dieses erweket das Gefühl einer halben Cadenz aus der Tonica C, (die man kurz vorher empfunden hat) in ihre Dominante G. Hier ist also der Baßton G als die Tonica anzusehen, in welche ein halber Schluß geschieht, und das Gehör wird nun von dieser Tonica eingenommen, und empfindet einigermaaßen seine Quint und Terz mit. Da aber anstatt dieser beyden Intervallen, die Sexte und die Quarte würklich vernommen werden, so müssen sie nothwendig dissoniren; denn nicht sie, sondern die Quint und Terz des Grundtones sind erwartet worden. Das Eintreten dieser beyden Consonanzen wird hier nur verzögert, und dadurch, daß Sext und Quart gehört werden, desto lebhafter verlanget. Deswegen müssen nun nothwendig auf der zweyten Zeit des Taktes diese beyden Vorhalte, oder Dissonanzen in ihre Consonanzen, die Sexte in die Quinte, und die Quart in die Terz heruntertreten. Und nun ist das Gehör befriediget, und vernihmt würklich, was es gewünscht hatte, den Accord des Dreyklanges auf dem Grundton G. Hier sind also Quart und Sexte, die in dem vorhergehenden Takte consonirten, wahre Dissonanzen, die sich auflösen müssen. Dieses wird nun hinlänglich seyn, die doppelte Natur der Quarte zu erklären.
Da von dem Gebrauch der consonirenden Quarte, in dem nächsten Artikel besonders gesprochen wird; so will ich hier fortfahren blos von der dissonirenden Quarte zu sprechen. So ofte die Quarte zum Dissoniren gebraucht wird, ist sie allemal ein Vorhalt der Terz, deren Stelle sie eine Zeitlang einnihmt, um das Eintreten dieser Terz desto angenehmer zu machen. Sie muß demnach, so wie die andern Vorhalte5 auf die gute Taktzeit eintreten, vorhergelegen haben, und ordentlicher Weise auf derselben Baßnote in ihre Consonanz, die Terz, herunter treten, deren Erwartung sie erwekt hatte, wie an folgenden Beyspiehlen zu sehen ist.
Diese Quarte kann in dem vorhergehenden Accord, durch den sie vorbereitet wird, als ein consonirendes, oder dissonirendes Intervall vorkommen. Deswegen ist die Art ihrer Vorbereitung keiner besondern Regel unterworfen.
Aber von ihrer Auflösung ist zu merken, daß sie zwar nothwendig in die Terz, deren Stelle sie auf der guten Zeit des Takts einnihmt, heruntertreten muß, daß sie aber bisweilen, wegen einer Verwechslung des Grundtones, die im Basse vorgenommen wird, durch diese Auflösung zur Octave wird. Aber diese Octave ist doch im Grunde nichts anders, als die wahre Terz des eigentlichen Grundtones, an dessen Stelle im Basse seine Terz genommen worden, wie aus diesem Beyspiel deutlich erhellet.
[933] Hier geschiehet ein Schluß nach C, die Quarte löset sich, wie es seyn muß, in die Terz des Grundtones C auf. Weil aber dieser Schluß, nach der Absicht des Tonsezers nicht in seiner völligen Vollkommenheit seyn sollte, so hat er den Grundton C nicht durch den ganzen Takt behalten, sondern auf seiner schlechten Zeit die erste Verwechslung seines Dreyklanges genommen, und E statt C gesezet, wodurch die Terz, in welche die Quarte herübergegangen war, zur Octave geworden. Hätte man diese Verwechslung des Grundtones im Basse gleich auf dem Niederschlag vorgenommen, so wäre die Quarte dem Scheine nach zur None geworden, und hätte sich in die Octave des Basses aufgelößt: und eben so wäre sie durch die zweyte Verwechslung des Dreyklanges auf dem Niederschlag, wenn im Basse G statt C genommen worden wäre, zur Septime geworden, und hätte sich in die Sexte aufgelöset.
Noch in einer andern Gestalt erscheinet diese dissonirende Quarte, wenn sie durch Versezung aus einer Oberstimme in den Baß kommt; da sie alsdenn in eben der Stimme eine Stufe heruntertritt, und den Sextenaccord hervorbringet, dessen Baßton aber die Terz des wahren Grundtones ist, in welche sich die Quart aufgelößt hat, wie hier:
Man sieht hier gleich, daß im Basse eigentlich der Ton E als die Terz des Grundtones stehen sollte, an dessen Stelle im Niederschlag seine Quarte, die vorher im Basse gelegen hat, beybehalten worden, die nun in die Terz heruntertritt.
Uebrigens ist von dem melodischen Gebrauch der Quartensprünge in dem Artikel Melodie gesprochen worden.6 In Ansehung einer Folge von mehrern Quarten, die in einer Stimme in gerader Bewegung auf einander folgen, ist einige Vorsicht zu gebrauchen. Hierüber verweisen wir den Leser auf das was Hr. Kirnberger deshalb angemerkt hat.7 Was von der übermäßigen Quarte zu erinnern wäre, ist eben das, was an einem andern Orte von den übermäßigen Dissonanzen überhaupt angemerkt worden.8
1 | S. ⇒ Harmonisch. |
2 | S. ⇒ Intervall. |
3 | S. ⇒ Klang. |
4 | Hæc (quarta) infelicissima est eonsonantiarum emnium, nec umquam in cantilenis adhibetur nisi per aceidens et cum aliarum adjumento. Non quod magis imperfecta sit, quam tertia minor aut sexta, sed quia tam vicina est quintue et coram hujus suavitate tota illius gratia evanescat. Cartesii Compend. Musices. |
5 | S. ⇒ Vorhalt. |
6 | S. 757. |
7 | S. Kirnbergers Kunst des reinen Sazes S. 58. |
8 | S. Dissonanz S. 266. und 270. |
Buchempfehlung
Der Teufel kommt auf die Erde weil die Hölle geputzt wird, er kauft junge Frauen, stiftet junge Männer zum Mord an und fällt auf eine mit Kondomen als Köder gefüllte Falle rein. Grabbes von ihm selbst als Gegenstück zu seinem nihilistischen Herzog von Gothland empfundenes Lustspiel widersetzt sich jeder konventionellen Schemeneinteilung. Es ist rüpelhafte Groteske, drastische Satire und komischer Scherz gleichermaßen.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro