[1083] Sinnlich. (Schöne Künste)
Eigentlich wird das sinnlich genennt, was wir durch die äußern Sinnen des Körpers empfinden; man hat aber die Bedeutung des Worts auch auf das ausgedähnet, was wir blos innerlich, ohne Zuthun der körperlichen Sinnen empfinden, wie Begierde, Furcht, Liebe u. d. gl. Dieses Sinnliche das man auch empfindbar nennen könnte, wird von dem Erkennlichen, wenn ich dieses Wort brauchen därf, unterschieden. Man hat nämlich bemerkt, daß diese zwey Arten, sich etwas bewußt zu seyn, da man etwas erkennt, oder da man etwas empfindet, sehr von einander verschieden seyen, und das, was man empfindet, sinnlich genannt. Weil es zur Theorie der schönen Künste nothwendig ist, daß man den Unterschied zwischen Erkennen und Empfinden, genau bemerke, indem diese Künste sich von den Wissenschaften darin unterscheiden, daß jene für das Empfinden, diese für das Erkennen, arbeiten, so müssen wir die Begriffe hierüber genau entwikeln.
Wir sagen, daß wir etwas erkennen, fassen, oder begreifen, wenn wir seine Beschaffenheit wahrnehmen, und wir erkennen die Sache deutlich, deren Beschaffenheit wir andern beschreiben, oder erklären können. Beym Erkennen schwebt also unserm Geist etwas vor, oder wir sind uns einer Sache bewußt, [1083] die wir, als etwas von uns selbst, das ist von unsrer würkenden Kraft verschiedenes ansehen, und wir nennen dieses den Gegenstand der Erkenntnis. Hingegen sagen wir, daß wir etwas empfinden, wenn wir uns einer in uns, in unsrer eigenen Kraft, vorfallenden Veränderung bewußt sind; wenn wir uns izt anders gerühret, oder in einem andern Zustand versezt finden, als wir vorher waren. Das Empfinden geht unmittelbar unsern innern Zustand an; denn bey jeder neuen Empfindung sind wir uns einer Verändrung in uns selbst bewußt; das Erkennen geht auf etwas, das wir als von uns getrennt, ansehen. Beym Erkennen sind wir Zuschauer dessen, was vorgeht; beym Empfinden sind wir selbst das Ding, mit dem etwas veränderliches vorgehet, und dieses Veränderliche beobachten wir nicht, als etwas, das von uns verschieden ist, sondern als etwas, das in unsrer Würksamkeit liegt. Beym Empfinden ist die Aufmerksamkeit ganz auf uns und auf die Veränderung in unserm innern Zustand gerichtet; beym Erkennen aber geht sie auf etwas von uns verschiedenes. Am leichtesten zeiget sich dieser Unterschied, in den beyden Fällen, da wir selbst vermittelst der äußern Sinnen etwas blos empfinden, oder erkennen. Wenn wir Wärme oder Kälte fühlen, und blos auf das Gefühl selbst Acht haben, ohne auf das Feuer, oder die kalte Luft, wodurch es bewürkt wird, Achtung zu geben, so beschäftigen wir uns blos mit uns selbst. Wir finden uns in einem Zustande, der etwas eigenes, von jedem andern Zustand verschiedenes hat. Hier ist uns nichts von uns verschiedenes, nichts als außer uns sich veränderndes gegenwärtig; wir fühlen allein uns selbst; unsre uns gefallende oder mißfallende Existenz. Gefällt uns dieser Zustand, so nennen wir die Empfindung angenehm, genießen sie und wünschen darin zu verharren, oder sie noch stärker zu genießen. Mißfällt uns der Zustand, so äußert sich in der Kraft, die wir als unser eigenes Wesen empfinden, ein Bestreben nach einem andern Zustande. Kurz, in beyden Fällen sind wir ganz mit uns selbst beschäftiget, oder wir empfinden nur uns selbst.
Mit diesem Falle vergleiche man den, da wir einen sichtbaren Gegenstand erbliken, dessen Beschaffenheit wir beobachten. Hier unterscheiden wir das, was uns beschäftiget, sehr genau von uns selbst. Denn wir sehen es als außer uns an. Die Aufmerksamkeit hat hier ein Ziehl, das außer uns zu liegen scheinet und unsre angenehme, oder unangenehme Existenz nichts angeht. Je stärker wir unsre Aufmerksamkeit auf die Beschaffenheit des Gegenstandes richten, je mehr vergessen wir uns selbst. Unsre Würksamkeit geht nun darauf in dem Gegenstand mehr zu sehen, das Mannigfaltige darin zu entdeken, und uns selbst Rechenschaft davon zu geben. Hiebey äußert sich, indem wir zu erkennen suchen, nicht das geringste Bestreben, etwas in unsrer Existenz zu ändern, wir wollen nur sehen, mehr, oder genauer sehen, uns selbst wollen wir nicht anders fühlen.
Dieses ist der Unterschied zwischen Empfinden und Erkennen. In so fern nun ein Gegenstand auf die Empfindung würket, oder das Empfinden verursachet, wird er sinnlich genennt, und in so fern er uns zum Erkennen, zum Erforschen anreizt, wollen wir ihn erkennlich nennen. Man siehet hier sogleich, daß ein und eben derselbe Gegenstand sinnlich, oder erkennlich ist, je nachdem er auf uns würket. Ein schönes Juweel kann bey einem eitelen Menschen plözlich den Wunsch erweken, es zu besizen und sich damit zu schmüken; denn würkt es Empfindung, und ist in so fern ein sinnlicher Gegenstand: bey einem Juwelierer macht es vielleicht blos die Neugierde rege; er will es näher sehen, genauer betrachten, giebt auf seine Form, auf den Glanz, auf die Beschaffenheit der einzeln Theile, Achtung, schäzt seinen Werth u.s.f. Diesem ist es ein Gegenstand der Erkenntniß, und in so fern nicht sinnlich, ob er gleich durch den Sinn des Gefühls erkannt wird.
Sinnlich heißt also jeder Gegenstand, dessen Gegenwart in unsrer Vorstellung wir unmittelbar empfinden, und mit dessen Betrachtung, oder näheren Erforschung wir uns nicht abgeben, wenn wir den Eindruk davon gleich durch keinen der äußern Sinnen bekommen haben. Jeder Begriff, jede Vorstellung in uns, sie sey entstanden wie sie wolle, ist sinnlich, in so fern wir uns der Empfindung die sie erwekt allein überlassen, ohne näher zu untersuchen, wie die vorgestellte Sache beschaffen ist; das ist, in so fern wir blos auf ihre Gegenwart, auf das Empfinden derselben Achtung geben. Deswegen heißt auch jeder confuse Begriff, den ein Wort in uns erweket und dessen Beschaffenheit wir nicht näher erforschen, sondern zufrieden sind mit dem, was wir dabey empfinden, ohne es weiter zu entwikeln, ein [1084] sinnlicher Begriff. Es ist uns dabey, als ob wir ihn blos aus Anschauen, ohne Nachdenken gegenwärtig haben, und wir beschäftigen uns blos mit dem Eindruk, den er auf uns macht.
Vorzüglich sinnlich, oder stark sinnlich, wollen wir die Vorstellungen nennen, die starkes Empfinden erweken, bey dem wir uns verweilen; ein Empfinden, das nicht schnell vorübergeht, sondern uns gleichsam nöthiget, auf unser Gefühl, oder unsern innern Zustand Achtung zu geben. Also sind nicht alle durch äußere Sinnen erwekte Begriffe vorzüglich sinnlich. Einige erweken so schwache Empfindung, daß man sie kaum gewahr wird, oder sie verursachen eine so schnelle Untersuchung ihrer Beschaffenheit, daß man dabey sogleich in den Zustand der Betrachtung und des spekulativen Denkens geräth.
Dieses aber hängt nicht allemal blos von der Beschaffenheit des Gegenstandes, sondern gar ofte von unserer Sinnesart ab. So ist der Grundriß eines großen Gebäudes für einen, der die Baukunst versteht, eine geometrische Figur, für einen Mathematiker, zwar im allgemeinen Sinn, ein sinnlicher Gegenstand; aber er lokt ihn sogleich auf seine nähere Betrachtung und Erforschung des Einzelen darin; dadurch hört er auf sinnlich zu seyn.
Erkennlich oder spekulativ ist jeder Gegenstand, den man ohne genaues Bemerken und Erforschen seiner Beschaffenheit nicht erkennen, oder im Geiste gegenwärtig haben kann. Von dieser Art ist jeder deutliche Begriff; weil man ihn gar nicht faßt, wenn man nicht seine Beschaffenheit, oder das Einzele, was in ihm liegt, durch genaues Beobachten und Nachdenken, bemerket. Vorzüglich rechnen wir zum Erkennlichen die Gegenstände, die man zwar ohne Nachdenken sich vorstellen kann, die aber sogleich die Vorstellungskraft zu einer näheren Betrachtung und Erforschung ihrer Beschaffenheit reizen. Die Gegenstände deren Gegenwart im Geiste, wenn man sie nicht näher kennt, gar nichts merkliches in uns würken, und weder zum Denken, noch zum Empfinden reizen, kommen hier als völlig gleichgültige Dinge gar nicht in Betrachtung.
Nach diesen vorläufigen Erläuterungen kommen wir nun näher zum eigentlichen Inhalt dieses Artikels. Die schönen Künste haben nicht den Zwek uns zu unterrichten, sondern uns zu rühren, oder in Empfindung zu sezen. Auch da, wo sie etwa in besondern Fällen einen unterrichtenden Stoff bearbeiten, thun sie es so, daß der Unterricht mit Empfindung verbunden ist. Daraus folget also, daß die Gegenstände, die sie uns vorhalten, sinnliche Gegenstände seyn müssen, und daß der Zwek desto sicherer erreicht werde, je mehr Sinnlichkeit sie haben.
Die zeichnenden Künste und die Musik können keinen andern, als sinnlichen Stoff bearbeiten; man braucht also den Künstlern in diesen Gattungen nicht wie den Rednern und Dichtern zu sagen, sie sollen suchen sinnlich zu seyn. Aber dieses müssen sie wissen, wie ein an sich nur schlechtweg sinnlicher Gegenstand, vorzüglich, oder stark sinnlich werde. Die redenden Künste können sowol sinnlichen, als erkennlichen Stoff bearbeiten. Da ist also nöthig zu wissen, wie dem nicht sinnlichen Stoffe Sinnlichkeit zu geben, und wie sie den schwach sinnlichen noch mehr sinnlich zu machen haben.
Wir müssen aber, ehe wir uns hierüber einlassen, nothwendig wiederholen, daß man auch sinnlich denken, oder erkennen, und denkend empfinden könne. Jenes geschieht, wenn man beym Denken, bey blos klaren Begriffen stehen bleibet; dieses, wenn man von blos sinnlichen Vorstellungen so schwache Empfindungen bekommt, daß man nicht gereizt wird ihnen nachzuhängen, sondern sich der Betrachtung der Gegenstände, wodurch sie verursachet worden, überläßt. Jenes sinnliche Denken müssen wir gegen das spekulative Denken, und dieses denkende Empfinden gegen das volle Gefühl der Empfindung halten, um die Verschiedenheit der Würkung die jedes auf uns hat, genau zu beobachten.
Sinnliche Begriffe werden ohne großes Nachdenken erlanget. Es wird dazu blos so viel Aufmerksamkeit erfodert, daß man Dinge, die würklich verschieden sind, oder verschieden in die Sinnen fallen, von einander unterscheide, wozu der geringste Grad des Nachdenkens hinlänglich ist. Aber um deutliche und entwikelte Begriffe zu erlangen, muß man ofte die Vorstellungskraft ernstlich, anhaltend und auf mancherley Weise anstrengen. Man muß nicht nur alles Einzele, was erfodert wird, um die Sache dazu zu machen, was sie ist, genau fassen, sondern dieses Einzele der Ordnung nach wieder zusammensezen, oder vom Zusammensezen wieder entwikeln können. Die sinnlichen Begriffe, deren man gewohnt ist, stellt man sich ohne Mühe in einem [1085] einzigen untheilbaren Punkt der Zeit vor; deutliche Begriffe kann man nicht anders, als allmählig bekommen, in dem man das Einzele darin Stükweis betrachtet, und gleichsam aufzählt.
Hieraus entstehet nun ein merkwürdiger Unterschied zwischen sinnlichem und wissenschaftlichem Denken, in Absicht auf die Würkung.
Weil wir den sinnlichen Begriff schnell und ohne Anstrengung der Aufmerksamkeit fassen, so können wir uns sogleich dem Eindruk, den er auf uns macht, überlassen, und ihn ganz empfinden. Der Begriff, den wir deutlich zu fassen bemühet sind, würket gar nichts in uns, als ein bloßes Bestreben, das Einzele darin zu sehen, oder zu fassen. Dort empfinden wir alles Einzele auf einmal, ohne es zu erkennen, oder zu unterscheiden; hier aber sehen, oder empfinden wir nur einen einzigen, einfachen Theil auf einmal, und sind so stark beschäftiget, diesen zu fassen, daß wir das Ganze darüber aus dem Gesichte verliehren, und keine Würkung davon in uns spühren. Derjenige, der einem Taschenspiehler, oder Seiltänzer zusieht, und alle Augenblik etwas unbegreifliches, wiedersprechend scheinendes, oder gefährliches wahrnihmt, genießt die Eindrüke davon, er wird in beständiger Bewundrung, Erwartung und Furcht unterhalten: wer aber dabey sein Nachdenken anstrenget, um zu entdeken, wie alles zugeht, wie das unmöglich scheinende möglich ist, u.s.f. fühlt nichts von jenen Eindrüken; seine ganze Aufmerksamkeit ist auf das Erkennen der Sache gerichtet; er sieht nicht ein ganzes Kunststük auf einmal, sondern immer nur eine sehr kleine Bewegung und gleichsam nur einen Punkt. Man sehe auch zu leichterm Begriff dieser Sache die Anmerkung nach, die wir an einem andern Orte1 hierüber gemacht haben.
Und nun begreift man leichte, warum den redenden Künsten dieses als eine Grundmaxime vorgeschrieben wird, sie sollen überall sinnlich sprechen. Denn da ihr Zwek ist, stark und lebhaft zu rühren, dieses aber durch Entwiklung der Begriffe nicht geschehen kann; weil dabey alle Aufmerksamkeit nur auf das Erkennen der Sachen gerichtet ist; so müssen sie sich dessen völlig enthalten. Je sinnlicher der Redner oder Dichter spricht, je schneller wird er gefaßt, und je mehr Würkung thut das, was er sagt. Dieses kann als eine Grundlage dessen, was wir hier noch zum Behuf des Künstlers zu sagen haben, hinlänglich seyn.
Wie das sinnliche Denken vor dem speculativen einen großen Vorzug hat, wenn es auf praktische Kenntnis, und auf ein Wissen, das auf Handeln einfließen soll, ankommt; so ist auch ein denkendes Empfinden, in manchem Falle dem gedankenlosen Gefühl vorzuziehen. Dieses Gefühl würket weiter nichts, als die damit unmittelbar verbundene Lust, oder Unlust, und läßt, nachdem diese vorbey sind, weiter keine Spuhr in der Seele. Hingegen sind die Empfindungen, die zugleich mit klaren Vorstellungen ihrer Ursachen und Würkungen verbunden sind, von grosser Wichtigkeit. Sie sind es, die uns Kenntnis des sittlichen Guten und Bösen geben, Neigung zu jenem, und Scheuh für dieses einpflanzen.
Jenes gedankenlose Gefühl liegt blos in der thierischen Natur, beziehet sich nur auf körperliche Bedürfnisse, und ist deswegen kein Gegenstand der schönen Künste. Für die Erhaltung, Vervollkommnung und Fortpflanzung der animalischen Natur, ist ohne unser Nachdenken gesorget; aber die allmählige Erhebung des sittlichen Menschen, die Ausbreitung und Fortpflanzung des höheren sittlichen Lebens, ist der rühmlichen Bemühung edlerer Seelen überlassen. Diese machen die Seele für das sittliche Gute empfindsam, wie die Natur dem Körper für das physische Gute ein Gefühl gegeben hat. Und darin besteht der höchste und edelste Zwek der schönen Künste. Sie reizen die Empfindung zwar vermittelst der äußern Sinnen, aber nicht durch blos sinnliche Gegenstände. Sie legen der Vorstellungskraft Gegenstände der klaren Erkenntnis vor, und in diese legen sie den Reiz zu angenehmen und wiedrigen Empfindungen, damit der nicht blos thierische, sondern vernünftige Mensch das Gute und Böse kennen, jenes suchen und dieses vermeiden lerne.
Dieses ist nun alles, was der Künstler von der Theorie des Sinnlichen zu wissen nöthig hat. Nun kommen wir auf die Anwendung desselben.
Hier würde nun zuerst anzumerken seyn, mit welcher Sorgfalt der Künstler sich des Sinnlichen bedienen müsse, um das Angenehme und Unangenehme, womit es insgemein begleitet ist, nicht am unrechten Ort anzubringen; davon aber ist bereits an so viel Stellen dieses Werks und so hinlänglich gesprochen worden, daß wir diesen Punkt hier übergehen können. Es bleibet uns also nur noch übrig [1086] zu zeigen: 1. Wie in redenden Künsten dem blos Erkennlichen das Kleid der Sinnlichkeit anzuziehen sey; und 2. wie sowol diese, als alle andre schöne Künste, dem, was nur schwach sinnlich ist, mehr Sinnlichkeit geben können.
1. Die redenden Künste sind nicht bestimmt neue Wahrheiten zu erforschen; dies ist das Amt der Philosophie: aber jede nüzliche Wahrheit faßlich und mit eindringender Kraft begleitet vorzutragen und weiter auszubreiten, als die Philosophie es vermag, dieses ist eine von ihren Verrichtungen. Dazu aber müssen sie nothwendig einen sinnlichen Ausdruk brauchen. Er besteht darinn, daß für jeden nicht sinnlichen Hauptbegriff ein Wort gewählt werde, das einen sehr klaren und leichtfaßlichen Begriff erweket, vermittelst dessen durch irgend einen leichten Tropus, jener schweerere Begriff sehr klar und faßlich werde. Ein solcher Ausdruk wär es, wenn statt des philosophischen Wortes Vorsehung, wo dieses nicht schon unmittelbar in der popularen Sprach einen klaren Begriff erwekt, der Ausdruk väterliche Regierung Gottes gebraucht würde; ingleichen Sehen anstatt Erkennen; fühlen, anstatt überzeugt seyn u. d. gl. Hieher gehören alle Metaphern, Bilder, Gleichnisse, Vergleichungen; kurz alle Arten des Ausdruks, wodurch das anschauende Erkennen, befördert wird. Es ist aber beym Gebrauche dieser sinnlichen Sprache höchst nöthig, daß man beständige Rüksicht auf ihren Zwek habe, und diesem zufolge das Bekannte und Leichtfühlbare, dem Unbekannteren, und schweerer Fühlbaren vorziehe. Denn nicht jede durch die äußern Sinnen oder durch unmittelbar inneres Empfinden erwekte Vorstellung ist klar. Die zirkelrunde Figur faßt jedes Aug weit leichter, als die parabolische, oder hyperbolische; sie sind alle gleich sinnlich, aber nicht gleich klar. Vom angenehmen und wiedrigen Geruch hat jedermann klare Vorstellungen, aber in beyden Arten werden sie weit weniger klar, wenn man das Besondere, oder specivische davon fassen soll. Wenn man also die Wörter Rosengeruch und Liliengeruch nicht blos zum allgemeinen Ausdruk der Lieblichkeit der Empfindung, sondern zur nähern Bestimmung der Art der Lieblichkeit brauchen wollte, würden sie wenig nüzen.
Zu dem sinnlichen Ausdruk gehört auch der Wolklang, und das Empfindsame des Tones, nämlich das Feyerliche, Pathetische, Zärtliche, Fröhliche desselben, das sehr viel zum lebhaften Eindruk beyträgt.
2. Die schon ihrer Natur nach sinnlichen Vorstellungen können auf sehr vielerley Weise, noch sinnlicher gemacht werden. Sinnlicher wird die Vorstellung einer geschehenen Sache, wenn man anstatt sie zu erzählen, sie in Handlung verwandelt. Darum werden die epischen Dichter so ofte dramatisch. So wird der Ausdruk einer Empfindung weit sinnlicher, wenn er als eine Handlung vorgestellt wird, besonders wenn die Handlung an sich schon etwas Nachdrükliches hat. Wenn Oenone den Paris erinnert, er habe sie ehedem herzlich geliebet, so ist die Sache völlig sinnlich; bekommt aber einen sehr hohen Grad der Sinnlichkeit, durch die Art, wie Ovidius es ihr in Mund legt:
Incisæ servant a te mea nomina sagi;
Et legor Oenone falce notata tua.2
Sehr vermehret es die Sinnlichkeit, wenn das Allgemeine besonders gesagt wird. Es ist schon sinnlich, wenn man sagt: ich wünsche nicht im Ueberflus zu leben, sondern begnüge mich am Nothdürftigen; aber sehr viel sinnlicher ist es, wie Horaz es ausdrükt:
–– Dives et aureis
Mercator exsiccet culullis
Vina, syra reparata merce.
–– –– –– ––
–– Me pascant Olivæ
Me cichorea levesque malvæ.3
Ein besonderes Mittel die Sinnlichkeit zu verstärken ist auch dieses, wenn der Künstler, in dem er einen der äußern Sinnen beschäftiget, plözlich auch einen andern zu rühren weiß. Dieses thut Homer sehr oft, in dem er mitten in der Zeichnung seiner Gemählde, da sich unsre Einbildungskraft blos mit Sehen beschäftiget, auch das Gehör durch das Rasseln der Waffen, oder andere Töne, rühret. So ist folgendes aus dem Horaz höchst sinnlich:
–– Spirat adhuc amor
Vivuntque commissi calores
Aeoliæ fidibus puellæ.4
Hieher gehören auch die Kunstgriffe der Mahler, da sie neben dem Gesicht, auch andere Sinnen rühren, wie z.B. Poußin in seinem Gemählde von der Pest, wo auch der Geruch stark gerührt wird, oder wenn ein Mahler in Landschaften das Kühle der Schatten, das Rauschen eines Wasserfalls, die höchste Stille einer einsamen Gegend, oder im entgegengesezten [1087] Falle, die von dem Gesang der Vögel erfüllte Luft auszudrüken weiß, von dem allen aus den Werken der besten Mahler Beyspiehle anzuführen wären.
Ueberhaupt wird die Sinnlichkeit durch die vollkommene Erreichung der Natur bey jeder Vorstellung ungemein vermehret. Das Gemähld ist nie sinnlicher, als wann man dabey vergißt, daß man einen gemahlten Gegenstand sieht, und die Natur selbst zu sehen glaubt; wenn man im Portrait an dem Bilde Leben und Athem zu empfinden glaubt; wenn man in epischen und dramatischen Reden den Dichter so völlig vergißt, daß man die Personen selbst zu hören glaubt.
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