Unter dieser Benennung verstehet man die Methode, nach den sechs Aretinischen Sylben ut re mi fa sol la zu solfeggiren.
Guido von Arezzo ein eifriger Reformator der Musik seiner Zeit, führte im Anfang des eilften Jahrhunderts ein System von zwey und zwanzig diatonischen Tönen, nämlich von unserm großen G angerechnet bis ins zweygestrichene unter denen [1092] doch unser b schon mitbegriffen war, ein, und theilte es in sieben Hexachorde, oder Leitern von sechs auf einander folgenden Tönen ab; drey davon enthielten die Töne gahcde , zwey die Töne cdefga , und zwey die Töne fgabcd nach ihren verschiedenen Octaven, denen er die erwähnten sechs Sylben, die die Anfangssylben der ersten sechs Zeilen eines damals gebräuchlichen Hymnus an den heiligen Johannes sind, unterlegte, so daß mi fa allezeit unter dem halben Ton, der sich in jedem dieser Hexachorde von der dritten zur vierten Stufe befindet, zu stehen kam. Die drey Hexachorde von g bis e wurden in der Folge das harte, die zwey von c bis a das natürliche und die zwey von f bis d das weiche Hexachord genennet. So lange keines dieser Hexachorde in der Melodie überschritten wurde, behielt jeder Ton seine ihm eigne Sylbe in der Solmisation: stieg oder fiel der Gesang aber über oder unter dem Umfang einer dieser Sexten, oder welches einerley ist, gieng die Melodie in ein anderes Hexachord über, so mußten die Sylben mutirt werden, damit das mi fa wieder an seinen Ort zu stehen käme. Daher entstanden Regeln, wie die Mutation der Sylben bey den Uebergängen der Hexachorde geschehen müsse. Dem ohngeachtet konnten bey der Mannichfaltigkeit der Fortschreitungen des Gesanges, die Sylben mi fa nicht allezeit bey einer kleinen Secundenfortschreitung ohne den Schüler zu verwirren, möglich gemacht werden; man bewilligte daher unter gewissen Einschränkungen noch die Sylben la fa zu der Fortschreitung in einen halben Ton. Durch diese Benennungen wurden dem Schüler, wenn er erst die Regeln der Mutation inne hatte, so wohl die Schwierigkeit, die halben Töne in den alten Tonarten zu treffen, als auch überhaupt alle Intervallen, in sofern sie in jedem Hexachord nach denselben Sylben gesungen wurden, erleichtert.
Als aber nach der Zeit durch die Einführung des chromatischen und enharmonischen zu dem diatonischen Geschlecht das System der Musik um vieles erweitert, und die alten diatonischen Tonarten um einen oder mehrere Töne höher oder tiefer transponirt werden konnten, wurden dadurch, daß die Sylben mit allen Mutationen mit jeder transponirten Tonart zugleich transponirt werden mußten, die Schwierigkeiten der Solmisation so sehr vergrößert, und die Nothwendigkeit der Octavengattungen so offenbar, daß ohngeachtet der eifrigen Solmisationsverfechter dennoch der meiste Theil der Tonkünstler davon abgieng, und entweder wie die Franzosen den sechs Sylben noch die siebente zusezten, oder wie die Holländer sieben neue Sylben erfanden, oder wie die Deutschen bey der natürlichen Benennung der Töne stehen blieben, und danach ohne Mutation solfeggirten1.
Die Solmisation hat sich noch in Italien, und in einigen Gegenden Deutschlands erhalten, aber, wie man leicht denken kann, mit vielen Abänderungen. Selbst Buttstett, der ein eifriger Verfechter derselben war, und es dem Mattheson gar nicht vergessen konnte, daß er die ganze Solmisation, mit der man doch einst im Himmel musiciren werde, zu Grabe gebracht2, muß doch in seiner Vertheididigung derselben3 zugeben, daß bey den chromatischen Tönen cis, dis, fis, gis in C dur die Stimme erhoben werden müsse, weil sie keine eigene Benennung haben; auch erlaubt er statt fa, ni zu singen, wenn vor f ein steht4. Er hat aber vollkommen Recht, wenn er behauptet, daß die Solmisation die leichteste Methode sey, den Singschülern Stüke und Choräle aus den alten Tonarten wo die chromatischen Töne nicht vorkommen, treffen zu lernen.
In Fugen hat die Solmisation auch den Nuzen, daß sie lehret, wie der Gefährte dem Führer durch die Anbringung des Mi fa zu antworten hat, doch nur in der Jonischen Tonart; in den andern Tonarten bestimmt das mi fa die Antwort nicht allezeit, wie an einem andern Ort gezeiget worden5.