Tropen

[1184] Tropen. (Redende Künste)

Könnte im Deutschen durch Ableitungen gegeben werden. Denn die Tropen sind nichts anders, als Ableitungen der Wörter und Redensarten auf andre Bedeutungen1. So wird in der Redensart: die ganze Stadt ist bestürzt, das Wort Stadt von seiner eigentlichen Bedeutung auf die Bezeichnung der Einwohner abgeleitet, und ist in dieser Redensart ein Tropus. Es giebt, wie wir bald sehen werden, sehr viel Arten dieser Ableitung, jede Sprache hat eine unzählige Menge derselben und sie entstehen aus verschiedenen Ursachen. Eine der gewöhnlichsten ist der Mangel eigentlicher Wörter. Man sagt: dieser Mensch hat eine harte Seele, weil man kein eigentliches Wort hat, dasjenige auszudrüken, was der Tropus hart hier bezeichnet; andre male entstehen sie, weil man in der Eil, und um kurz zu seyn, einen Ausdruk statt einer Umschreibung, oder auch nur, weil er sich der Einbildungskraft eher, als der eigentliche darstellt, gebraucht; wie in den Redensarten: Europa hat mehr Künste, als jeder andrer Welttheil; er führt hundert Pferde an, anstatt hundert gewaffnete Reuter. Gar ofte entstehen die Tropen aus dem Bestreben nachdrüklich zu seyn, und das, was man sagen will, dem anschauenden Erkenntniß vorzubilden. So sagt man: Er brennt vor Zorn.

Es ließe sich leicht zeigen, daß der größte Theil jeder Sprache aus Tropen besteht, davon aber die meisten ihre tropische Kraft verlohren haben und für die eigentlichen Ausdrüke gehalten werden. Wir wollen aber hier keine Abhandlung über die Tropen schreiben; wer diese Materie in ihrem ganzen Umfang gründlich behandelt sehen will, kann darüber das Werk eines französischen Schriftstellers [1184] lesen2. Wir betrachten sie hier nur in Absicht auf ihre ästhetische Kraft, in so fern sie der Rede eine ästhetische Eigenschaft geben, die Quintilian in angezogener Stelle Virtutem nennt, und die unser Baumgarten zu sehr einschränkt, da er sie unter das ästhetische Licht sezt. Wir halten uns aber hier nur bey dem allgemeinen auf; weil wir die Kraft der besondern Gattungen der Tropen, in den jeden besonders gewiedmeten Artikel betrachten.

Alle Tropen haben das mit einander gemein, daß der Begriff oder die Vorstellung, die man erweken will, nicht unmittelbar, sondern vermittelst eines andern erwekt wird. Diese Verwechslung geschieht entweder aus Noth, weil man kein die Sache unmittelbar ausdrükendes Wort hat, oder aus Absichten. Aus Noth nennt man unsichtbare Dinge mit Namen der sichtbaren. So bald man aber dieser Tropen nur in etwas gewohnt wird, so verliehren sie ihre Kraft und sind wie eigentliche Ausdrüke. Bey den Ausdrüken, fassen, sehen, begreifen, sich vorstellen, erwägen, fällt uns gar selten ein, daß sie Tropen sind.

Man kann aus gar vielerley Absichten die Begriffe verwechseln. Entweder scheuet man sich die Sache geradezu zu sagen, weil sie etwas anstößiges oder beleidigendes, oder auch blos etwas zu rohes hat. Daher entstehen mancherley Tropen. So hält man für anständiger von einem Menschen zu sagen, er habe etwas eilig gelebt, als geradezu zu sagen, er habe sich mancherley den Körper schwächenden Wollüsten ergeben. Durch dergleichen Tropen kann man manches sagen, das sich geradezu gar nicht sagen ließe. Diejenige Art Menschen, die ein besonderes Studium daraus machen, in dem gesellschaftlichen Leben alles rohe, anstößige, wiedrige, zu vermeiden, die überall Gefälligkeit und Zierlichkeit anzubringen suchen, haben ungemein viel tropische Redensarten, die ihnen eigen sind. Sie fallen aber auch leicht in das Gezwungene und Geziehrte.

Man braucht aber auch Tropen in Absichten, die jenen gerade entgegen gesezt sind; nämlich weil der unmittelbare Ausdruk nicht stark, nicht treffend, nicht mahlerlich genug ist; oder mit einem Worte, weil er die Sache nicht nahe und kräftig genug darstellt. Im vorhergehenden Fall werden alle Sachen mit einem Schleyer bedekt, der das Unangenehme verbirget und nur das Artige darin sehen läßt; in diesem aber werden sie in ihrer nakenden Gestalt gezeiget; und wo dieses noch nicht genug ist, wird ihnen so gar die Haut noch abgezogen, damit alles und jedes noch deutlicher und treffender möge gesehen werden. Der unmanierliche Mensch wird alsdenn zum Bären, der grausame zum Tyger.

Endlich hat man bey Verwechslung der Ausdrüke bisweilen auch blos die Absicht die Vorstellung leichter und sinnlicher zu machen. So sagt man von einem Menschen, der vortheilhafte Verbesserungen seiner Glüksumstände zu hoffen hat, er habe schöne Aussichten.

Aus diesen verschiedenen Absichten, entstehen so unzählige Arten der Verwechslung in den Vorstellungen und Ausdrüken, daß es ein kindisches Unternehmen wäre, sie alle herzählen und bestimmen zu wollen. Noch ungereimter würde es seyn, die Erfindung und den Gebrauch der Tropen durch Regeln lehren zu wollen. Alles, was hievon überhaupt mit einigem Nuzen kann gesagt werden, besteht in allgemeinen Anmerkungen; welche einige Kraft haben können, den Geschmak in dem Gebrauch der Tropen zu lenken.

Jeder Tropus hat etwas ähnliches mit einem Zeichen. Denn aus der Vorstellung, die er unmittelbar erwekt, muß eine andre hervorgebracht werden, so, daß die erste einigermaaßen das Zeichen der andern ist. Aus dieser Vorstellung lassen sich verschiedene nüzliche Anmerkungen herleiten. Die Zeichen müssen verständlich, auch nicht gar zu weit hergesucht seyn; sie müssen von Dingen hergenommen seyn, die allgemein bekannt sind, nicht aus Gegenständen einer besondern Lebensart, am allerwenigsten aus solchen, womit allein die geringste Classe der Menschen sich beschäftiget, sondern aus solchen, die etwas schäzbares, etwas edles haben; aus den Würkungen der Natur, aus Nationalgeschäften, aus allgemeinen menschlichen Verrichtungen, aus Künsten und Wissenschaften, die etwas allgemeines und edles haben.

In Ansehung ihres Gebrauchs muß man auf die Ursache, die sie hervorbringt, sehen. Wie die Noth nirgend ein Gesez erkennt, so ist es auch hier. Wo sie aus Noth gebraucht werden, da sind sie unvermeidlich, und in diesen Fällen dienen allein die vorhergehenden Anmerkungen. Nur muß man diese Noth nicht zur Tugend machen wollen. Immer Zeichen, anstatt der Sache selbst gebrauchen, [1185] erwekt in die Länge Ekel, und macht Ermüdung. Man würde abgeschmakt werden, wenn man allezeit in Tropen reden wollte.

Braucht man die Tropen in der zweyten Absicht, so hat man sich vornehmlich vor der Weichlichkeit und der Ueppigkeit in ihrem Gebrauch, die im Grunde eine blos kindische Ziererey ist, in Acht zu nehmen. Alles gerade zu zusagen, ist freylich oft grob, oft anstößig und manchmal beleidigend: aber auch immer verblümt zu seyn, alles zu schmüken, oder zu beräuchern, ist vielleicht noch wiedriger. Wenigstens können männliche, freye Seelen eher die erstere, als diese Ausschweifung vertragen. Es giebt Leute, die so übertrieben zärtlich sind, daß sie bald gar nichts mehr mit ihrem Namen nennen dürfen, kleinmüthige, kindische, aller Nerven beraubte Seelen, die überall etwas finden, das ihnen Scheuh macht, Sybariten des Geschmaks. Solche Seelen verräth ein ausschweifender Gebrauch schonender Tropen.

Auch in der dritten Absicht muß man sich vor der Unmäßigkeit hüten, welche hier allzugroße Heftigkeit verräth, so wie die vorhergehende zu viel Weichlichkeit anzeiget. So wie ein Mensch, der nichts ohne Fechten mit Händen und Füßen sagen kann und die Erzählung der gleichgültigsten Dingen mit den seltsamsten Verdrähungen begleitet, abgeschmakt wird, so wird es auch der, welcher beständig in verstärkenden Tropen spricht, und zum Theil auch der, welcher ohne überhäufte Menge derselben, sie übertreibt. Man muß hier die besondere Absicht in welcher man spricht, oder schreibt, genau vor Augen haben, und die Lage, nebst dem Charakter der Personen, für welche man schreibt, damit man die allein untadelhafte Mittelstraße zu wählen im Stande sey.

Auch in der vierten Absicht kann der Gebrauch der Tropen gar sehr übertrieben werden. Dieses scheinet besonders seit einigen Jahren in Deutschland aufzukommen, wo zu befürchten ist, daß man, wie ehedem in Griechenland und Rom, auf den ausschweiffenden sophistischen und rhetorischen Geschmak des Schönschreibens verfalle, ohne zuvor, wie bey jenen Völkern geschehen, jemals die schöne Einfalt der Natur erreicht zu haben. Man kann von gewissen Gegenden Deutschlands bald keine deutsche Schrift von Geschmak lesen, wo nicht die Tropen, die am sparsamsten, als feine Würze sollten gebraucht werden, in der größten Verschwendung vorkommen. Insonderheit scheinet man sich in diejenige verliebt zu haben, die von den zeichnenden Künsten hergenommen werden. Man hört von nichts als von der Grazie, dem Contour, dem Colorit, dem schönen Ideal u. d. gl.

Man muß also nicht nur überhaupt im Gebrauch der Tropen sich zu mäßigen wissen, sondern auch in der Wahl derselben alles Affektirte, alle Ueppigkeit und asiatische Zärtlichkeit vermeiden. Die griechischen Grammatiker haben mit einer übertriebenen Genauigkeit die Gattungen der Tropen aus einander gesezt. Nur die vornehmsten Arten machen eine Liste von Namen, die dem guten Geschmak Gefahr drohen. Wir überlassen jedem Liebhaber, die hievon Unterricht haben wollen, die Mühe sie bey jenen Schriftstellern nachzusuchen. Was von besondern Tropen uns anmerkungswürdig geschienen, ist unter folgenden Artikeln zu finden: Allegorie, Metapher, Spott, Hyperbel, Umschreibung oder Periphrasis.

1Verbi vel sermonis à propria significatione in aliam cum virtute mutatio. Quintil. VIII. 6.
2Traité des Tropes par Mr. du Marsais.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1184-1186.
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