Hyperbel

[553] Hyperbel. (Redende Künste)

Eine rhetorische Figur die man die Vergrößerung nennen könnte, weil sie das, was man ausdrüken will, über die eigentliche Wahrheit vergrößert.

Der Gebrauch der Hyperbel ist jedem Affekt natürlich. Die Furcht vergrößert das Uebel, wie die Freude das Gute, und die Liebe macht eine mäßige Schönheit zu himmlischem Reiz. Die hyperbolische Sprache, oder die, da solche Vergrößerungen häufig vorkommen, dienet zur natürlichen Bezeichnung der Affekte und der lebhaften Charaktere. Also ist in Reden und Gedichten, die voll Affekt sind, die Hyperbel ganz natürlich, und thut, wenn sie in wichtigen Materien gebraucht wird, große Würkung auf das Gemüthe. Wer kann ohne Schauder folgende Hyperbel lesen?


Quis non latino sanguine pinguior

Campus sepulchris impia proelia

Testatur, auditumque Medis

Hesperiæ sonitum ruinæ?1


Es ist kaum eine dem Affekt unterworffene Art der Rede oder des Gedichts, darin die Hyperbel nicht statt habe. Sie reizt die Aufmerksamkeit, durch das Neue, Große und Ungewöhnliche; sie setzt in Affekt, weil sie aus dem Affekt entsteht. Sie kann aber auch zu Verstärkung des Lächerlichen dienen, weil sie lächerlich wird, wenn sie bey geringen Gegenständen gebraucht wird.

Aber die Menge der Hyperbeln, die man hinter einander gebraucht, kann die Rede ganz frostig machen. Sie sind eine Würze, die mit sparsamer Hand einzustreuen ist. Eigentlich thun sie ihre Würkung nur alsdenn, wenn die Wärme der Empfindung sie gleichsam erpreßt: sie müssen aus dem Herzen und nicht aus dem Verstande kommen; so bald man etwas gesuchtes dabey merkt, werden sie wiedrig. Diese schlimme Eigenschaft bekommen sie, wenn sie bey unwichtigen Gegenständen gebraucht werden. Es geht aber einigen Hyperbeln, so wie einigen Metaphern. Durch den allgemeinen Gebrauch verlieren sie ihr Eigenschaft und sinken in die Ordnung des gemeinen Ausdruks herab.

1Hor. Od. II. 1.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 553.
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