Bibelverbote

[246] Bibelverbote. Wenngleich es nicht zu leugnen ist, daß manche misverstandene Lehre der Bibel zu religiöser und politischer Schwärmerei, zum Sektenwesen und zur Unduldsamkeit verleitet hat, so ist doch der Schade, den solche Verirrungen angerichtet, im Ganzen mit dem großen Segen, den das göttliche Wort zu allen Zeiten und unter allen Ständen gestiftet hat, nicht in Vergleich zu stellen. Auch würden solche Auswüchse eines krankhaft religiösen Lebens nicht haben um sich greifen können, wenn die herrschende Kirche jenen Verirrungen gründliche Belehrungen entgegengestellt, besonders aber frühzeitig im Verein mit dem Staate für einen guten Volksunterricht Sorge getragen hätte. Allein man wollte schon früh nicht etwa blos den Lehrbegriff der Kirche, sondern auch eine äußere Gewalt der Kirche sicherstellen. In diesem Sinne erging, ganz gegen den Gebrauch der ersten Kirche und gegen den Rath der ältesten und angesehensten Kirchenväter, welche das Lesen und Forschen in der Schrift empfahlen, unter Anderm schon im J. 1199 von Papst Innocentius III. gegen die Waldenser, welche sich einige Bücher der Bibel ins Altfranzösische hatten übersetzen lassen, eine Verordnung, welche das Lesen der übersetzten Bibel verbot und die Verbrennung solcher Übersetzungen anbefahl. Nur den Geistlichen war es gestattet, die Bibel in der von der Kirche als allgemein gültig anerkannten lat. Übersetzung (Vulgata), nicht aber im Original zu lesen, und noch 1713 wurde vom Papste Clemens XIII. die Bulle Unigenitus erlassen, welche das allgemeine Bibellesen unbedingt verdammt. Da in der neuesten Zeit katholische Theologen Übersetzungen der Bibel in den Landessprachen zu verbreiten anfingen, ergingen abermals päpstliche Breven dagegen, z.B. 1816 an zwei poln. Bischöfe, welche namentlich die Bibelgesellschaften und die Verbreitung der poln. Bibelübersetzung verbieten. Auch in Östreich und Ungarn dürfen sich keine Bibelgesellschaften bilden und in Frankreich wurde bis zur Juliusrevolution im J. 1830 ihre Wirksamkeit wenigstens sehr gehemmt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 246.
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