[574] Dispensation wird die von der höchsten Stelle in Staat oder Kirche ausgehende Erlaubniß genannt, in einem bestimmten Falle an gewisse für denselben bestehende gesetzliche Vorschriften nicht gebunden zu sein, also dieselben unerfüllt zu lassen, ohne deshalb straffällig zu werden. Dergleichen Dispensationen können zwar so vielfältiger Art sein, als die Gesetze selbst, haben indessen ihre natürlichen Grenzen, indem dadurch niemals die wohlerworbenen Rechte Anderer gekränkt werden dürfen und sie mit rechtlicher Wirkung nie in Bezug auf Gesetze eintreten können, die von Natur oder nach den Vorschriften der Religion unbedingt unerlaubte Handlungen verbieten. Das Verbot der Ehe zwischen Ältern und Kindern und zwischen Geschwistern (s. Blutschande) ist z.B. einer Dispensation gleich unfähig wie die Gesetze, welche Betrug, Diebstahl, Raub, Mord und Anderes verbieten, was schon nach dem Vernunftrechte zu den Verbrechen gehört. Die Dispensation ist reine Gnadensache und ihre Verweigerung kann daher rechtlich nicht angefochten werden; in weltlichen Dingen gehört die Ertheilung derselben zu den Rechten des Regenten, in geistlichen Angelegenheiten aber wird sie in der röm.-katholischen Kirche zu den Befugnissen der geistlichen Obrigkeit gezählt, und in Ehesachen und weniger wichtigen Fällen von den Bischöfen ausgeübt, welche dazu vom Papste ermächtigt sind, der sich aber die Ertheilung von Dispensationen in wichtigern Dingen, z.B. von abgelegten Gelübden, allein vorbehalten hat. Die dafür zu erlegenden Gebühren oder Dispensationsgelder machten in früherer Zeit einen wichtigen Theil der Einkünfte des päpstlichen Stuhls aus, da auch die Bischöfe ihre Lösegewalt alle fünf Jahre erneuern mußten. In der evangelischen Kirche wird das Dispensationsrecht vom Landesherrn, oder wenn dieser katholisch ist, von den höchsten evangelischen geistlichen Behörden, jedoch ebenfalls nicht kostenfrei, ausgeübt. – Dispensiren wird aber auch in seiner ersten lat. Bedeutung, vertheilen, von dem Bereiten und Ausgeben der von Ärzten für Kranke verordneten Arzneien gebraucht, wozu fast überall nur die Apotheker befugt sind, damit die darüber nöthige gesundheitspoliceiliche Aufsicht ausgeübt werden kann. Nur wo die Entfernung zur Apotheke zu groß ist, wie mitunter an abgelegenen Orten auf dem Lande, pflegt den Ärzten das Selbstdispensiren oder die Selbstbereitung und Verabreichung der Heilmittel gestattet zu sein, was homöopathische Ärzte meist unbedingt in Anspruch nehmen. – Dispensatorium heißt das von einer obern Gesundheitsbehörde geprüfte Buch, in welchem die von den Apothekern vorräthig zu haltenden einfachen und zusammengesetzten Heilmittel und die vorschriftmäßige Güte und Bereitung derselben verzeichnet sind.