Getreide

[211] Getreide heißen in der allgemeinsten Wortbedeutung alle in der Landwirthschaft angebauten Pflanzen, die Körner in Ähren, Rispen oder Hülsen tragen, und die zur Nahrung für die Menschen sowol, als für die Hausthiere benutzt werden, also: Roggen (Korn), Weizen, Gerste, Hafer, Dinkel, Haidekorn, Erbsen, Wicken, Bohnen und Linsen. Im engern Sinne rechnet man jedoch die Hülsenfrüchte nicht zum Getreide. Von den wenigsten Getreidearten kennt man die ursprüngliche Heimat, indem sie durch die Cultur auf ähnliche Weise umgebildet worden sind, wie dies mit den Hausthieren [211] der Fall ist. Da die von ihnen gelieferten Früchte, welche gleichfalls Getreide genannt werden, das Hauptnahrungsmittel der Menschen und Hausthiere ausmachen, so bilden diese Pflanzen den Hauptgegenstand des Landbaues und auf dem zur Ernährung hinreichenden Anbau derselben beruht vorzüglich die Wohlfahrt der gebildeten Völker. Man theilt das Getreide in Wintergetreide, welches im Herbst, und in Sommergetreide, welches im Frühjahr ausgesäet wird. Korn und Weizen pflegt als hartes oder glattes, Gerste und Hafer als weiches oder rauhes Getreide bezeichnet zu werden. Alle Getreidefrüchte bestehen in Körnern, doch nennt man Korn vorzüglich das am meisten als Nahrungsmittel gebrauchte Getreide, z.B. in Deutschland den Roggen, in Frankreich und England den Weizen. Die Güte des Getreides erkennt man an der Reinheit desselben von Mutterkorn und Brandkörnern, an der Dünnheit der Schale und dem Mehlreichthum des Inhalts. Es muß reif und trocken sein und beim Zerbeißen nicht sich breit drücken, sondern zerspringen. Alle Getreidekörner bestehen aus Gluten oder Kleber, dem kräftigsten Nahrungsmittel, dem etwas minder nahrhaften Stärkemehl und aus einer schleimigen, süßen Substanz, welche das Getreide besonders zur Gährung geschickt macht. Die Hülsen bestehen aus Faserstoff und werden von dem Getreide bei Bereitung des Mehles als Kleie abgeschieden. Diese Bestandtheile sind in den verschiedenen Getreidearten in verschiedenen Verhältnissen enthalten. Durch die Düngung wird dieses Verhältniß auch bei derselben Getreidesorte verändert. Von großem Einfluß auf das Gedeihen des Getreides ist die Witterung; bei nasser und kalter Witterung bleiben die Körner klein, geben weniges und überdies wässeriges Mehl, aber viel Kleie; bei allzu heißer Witterung wird die Hülfe zu stark ausgetrocknet und läßt sich nachher beim Mahlen nicht wohl vom Mehle scheiden, welchem sie einen unangenehmen Beigeschmack ertheilt. Bei Aufbewahrung der Körner muß man darauf sehen, daß diese möglichst trocken liegen, weil sie sonst leicht verderben. Je länger das Getreide liegt, desto trockener wird es und desto mehr Mehl gewinnt man von einem bestimmten Maße.

Da das Wohl der Völker so sehr davon abhängt, daß Getreide in hinreichender Menge vorhanden ist, so hat man vielfach daran gedacht, dem Handel mit Getreide eine für das allgemeine Beste nützliche Richtung zu geben. In den meisten Ländern haben die Regierungen die Einfuhr des Getreides begünstigt, der Ausfuhr aber gewisse Hindernisse in den Weg gelegt, ja in Zeiten, wo man Theurung befürchtete, dieselbe sogar gänzlich untersagt. Doch haben auch einzelne Staaten, wie England seit 1815, wo im Parlament die bekannte Kornbill durchging, und in neuester Zeit auch Holland nicht die Ausfuhr, sondern vielmehr die Einfuhr von Getreide zu beschränken gesucht, damit durch dieselbe der inländische Getreidebau nicht gedrückt werden und daß sie nur dann eintreten kann, wenn die im Lande erzeugten Vorräthe nicht ausreichen und in Folge dessen eine Theurung zu befürchten steht. Die Mittel zu Erreichung dieses Zwecks sind verschiedene Male geändert worden. Im Allgemeinen hat man sich aber überzeugt, daß für die Wohlfahrt der Völker am besten gesorgt ist, wenn der Getreidehandel sich selbst überlassen bleibt. Verbote der Ausfuhr vermehren keineswegs die in einem Lande aufgehäufte Getreidemasse. Weil nämlich die Mehrzahl der Landbebauer unter allen Bedingungen das Getreide zu verkaufen genöthigt ist, so werden durch das Ausfuhrverbot nur die Getreidepreise herabgedrückt, es wird verschwenderisch mit dem wohlfeilen Getreide umgegangen und für die Folge dem Landmann die Luft genommen, großen Fleiß auf den wenig lohnenden Erwerb zu wenden. Um Theurungen vorzubeugen, sind in vielen Staaten Kornmagazine angelegt worden, welche neben manchen Nachtheilen doch auch sehr nützlich werden können. In diesen wird nämlich in wohlfeilen Zeiten Getreide aufgekauft, welches man bis zu einer Theurung zurückbehält, dann aber, ohne Gewinn zu suchen, verkauft. Sehr nützlich haben sich in Zeiten der Noth die Kornvereine gemacht, wie deren namentlich zwei zu Elberfeld und zu Frankfurt a. M. 1816 und 1817 sich bildeten. Der elberfelder Kornverein kaufte Korn im Auslande auf und verkaufte das Brot im Inlande zu ermäßigten Preisen, dabei wurden noch 10,000 Thlr. gewonnen, welche man zu Errichtung eines Krankenhauses verwendete. Der frankfurter Verein wurde ohne kaufmännische Speculation nur als Sache der Menschenliebe betrieben, indem das zu hohen Preisen in der Umgegend aufgekaufte Korn zu Brod verbacken und billig an die Armen abgelassen wurde. Gewöhnlich bewahrt man das Getreide auf trockenen Böden, wo es in Haufen aufgeschüttet und durch häufiges Umwenden vor dem Verderben geschützt wird. Da diese Art der Aufbewahrung kostspielig ist, so hat man in neuerer Zeit statt der Böden die Kornkeller oder Silos empfohlen und auch öfter, aber nicht immer mit Glück, Anwendung von denselben gemacht. Man legt eine etwa 14 F. tiefe Grube an, füttert dieselbe mit Stroh aus und füllt sie mit Getreide; obenauf wird sodann wieder eine Stroh-und eine Erdschicht gebracht. In solchen Kellern hält sich das Getreide, wenn es recht wohl ausgetrocknet eingefüllt wurde, mehre Jahre lang, ohne zu verderben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 211-212.
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