[476] Erinna, eine bekannte griechische Dichterin und Zeitgenossin der Sappho. Sie war von der Insel Lesbos gebürtig, und wäre, hätte nicht ein früher Tod sie schon in ihrem 19. Jahre hinweggerafft, wahrscheinlich eine größere Dichterin geworden als Sappho selbst denn die wenigen Ueberbleibsel, welche wir von ihren Werken besitzen, haben einen kühnen, erhabenen Schwung des Geistes, der in so jugendlichem Gemüth wohl nur unter dem glücklichen Himmel, wie er sich in ewig ungetrübter Klarheit, über den heitern Archipel lagert, erwachen kann. Dionysios, Tyrann von Syrakus, affectirte Liebe zu den Künsten und Wissenschaften, um das Volk, dessen Beherrschung er sich angemaßt, seine Gewaltthätigkeiten vergessen zu machen. Er rief die ausgezeichnetsten Philosophen und Dichter an seinen Hof. Darunter war auch Plato aus Athen, und Erinna. Der treffliche poetische Philosoph, jung damals noch, und voll Phantasie, der unnachahmliche Schilderer reiner Liebe, gewann, ohne es zu ahnen, das feurige, für seine Werke, und bald auch für ihn glühende griechische Mädchen. Seine tiefsinnigen Speculationen, welche sich damals gerade immer weiter ausbildeten und seinen Geist unablässig beschäftigten, verhinderten ihn, Erinna's seiner Achtung so würdige Neigung zu bemerken; unerwiedert blieb die Gluth, welche die Arme verzehrte, deren Phantasie allein in ihrem Unglück Nahrung fand. Ihr liebliches Dichtertalent, welches die Alten bewunderten, entfaltete sich immer[476] mehr, es blühete auf das Schönste empor, in ihren zarten, blumigen Epigrammen, deren drei sich in der griechischen Anthologie befinden, und in einem größeren Gedicht, Elakate. Allein schon hatte sich tiefe Schwermuth des sonst so heitern Geistes bemächtigt und noch tiefer sollte derselbe gedruckt werden, als Dionys, welcher nicht fähig war, die Stimme der Wahrheit zu hören, einen der edlen Männer nach dem andern, aus seiner Nähe, von seinem Hofe verbannte, und auch Plato dieses Loos traf. Für Erinna, deren Leben, seit sie ihn kannte, nur an ihm hing, für sie war nun jede Freude aus dem Leben verschwunden; dem Geliebten, von dem sie nicht wußte, ob sein Herz ihre Gefühle theilte, nach Athen zu folgen, vermochte sie nicht, und hier, wo jeder Schritt ihr sein Andenken hundert Mal zurückrief, hier in Syrakus verweilen, wo alle ihre Freuden, alle ihre Schmerzen begonnen, wollte sie nicht. Darum beschloß sie, zu der oft bewunderten, zu der geliebten, ihr befreundeten Sappho zu gehen, und forderte, daß Dionys sie entlasse. Jetzt erst ward der Herrscher aufmerksam auf das liebreizende Mädchen. Ihre zarten Gedichte, rein wie der Hauch der Liebe, ihre Schönheit durch den sanften Anstrich von Schwermuth noch erhöhet, bewogen ihn, Erinna näher zu treten, als bisher geschehen. In schmeichelhaften Ausdrücken verweigerte ihr der Tyrann die erbetene Erlaubniß, und suchte dadurch, daß er sie in seine nächsten Kreise bannte, ihr näher zu kommen. Ein Dionys aber konnte dadurch nicht gewinnen, und sein Zweck ward verfehlt. Unverhohlen zeigte er nun den Wunsch, die Sängerin sein zu nennen, unverhohlen zeigte ihm Erinna ihren Abscheu. Was zuvorkommende Freundlichkeit nicht erreichen konnte, das sollte seine Macht ihm erringen, doch die liebliche, die zarte Blume verging in den rauhen Stürmen, welche sie umweheten. Gram und Kummer verzehrten sie, noch nicht neunzehn Jahr, und bald senkte man den reizerfüllten Körper in ein Felsengrab. Erschüttert war selbst der harte, kalte Dionys, denn er empfand, daß er diese Lilie geknickt;[477] tief aber drang der Schmerz um den Verlust der holden Sängerin in jedes fühlende Herz, und ihr Andenken lebt in ihren Liedern. Die Zeit hat die leichten Blätter verweht, wir besitzen nur einige kleine Bruchstücke, doch diese lassen den Verlust uns doppelt bedauern. Eine Ode auf Rom scheint untergeschoben, weil damals die Größe dieses Staates noch nicht so bewundernswürdig war, als das Gedicht dieselbe schildert, allein sie zeigt in der Nachahmung des Stils der Sängerin, wie erhaben dieser gewesen sein muß.
V.