[277] Hetären. Aeußerste Strenge war das Grundprincip der Erziehung, die den Töchtern des alten Griechenlands zu Theil[277] ward; sie sollten nichts lernen, nichts wissen, als Hausfrauen, Gattinnen, Mütter zu sein. Auf diese Tugend der griechischen Frauen gründete sich Jahrhunderte hindurch der Ruhm und das Glück des Vaterlandes; sie war es, an der sich alle jene Heldenthaten, alle jene lichten Geister, deren Namen in unverwelklicher Blüthe jedes Blatt der Geschichte, der Wissenschaft, der Kunst enthält, entzündeten; diese Tugend aber fand die mächtigste, erhabenste Stütze in der Heiligkeit der Ehe. Daß dieselbe und mit ihr der Friede und der Segen der Familien und des häuslichen Lebens erhalten blieb und namentlich nicht unter dem Einflusse einer Götterlehre unterging, die allen moralischen Aufschwungs entbehrte, dazu trugen die Hetären, jene geistvollen Pflegerinnen der Liebe und Geselligkeit, bei. Sie weihten sich, wie in Indien die Bajaderen, dem Dienste der Tempel, der Künste und der Freuden. So bildeten durch Reiz und Gefälligkeit, durch anmuthig freie Bewegung in den heitern Künsten eine Aspasia (s. d.), Lais, Glykera, Phryne u. A. die höchste Feinheit des Umgangs aus, waren die Trägerinnen von Griechenlands Bildung und blieben zu Zeiten selbst auf die Politik nicht ohne wichtige Einwirkung. Daß mit der allgemeinen Sittenverderbniß der Zeit auch das Institut der Hetären, welches Solon's Weisheit eingeführt und die Einsicht der berühmtesten Philosophen und Staatsmänner als nothwendig und heilsam geachtet und erhalten hatte, entartete und endlich einer zügellosen Entäußerung der edeln Weiblichkeit unterlag, wird weniger befremden, als der Umstand, daß in Korinth, nächst Athen dem Hauptsammelplatze der Hetären, der Dienst derselben geheiligt war.
R.