Siegel

[922] Siegel, aus lat. sigillum, mhd. sigel, siegel, sigille, insigele, war im Mittelalter, als die Unterschrift noch fehlte, das gewöhnlichste Beglaubigungsmittel einer Urkunde; als die Unterschrift allgemeiner wurde, trat das Siegel zurück; allgemein wird sein Gebrauch etwa seit 909. Was das Material angeht, so ist dasselbe entweder Metall; dann heisst das Siegel, wie die Urkunde selbst bulla; das Metall ist Gold oder Blei, und zwar ist das goldene Siegel in der älteren Zeit nur bei den griechischen Kaisern, im Abendlande seit Otto III. in Gebrauch;[922] es wird als ein Vorrecht der deutschen Kaiser für Fürstenbriefe, Erteilung von Herzogtümern und dergl., später für Erhebungen in den Grafenstand angesehen; zuletzt konnte jeder, der aus der kaiserlichen Kanzlei eine Ausfertigung bekam, für die Taxe ein goldenes Siegel bekommen. Meistens sind sie hohl und bestehen nur aus Goldblech, das mit Wachs ausgefüllt ist. Bleierne Bullen sind das Hauptsiegel der Geistlichkeit, der Päpste seit dem 8. Jahrhundert, der geistlichen Fürsten bis zum Bischof und dem reichsfreien Äbte bis etwa 1300; auch die Konzilien von Konstanz und Basel siegelten damit: Kaiser nur selten. Das häufigste Material ist Wachs, dem man anfangs alle möglichen Farben gab, bis seit dem 12. Jahrhundert die natürliche Farbe für gewöhnliche Zwecke die Oberhand erhielt. Rote Siegel kamen zuerst bei Kaisern und Bischöfen vor, dann siegelten seit dem 13. Jahrhundert reichsfreie Fürsten damit, und es galt als ein kaiserliches Recht, das Privileg des roten Siegels zu erteilen. Grüne Siegel sind seit dem 13. Jahrhundert gebräuchlich und seit dem 15. allgemein; damit siegelte besonders, wer nicht rot siegeln durfte, niedere Stifte, niederer Adel, viele Städte: schwarze Siegel kommen bei den geistlichen Ritterorden vor. Den Gebrauch von Harz oder Siegellack kennt man seit dem Ende des 16. Jahrhunderts; aus derselben Zeit den der Oblaten. Was die Befestigung der Siegel betrifft, so wurden sie anfangs auf die Urkunden aufgedrückt, später hing man sie an die Urkunden, und zwar mit Schnüren oder Pergamentstreifen; die Schnüre sind bei den päpstlichen Urkunden von ungefärbtem Hanf; seidene von gelb und roter Farbe sind feierlicher Art. Kaiserliche Urkunden haben bis zum 15. Jahrhundert willkürliche Farben, seit Friedrich III. schwarzgelbe oder gelbe Schnüre.

Die älteste Form der Siegel ist die runde; später wird sie länglich oder eiförmig; dreieckig waren die Siegel der niedern Adeligen, das Bild des Schildes. Jedes Siegel enthält ein Bild, signum, das anfangs willkürlich angenommen war, erst seit dem 12. Jahrhundert von ganzen Familien festgehalten wurde; immer war die Bedeutung des Bildes durch eine Umschrift erklärt. Im besonderen kann man unterscheiden: Kaisersiegel. Die Karolinger haben einen Kopf oder höchstens ein Brustbild mit Umschrift; seit Arnulf kam der Reichsapfel dazu; die Ottonen haben ein halbes Leibstück mit Diadem, Schild und Lanze; seit Otto III. liessen sich die Kaiser als ganze Figur abbilden, auf dem Throne sitzend, mit Reichsapfel und Zepter; dieses Siegel blieb als Majestätssiegel seitdem die Regel. Als Kanzleisiegel diente der Reichsadler. Fürsten und Grafen liessen sich zu Pferde mit Schild und Fahne abbilden, wobei das Schild oft ein signum trug, oder sie führten das Schwert; das sind die sog. Reitersiegel; Fusssiegel sind selten, dann aber stets geharnischt mit dem Schild als signum. Der niedere Adel trägt erst nach dem 14. Jahrhundert einen Helm in den Siegeln. Die Städtesiegel zeigen das Bild des Schutzheiligen, ein Stadtthor, Rathaus, Stadtkirche und dergl. Über die päpstlichen Bullen siehe den Artikel Bulle. Bischöfe und Äbte liessen sich bis zum 11. Jahrhundert in rundem Siegel mit halbem Leibstück, den Hirtenstab und ein Buch in der Hand, mit einer den Namen tragenden Überschrift, dann sitzend auf einem Throne abbilden. Das Kirchen- oder Konventssiegel trägt den Schutzheiligen. An weltlichen Urkunden hängen soviel Siegel, als Personen bei den Rechtsgeschäften beteiligt sind, daher man Urkunden von 300 und mehr Siegeln hat; Zeugen hängen erst seit dem 15.[923] Jahrhundert die Siegel mit an. Vgl. List, Katechismus der Urkundenlehre. Leipzig, 1882. §§. 91–108.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 922-924.
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