Siegel [1]

[60] Siegel (Signum, Sigillum), 1) der Abdruck eines Petschafts od. einer sonstigen vertieften Fläche in einen weicheren Stoff. Meist haben verschiedene Personen verschiedene S., u. auch jeder Staat, ja jede einzelne Behörde hat ihr besonderes S. Man gebraucht mehre Stoffe zu S-n; am frühesten wohl das Wachs u. die Siegelerde; auch des Bleies u. überhaupt des Metalls, wie des Zinns u. selbst kostbarer Metalle, wie des Silbers u. Goldes,[60] bediente man sich in der spätern Kaiserzeit, bes. die byzantinischen Kaiser. Dort wurden sie auf beiden Seiten ausgeprägt an die Bullen gehängt, u. diese hießen davon goldne u. silberne Bullen (s. Goldne Bulle). Über die Farbe des Wachses herrschten im Mittelalter besondere Bestimmungen; als im 9. u. 10. Jahrh. der Gebrauch des bunten Wachses aufkam, siegelten nur Kaiser u. Könige roth, u. die deutschen Kaiser verliehen spätern größern Fürsten, wie den Herzögen, noch später kleinern Fürsten u. Grafen u. Reichsstädten das Recht sich des rothen Wachses zu bedienen. Früher siegelten diese weiß, andere Personen gelb. Im 14. Jahrh. begann der Gebrauch des grünen Wachses, dessen sich bes. Klöster u. Städte bedienten. Der Hochmeister des Deutschen Ordens (wo er nicht sich des Bleies bediente), des Malteserordens u. der Tempelherrn, ebenso der Patriarch von Jerusalem siegelten mit schwarzem Wachse. Später kamen der Mehlkleister u. die Oblaten (s.d.) als Ersparniß des Wachses auf, doch wurden sie Anfangs mehr zu Briefen gebraucht; jetzt sind sie aber auch zur Untersiegelung von Pässen u. andern Urkunden minderen Belanges mittelst der Siegelpressen (s.d.), indem man ein mit Zierrathen ausgeschnittenes Blättchen Papier auf das S. legt, gewöhnlich. Briefe an Respectspersonen mit Oblaten zu siegeln ist nicht schicklich. In der Mitte des 18. Jahrh. wurde das Siegellack aber erst im folgenden Jahrh. allgemein; s. Siegellack. In der Trauer wird schwarz gesiegelt, auch bei Condolenzschreiben; eben so pflegen Wittwen lebenslang schwarz zu siegeln. Auch mit schwarzer Farbe druckt man Stempel unter Urkunden geringern Werths od. über die mit Kleister od. Oblate verschlossene Briefe. Schon die Alten hatten ähnliche Stempel u. bedienten sich zur Farbe hierzu des Rußes. In neuerer Zeit bedient man sich auch häusig anstatt der S. kleiner im voraus gestempelter, auf der Rückseite gummirter Blättchen (Papieroblaten, Pastenoblaten, s.u. Oblaten). Briefe, wie Empfehlungsschreiben, welche man dem Überbringer lesen lassen will, siegelt man mit fliegenden S-n (Cachés volants), d.i. mit S-n, deren Abdruck zwar an der obern Seite, nicht aber an dem untern Blatte befestigt ist. Der Gegenstand, welchen die auf dem S. eingegrabenen Bilder, u. also auch der Siegelabdruck, darstellen, ist sehr verschieden. Die Alten siegelten mit dem eigenen Kopfbilde od. dem anderer berühmten Personen, welches jedoch nicht concav, wie jetzt, sondern convex eingeschnitten war. Auch Embleme, wie eine Sphinx, wurden hierzu gebraucht. Im Mittelalter brauchte man Wappen, insofern Behörden, Corporationen od. einzelne Personen zu denselben berechtigt waren; auch jetzt brauchen noch wappenberechtigte Personen Wappen u. solche, welche heraldische Wappen zu führen nicht berechtigt sind, Phantasiewappen, beliebige Embleme u. Figuren, einzelne Wörter od. Anfangsbuchstaben ihrer Namen in dem S. Im Orient braucht man Sprüche aus dem Koran im S. In ältern S-n unterscheidet man Figuren zu Fuß Sigilla pedestria). u. zu Pferd (Sigilla equestria). In Deutschland gebrauchte zuerst Kaiser Heinrich III. ein S., wo er auf dem Throne sitzend abgebildet wurde (Majestätssiegel), in Frankreich wurde dies bald nachgeahmt, dagegen führte der Dauphin stets ein S. zu Pferd. Nach den verschiedenen Bestimmungen unterscheidet man auch Reichs-, Landes-, Kanzlei-, Städte- od. Raths-, Amts-, Gerichts-, Notariatssiegel etc., auch große Reichssiegel u. kleine. Erstece haben meist den Monarchen auf dem Throne zum Gegenstand (s. oben), letztere das Landeswappen. Die S. von Behörden nennt man auch Insiegel. Die Größe der S. ist sehr verschieden; zur. Zeit der Kaiser Konrad I. u. Heinrich I. hatten sie Guldengröße, bei den Ottonen 3 Zoll, bei Friedrich III. 7 Zoll im Durchmesser. Je kürzer die Umschrift ist, desto älter ist in der Regel das S. Um das S. vor Verfälschung zu bewahren, brachte man auch oft ein kleineres Gegensiegel (Contrasigillum, engl. Privy seal) auf der Rückseite derselben an, wie in Frankreich zuerst unter Ludwig VII. u. in Deutschland unter Heinrich III. Später entstanden daraus die kleinern Staatssiegel. Der Zweck der S. war von jeher ein doppelter, einmal soll dadurch ein Papier, eine Urkunde, ein Schein größere Glaubwürdigkeit erhalten u. vor Verfälschung gesicherter werden, als es durch bloße Unterschriften ist; dann soll das S. ein Schreiben versiegeln u. vor dem Lesen Unbefugter sichern. Zu ersterem Zwecke wurde sonst ein Pergamentstreif durch die Urkunde gezogen od. die Blätter derselben miteinander verbunden u. unten die beiden Enden der Schnur durch ein S. vereint, welches zu größerer Festigkeit in eine Kapsel von Horn, Holz od. Blech (Siegelkapsel) gedrückt war. Diese Siegelkapsel hieß auch Bulle u. davon führten ganze Urkunden oft den Namen Bullen (s.d.). Später setzte man die S. unmittelbar neben die Unterschriften aus die Urkunden selbst, wie es jetzt noch gewöhnlich ist. Nur bei Urkunden von hoher Wichtigkeit werden zuweilen noch die S. in Bullen angehängt. Im 14. u. 15. Jahrh. waren den Urkunden zu größerer Beglaubigung sehr viele S., meist in Bullen, angehängt, so einem Wahlprotokoll für Wladislaw I. von Ungarn 1440 88, einer Beschwerdeschrift der böhmischen Städte an die Kostnitzer Kirchenversammlung von 1415 350. Jetzt ist die andere Art, ein S. in Siegellack unter die zu beglaubigende Schrift zu drücken, zur Beglaubigung hinreichend u. nur bei bes. feierlichen Verträgen, Friedensschlüssen, Alliancen etc., auch bei Lehnbriefen findet die frühere Art noch Statt. Welche Urkunden der Untersiegelung bedürfen, richtet sich nach dem Gerichtsgebrauch. Gewöhnlich ist, daß die Untersiegelung bei allen Urtheilen, bei Vollmachtsertheilungen, so wie bei amtlichen Beglaubigungen erfolgt; Privaturkunden bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Untersiegelung nicht. Überhaupt dient das S. nur als Denkmal für die kräftigere Bestärkung des in der Urkunde Enthaltenen, u. eine Verletzung desselben zieht daher keineswegs die Ungültigkeit der Urkunde nach sich, insofern dieselbe im Übrigen die Zeichen der Unverfälschtheit an sich trägt. Die Verfälschung od. Nachmachung von S-n unterfällt nach Befinden den Strafen der Fälschung od. des Betrugs (s.d.). Die Briefe der Alten wurden in Rollenform versendet. Man zog eine Schnur durch das Pergament od. den Papyrus, schlang diese einigemal herum u. fügte die Enden der Schnur entweder durch Wachs od. Siegelerde in Bullenform zusammen od. siegelte die Schnur an die Rollen an. Erst als nach dem 14. Jahrh. das Papier gewöhnlicher wurde, brach man den Brief u. siegelte wie jetzt. Allgemein ist der Grundsatz angenommen, daß das Geheimniß des S-s (Briefgeheimniß) unverletzlich ist, s.u. Brief II. B) b). Auch Behältnisse verschließt[61] u. verschloß man von jeher, wenn man sicher sein will, daß Niemand in dieselben dringe, wie bei Erbschaften, wo ein Erbe nicht vorhanden ist, bei Concursen, wo man verhüten will, daß etwas verschleppt werde etc. mit S-n, s. Versiegelung. Schon Darios versiegelte den Löwengarten u. Kyros den Tempel zu Babel. 2) Das Werkzeug, worein die Figur eingegraben ist, welche das S. darstellen soll, jedoch eigentlich nur solche, deren sich Fürsten, ganze Gesellschaften, Collegien, Gerichte u. dgl. bedienen; dagegen heißen die S. zum Gebrauch der Privatpersonen Petschafte (s.d.). Seit der frühesten Zeit wird im Orient ein Siegelpetschaft nebst einem Stab als eine wesentliche Zierde von Männern getragen, u. zwar wie jetzt noch in Persien, entweder an einer Schnur, od. im Ring (s.d.). Noch jetzt ist die Übergabe des Petschafts zum Staatssiegel ein Zeichen der Ernennung. zu den höchsten Würden (s. Siegelbewahrer), auch zu der eines Großveziers. Dem sonstigen Kurerzkanzler (Kurfürst von Mainz) wurde das Reichssiegel bei der Kaiserkrönung in einem silbernen Stabe vorausgetragen, dem französischen Großsiegelbewahrer sonst bei großen Feierlichkeiten in einem kostbaren Kästchen, dem englischen Lord Siegelbewahrer jetzt noch durch einen eigenen Diener in einem Beutel in den geheimen Rath vorgetragen, der Großvezier hat es um den Hals hängen. In China ist dies Petschaft mit ein Zeichen jeder Würde u. der Beamte, welcher es verliert, erleidet empfindliche Strafe. Die Ritter hatten ihr S. an dem Schwertknopf. 3) Die bleiernen Zeichen, welche an das fertige u. beschauete Tuch geschlagen werden; 4) die Plombe von an Zollstätten plombirten Waaren (s. Plombiren 2); 5) (S. am Altar, Sigilium altaris), ist das bischöfliche S., welches auf die Stelle des Altarsteines, wo nach kirchlicher Vorschrift Gebeine eines Heiligen eingeschlossen sind, auf das Sepulchrum (Grab) vom Bischofe gedrückt wird. Auch heißt S. der Verschluß selbst; 6) Hermetisches S., s.u. Hermetisch 3).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 60-62.
Lizenz:
Faksimiles:
60 | 61 | 62
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon