Elektrodynamik

[414] Elektrodynamik. Mit diesem Namen bezeichnet man denjenigen Teil der Elektrizitätslehre, der sich auf die Bewegungserscheinungen erstreckt, die durch gegenseitige Einwirkung galvanischer Ströme hervorgebracht werden. Die Erscheinungen und Gesetze dieses Gebietes wurden (seit 1820) insbesondere durch die Arbeiten Oerstedts, Ampères und Webers klargelegt [4]. Ueber die Wechselwirkung zwischen Magneten und Stromleitern s. Elektromagnetismus und Induktion.

Um die Wirkungen zweier elektrischer Ströme aufeinander zu betrachten, bedient man sich des von Ampère (1820) angegebenen und nach ihm benannten Gestelles [3] (Fig. 1). a b c d ist ein Rechteck aus Draht, dessen Enden in die Quecksilbernäpfe x und y tauchen, die durch die metallischen Säulen s1 und s2 getragen werden. Verbindet man eine Stromquelle mit den beiden Klemmen k, und zwar den positiven Pol mit + k, so fließt in dem Rechteck a b c d, das sich um die vertikale, durch xy gehende Achse drehen kann, ein Strom, der die in der Figur durch Pfeile angedeutete Richtung besitzt. Stellt man nun parallel zu cb einen von einem andern Strom durchflossenen Draht ef auf, so wird der bewegliche Draht cb von dem Drahte ef entweder angezogen oder abgestoßen, je nach der Richtung des in ef fließenden Stromes. Besitzt nämlich der in ef fließende Strom die gleiche Richtung wie der in cb fließende, so wird cb angezogen, abgestoßen hingegen, wenn der Strom in ef entgegengesetzt ist.

Man erhält demnach den Satz: zwei parallele gleich gerichtete Ströme ziehen einander an, zwei parallele, entgegengesetzt gerichtete Ströme flößen sich ab.

Der in Fig. 2 dargestellte Apparat (Rogetsche Spirale) zeigt die Anziehung gleichgerichteter Ströme sehr deutlich. An einem Arm hängt eine Drahtspirale, die mit ihrem unteren Ende in ein Gefäß mit Quecksilber eintaucht. Leitet man durch den Arm einen Strom in die Spirale, der durch das Quecksilbernäpfchen wieder austritt, so fließt der Strom durch alle Windungen der Spirale in gleicher Richtung. Die einzelnen Windungen ziehen sich infolgedessen an, wodurch die Spirale etwas kürzer wird. Hierdurch wird das untere Ende derselben aus dem Quecksilber herausgezogen und der Strom unterbrochen. Nun dehnt sich die Spirale wieder aus, ihr Ende taucht wieder in das Quecksilber ein, und so fängt das Spiel von neuem an; es kommt also die vom Strome durchflossene Spirale in Schwingungen; sie schwingt auf- und abwärts.

Zwei nicht parallele, sondern gekreuzte Ströme ziehen sich an, wenn in beiden der Strom, nach der Kreuzungsstelle hin- oder in beiden von ihr fortfließt. Sie flößen sich dagegen ab[414] wenn in dem einen Draht der Strom nach der Kreuzungsstelle hin-, in dem andern von derselben fortfließt.

Bei den beiden Strömen in Fig. 3 ziehen sich a o und c o, o d und o b an, während sich die Stücke ao und od, co und ob abstoßen. Da sowohl Anziehung als auch Abstoßung ein Drehungsmoment im gleichen Sinne ausüben, das die Ströme parallel und gleich zu richten sucht, so kann man das obige Gesetz auch folgendermaßen ausdrücken: Gekreuzte Ströme suchen sich immer so zu Hellen, daß sie parallel werden und der Strom in ihnen nach derselben Richtung fließt. Die bisher genannten Gesetze bezeichnet man mit dem Namen: Ampèresche Grundgesetze. Eine interessante Folgerung aus dem Gesetz der gekreuzten Ströme ist folgende: In Fig. 4 ist a b ein vom Strom durchflossener Draht, cd ist ein zweiter Draht, der ebenfalls von einem Strom durchflossen wird, und zwar möge in beiden der Strom in der Richtung der Pfeile fließen; dann ziehen sich ob und de an, während sich ao und dc abstoßen. Kann sich daher de parallel zu sich selbst fortbewegen, so wird es dies in der Richtung von o b tun. Anstatt des langen geradlinigen Drahtes a o b kann man auch einen kreisförmigen Draht nehmen; dann muß sich der Draht c d, wenn er passend befestigt ist, im Kreise herumdrehen, und zwar in der Richtung des Stromes a b, wenn der Strom in ihm von d nach c fließt, dagegen entgegengesetzt der Richtung des Stromes a b, wenn der Strom von c nach d fließt. Ein solcher Rotationsapparat ist in Fig. 5 gezeichnet. Auf einem Fußbrett a ist eine kreisförmige Quecksilberrinne b vorhanden. In der Achse derselben ist die leitende Säule c aufgestellt, die oben ein Quecksilbernäpfchen trägt. In das Quecksilber taucht die Spitze d, die den rechteckig gebogenen Leiter l trägt, dessen Enden in das Quecksilber der Rinne tauchen. Die beiden Drähte l entsprechen dem Drahtstück cd in Fig. 4. Das Quecksilber der Rinne ist durch einen Draht mit der Klemmschraube k, die Säule c mit der Klemmschraube k1 verbunden. Um die Quecksilberrinne herum ist in vielen Windungen ein übersponnener Kupferdraht e gelegt, dessen Enden zu den Klemmschrauben k2 und k3 führen. Der übersponnene Kupferdraht entspricht dem Drahte a o b der Fig. 4. Leitet man nun einen Strom durch den Kupferdraht und einen zweiten durch die Säule c und die Arme l, so fangen diese an zu rotieren.

Auf den in Fig. 1 angegebenen drehbaren Leiter a b c d wirkt auch der Erdmagnetismus richtend ein, und der Leiter nimmt unter dem Einflusse desselben eine solche Stellung an, daß seine Ebene senkrecht zur Ebene des magnetischen Meridians gerichtet ist; der Strom verläuft dann so, daß er an der Westseite des Meridians aufsteigt und in dem horizontalen unteren Teile des Leiters von Osten nach Werten fließt. Betrachtet man den Stromleiter a b c d von der Südseite her, so kreist der Strom in der Richtung des Uhrzeigers [1], [2]. Diese Einteilung einer Stromebene ist noch deutlicher zu beobachten, wenn man statt des bisherigen aus nur einer Windung bestehenden Leiters ein sogenanntes Solenoid (Fig. 6) verwendet, das aus mehreren schraubenförmig angeordneten Drahtwindungen befiehl Das stromdurchflossene Solenoid Hellt sich dann ebenfalls so ein, daß seine Achse in den magnetischen Meridian zu liegen kommt, und entspricht in seinem Verhalten vollkommen einer Deklinationsnadel. Es besitzt an einem Ende einen Nord-, am andern einen Südpol und wird angezogen bezw. abgestoßen, sobald man ihm einen Magnetstab nähert (s.a. Elektromagnetismus). Ebenso verhalten sich zwei Solenoide zu einander wie zwei Stabmagnete [1]. Diese Uebereinstimmung zwischen solchen stromdurchflossenen Leitern und Magneten veranlaßte Ampère, den Magnetismus (s.d.) aus den elektrodynamischen Wirkungen eines Systems von Strömen zu erklären, welche die einzelnen Eisen- bezw. Stahlmoleküle umfließen und die er als Molekularströme bezeichnete. Nach dieser Theorie versteht man unter einem Magneten einen Stab, der von einer Anzahl paralleler und gleichgerichteter Molekularströme umflossen ist (Fig. 7). Andre Theorien in [4]. Blickt man hierbei auf den Südpol S, so fließen die Ströme in der Richtung des Uhrzeigers, während sie, vom Nordpol N aus betrachtet, entgegengesetzt verlaufen, genau wie bei einem Elektromagneten (s. Elektromagnetismus).

Ampère und später Weber [1] haben die Gesetze, nach denen zwei vom Strom durchflossene Leiter aufeinander einwirken, bestimmt, und es kann hiernach die Kraft, die zwei unendlich kleine Stromelemente ds und ds1 aufeinander ausüben, durch folgende Gleichung d P = – i · i1 d s · d s1/r2 (cos ε – 3/2 cos φ · cos φ1) dargestellt werden. Hierin sind (Fig. 8) i und i1 [415] die Stromstärke der beiden Elemente, r die Entfernung derselben voneinander, ε der Winkel, den sie miteinander bilden, φ φ1 die Winkel, die jedes Element mit r bildet. Die Kraft d P fällt in die Richtung von r und bedeutet für einen negativen Wert Anziehung, für einen positiven Abstoßung. Die Gleichung läßt sich nur in wenigen, einfachen Fällen integrieren. Aendert sich bei einem vom Strom durchflossenen System die gegenseitige Lage der einzelnen Teile nicht, so nimmt das Integrationsresultat, das die vorher angegebenen Größen ergeben haben, einen konstanten Wert C an, und es ist P = C · i · i1. Werden beide Leiter von demselben Strome durchflossen, so ist i = i1 und P = C · i2, d.h. die ablenkende Kraft, die zwei von demselben Strom durchflossene Leiter aufeinander ausüben, ist proportional dem Quadrat der Stromstärke und einer Konstanten C.

Auf dieser Beziehung beruht die Konstruktion des Elektrodynamometers [3] (s. Meßinstrumente, elektrische).


Literatur: [1] Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik, Leipzig 1897. – [2] Müllerr-Pfaundler, Lehrbuch der Physik, Braunschweig 1890. – [3] Holzt, Schule des Elektrotechnikers, Leipzig 1905. – [4] Heinke, Handbuch der Elektrotechnik, Leipzig 1904.

Holzt.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 5.
Fig. 6., Fig. 7.
Fig. 6., Fig. 7.
Fig. 8.
Fig. 8.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 414-416.
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