[419] Elektromagnetismus nennt man diejenigen Wirkungen des elektrischen Stromes, die derselbe beim Vorüberfließen an magnetisierbaren Körpern auf diese ausübt. Magnetische Felder können außer durch Magnete auch durch den elektrischen Strom erzeugt werden. Die Kraftlinien (s. Elektrizität und Magnetismus) solcher Felder umgeben die stromführenden Leitungen in geschlossenen Kurven.
Um diese Kraftlinien sichtbar zu machen, durchbohrt man eine horizontale Glasplatte und steckt durch das Loch einen vom Strom durchflossenen Draht vertikal hindurch. Bestreut man jetzt die Glasplatte mit Eisenfeilspänen, so ordnen sich dieselben um den Draht in konzentrischen Kreisen an. Bringt man eine kleine Magnetnadel in die Nähe des Drahtes, so stellt sie sich so ein, daß ihre magnetische Achse Tangente an eine Kraftlinie ist, und die Richtung des Nordpoles gibt die positive Richtung der Kraftlinie an. Blickt man in der Richtung des durch den Draht gehenden Stromes auf die Kraftlinien, so ist die positive Richtung der Kraftlinien identisch mit der Drehungsrichtung des Uhrzeigers. Schiebt man über den vom Strom durchflossenen Draht ein Eisenrohr, so gehen die Kraftlinien in großer Zahl durch das Eisen und magnetisieren dasselbe. Nimmt man statt des ganzen Rohres zwei aufeinander passende Rohrhälften A und B (Fig. 1), so werden dieselben durch die hindurchtretenden Kraftlinien magnetisiert und bleiben infolgedessen aneinander haften.
Leitet man einen Strom dicht über eine Magnetnadel hinweg, wie dies Fig. 2 zeigt, so wird der Nordpol der Nadel nach links abgelenkt, wenn der Strom in der Richtung der Pfeile fließt, da der Nordpol der positiven Richtung der Kraftlinien folgt.
Eine einfache Regel, um die Ablenkung vorauszubestimmen, ist folgende: Man halte die rechte Hand, die Handfläche der Nadel zugekehrt, so über den Stromleiter, daß dieser sich zwischen Handfläche und Nadel befindet, während die Fingerspitzen die Richtung des Stromes angeben, dann gibt der Daumen die Richtung des Ausschlages des Nordpoles der Magnetnadel an. Umgekehrt: Hält man bei gegebenem Nadelausschlag den Daumen nach der feste des Ausschlages des Nordpoles, so zeigen die Fingerspitzen die Richtung des Stromes an.
Bildet man aus dem Leiter einen Ring, so stehen die Kraftlinien des stromdurchflossenen Ringes senkrecht auf der Ringebene und es ergibt sich die Richtung des Kraftlinienflusses und die des elektrischen Stromes wie folgt: Blickt man senkrecht auf die Ringebene und fließt hierbei der Strom im Sinne des Uhrzeigers, so fließen die Kraftlinien vom Beschauer fort; blickt man in der Richtung der Kraftlinien auf den Ring, so fließt der elektrische Strom im Sinne des Uhrzeigers durch denselben. Ein solcher stromdurchflossener Ring, an einem Faden aufgehängt, stellt sich unter dem Einfluß des Erdmagnetismus so ein, daß seine Ebene von Osten nach Werten zeigt, die Kraftlinien also von Süden nach Norden.
Wickelt man den stromdurchflossenen Leiter schraubenförmig auf, so vereinigen sich die kurzen Kraftlinienstücke, die senkrecht zur Ebene einer einzelnen Windung stehen, zu Kraftlinien, welche parallel zur Achse des Zylinders verlaufen. Man nennt einen solchen schraubenförmig gewundenen Draht ein Solenoid (s. Elektrodynamik); es besitzt beim Stromdurchgang alle Eigenschaften eines Elektromagneten. Welcher Art die Polarität eines Solenoidendes sein muß, läßt sich wieder ohne weiteres aus der Stromrichtung angeben: Blickt man auf die Endfläche des Solenoids und fließt der Strom im Sinne des Uhrzeigers, so ist die betrachtete Endfläche ein Südpol.
Bringt man in die Höhlung eines solchen Solenoids einen Eisenkern, so gehen die Kraftlinien auch durch den Eisenkern hindurch, wodurch derselbe magnetisch wird. Die Pole des Eisenkerns sind natürlich gleichnamig denen des Solenoids, also nach der angegebenen Regel[419] im voraus zu bestimmen. Ein solcher magnetisierter Eisenkern wird Elektromagnet genannt.
Der Magnetismus eines Elektromagneten dauert nur so lange, als das Solenoid vom Strome durchflogen ist; mit dem Aufhören des Stromes verschwindet auch der Magnetismus bis auf einen unbedeutenden Rest (remanenter Magnetismus).
Die im vorstehenden besprochenen Wechselwirkungen zwischen elektrischen Strömen und Magneten können durch das von Biot & Savart aufgehellte Grundgesetz rechnerisch verfolgt werden. Bezeichnet (Fig. 3) m die Stärke eines nordmagnetischen Poles, i den durch ein Leiterelement ds hindurchfließenden Strom, r den Abstand von m und ds, m den Winkel, welchen die Verbindungslinie r mit dem Leiterelement ds bildet, so ist die wirksame Kraft zwischen m und ds
d P = (mi · ds/r2) sin ω.
Die Kraft wird in Dyn erhalten, wenn r und ds in Zentimetern, i und m in (c, g, s) Einheiten eingesetzt werden. Mit Hilfe dieses Gesetzes kann die Einwirkung eines vom Strome durchflossenen Kreisringes auf eine senkrecht über der Mitte des Kreisringes befindliche magnetische Menge bestimmt werden, worauf die Anwendung der Tangentenbussole (s. Meßinstrumente, elektrische) beruht [3]. Untersucht man mittels dieser Gleichung die Einwirkung eines von einem Strome i durchflossenen Solenoids von der Länge l auf eine magnetische Menge, die sich in seiner Achse befindet, so gelangt man [3] zu der Gleichung P = 4π m n i : 10 l (hierbei ist vorausgesetzt, daß die Länge l verhältnismäßig groß ist im Vergleich zum Durchmesser). Wird die magnetische Menge m = l gesetzt, so ist P die Kraft, die das Solenoid auf die Menge 1 ausübt, und diese Kraft nennt man die Intensität des magnetischen Feldes oder auch die Feldstärke. Dieselbe wird durch die Anzahl (H) Kraftlinien gemessen, die durch den Quadratzentimeter einer senkrecht zu den Kraftlinien gestellten Fläche hindurchgehen (s. Magnetismus). Es ist dann: H = 0,4 π · n i : l (die Stromstärke überall in Ampère gemessen). Aus der Gleichung für P geht hervor, daß diese wirksame Kraft vom Produkte aus Stromstärke und Windungszahl abhängt (ni). Dies Produkt nennt man Ampèrewindungszahl (A W); (s.a. Dynamomaschine).
Bringt man in die Mitte eines Solenoids, dessen Länge l ist, einen Eisenstab von der Länge L und dem Querschnitt Q, so gehen die Kraftlinien des Solenoids durch den Eisenstab und magnetisieren ihn, d.h. die Molekularmagnete des Eisens werden zum großen Teil gleichgerichtet. Der Eisenstab ist also selbst zu einem Magneten geworden der nun von seinem Nordpol ebenfalls Kraftlinien aussendet.
Ist m die Polstärke, die der Eisenstab angenommen hat, so gehen 4 π m Kraftlinien von dem Nordpol desselben aus (s. Magnetismus), Q H Kraftlinien gehen vom Solenoid aus durch die Mitte des Stabes, so daß jetzt im ganzen N = Q H + 4 π m Kraftlinien durch die Mitte des Eisenstabes hindurchgehen. Die Anzahl von Kraftlinien, die auf 1 qcm entfallen, ist N : Q = B = H + 4 π m : Q. Die Größe B heißt die magnetische Induktion. Berücksichtigt man die Länge L, so ergibt sich m : Q = m L : Q L = M : V = (magnetisches Moment):(Volumen des Stabes) = J. Diese Größe J heißt Intensität der Magnetisierung. Es ist dann B = H + 4 π J. Man bezeichnet nun. das Verhältnis J : H mit κ und nennt es magnetische Suszeptibilität, und das Verhältnis B : H mit μ und nennt es magnetische Permeabilität; letzteres gibt die Durchlässigkeit des Materiales an und entspricht etwa der Dielektrizitätskonstante (s.d.); es ist dann μ = 1 + 4 π κ. Experimentelle Eisenprüfungsmethoden zur Bestimmung der Permeabilität in [2], [3].
Bestimmt man hiernach für eine magnetisierbare Substanz, z.B. Gußeisen, Gußstahl u.s.w. zu einem beliebigen Werte von H die zugehörigen von B und μ, wie z.B. in nachgehender Tabelle, und stellt dieselben graphisch dar, indem man die Werte von H als Abszissen, die Werte von B als Ordinaten in ein ebenes rechtwinkliges Koordinatensystem einträgt, so erhält man die sogenannte Magnetisierungskurve (Fig. 4). Diese Kurve zeigt, daß zunächst mit wachsendem H auch B zunimmt, aber die Zunahme von B wird weiterhin immer geringer und die Kurven verlaufen schließlich nahezu parallel zur Abszissenachse. Eine weitere Steigerung von H hat dann keine wesentliche Zunahme von B mehr zur Folge, d.h. das Eisen ist mit Magnetismus gesättigt, alle seine Moleküle sind gleichgerichtet.
[420] Ermittelt man bei einem bereits der Magnetisierung ausgesetzt gewesenen Eisenkörper, z.B. einem Dynamoanker, die Werte der Magnetisierungskurve beim Ansteigen bis zu einem Maximum und läßt sodann die magnetisierende Kraft wieder abnehmen und durch Null bis zu einem gleichgroßen, aber entgegengesetzten Wert anwachsen, so findet man beim Aufzeichnen der Kurven, daß beide nicht zusammenfallen, sondern die Werte der Ordinaten bei der abnehmenden Magnetisierung für gleiche Abszissen (Werte von H) größer als die Ordinaten bei der vorausgegangenen zunehmenden Magnetisierung sind. Beide Kurven schließen einen Flächenraum ein, dessen Größe proportional ist der Arbeit, die erforderlich war, um das Eisenstück zu magnetisieren. Man nennt diese Arbeit die Magnetisierungsarbeit; sie setzt sich in Wärme um und erhöht dadurch die Temperatur des Eisenkernes. Den ganzen Vorgang nennt man magnetischen Kreisprozeß oder Hysteresis [2], auch magnetische Reibung, da man annimmt, daß eine innere, molekulare Reibung die Erwärmung hervorbringt.
Da die Kurve nicht wieder bis auf den Koordinatenpunkt Null zurückgeht, so bleibt also ein magnetischer Rückstand (remanenter Magnetismus) übrig. Diejenige entgegengesetzt wirkende magnetische Kraft, die man aufwenden muß, um diesen Rückstand (Remanenz) zu vernichten, wird nach Hopkinson [2] Koerzitivkraft genannt.
Der durch Hysteresis entstehende Energieverlust beträgt Eh = η · B1,6 V · ~/107 Watt, Hierin ist η eine Konstante, die je nach der Eisensorte zwischen 0,002 und 0,092 liegt; B ist die Kraftliniendichte (Induktion) des Eisens, V das Volumen in Kubikzentimetern und ~ die Anzahl der Wechsel in der Sekunde. Die nachstehende Tabelle gibt die Hysteresisverluste (Eisenverluste f bezw. f') für die Induktionen 2000 bis 10500, bei 100 Wechseln und bei η = 0,0033 an. Das Volumen ist in Kubikdezimetern, das Gewicht in Kilogramm angenommen, also:
Eingehendere Behandlung der Magnetisierungskurven und der Hysteresis in [1].[421]
Für den in einem geschlossenen Ringe (Fig. 5) auftretenden magnetischen Kreisprozeß gilt wie oben Feldstärke H = 0,4 π n i : l (n Anzahl der stromdurchflossenen Drahtwindungen der Magnetisierungsspirale, i Stromstärke in Ampère, l Ringlänge, d.h. Umfang des mittleren, punktierten Kreises und gleichzeitig mittlere Kraftlinienlänge). Die Anzahl der Kraftlinien, die den Ring durchsetzen, ist N = Q · B (Q = Querschnitt des Ringes, B = magnetische Induktion = μ H), oder
Diese Form der Gleichung kann als das Ohmsche Gesetz für den geschlossenen magnetischen Kreis bezeichnet werden, und zwar bedeutet, da μ die magnetische Leitungsfähigkeit ist, der Nenner l : μ Q den magnetischen Widerstand und der Zähler 0,4 π n i die magnetomotorische Kraft F, die in dem Ringe den Kraftlinienstrom N hervorbringt (F = 0,4 π n i, worin n i die Ampèrewindungszahl).
Ist der Zusammenhang des Ringes an einer Stelle (Fig. 6) durch einen Luftzwischenraum δ unterbrochen, so ergibt sich
und wird in den Zwischenraum ein Eisenstück gebracht, so ist (Fig. 7)
Hierin ist μ1 die Permeabilität des Eisenringes, μ2 die des Eisenstückes, μ0 die der Luft. Letztere ist = 1. Die Anordnung (Fig. 7) entspricht, wie der Vergleich mit Fig. 8 zeigt, vollständig dem magnetischen Kreise einer Dynamomaschine (s.d.). Bezeichnet la, lm, ll die Längen der mittleren Kraftlinien im Anker, Magneten und Luftzwischenraum, ferner Qa, Qm, Ql den Querschnitt und μa, μm, μl die Permeabilität dieser Teile, so ist
Die Länge der mittleren Kraftlinie und der Querschnitt ergeben sich aus der betreffenden Zeichnung der Dynamo, die Permeabilität wird aus den Werten von B und H berechnet, resp. einer Tafel (Fig. 4) entnommen [4]. Unter Berücksichtigung der Streuung (s. Dynamomaschine) ergibt sich hieraus [3] für die Berechnung der magnetomotorischen Kraft F und der Ampèrewindungszahl ni : Ha · la + Bl · ll + Hm lm = F, worin, wie oben, F = π n i ist. Ausführliche Berechnungen in [4].
Die Tragkraft eines Magneten ist [3] P = B2 Q : 8 π Dyn oder B2 Q : 8 · 981000 · π kg. Der Elektromagnet hat in der Elektrotechnik eine sehr ausgedehnte Verwendung gefunden, besonders bei den verschiedenen elektrischen Telegraphen (s.d.), Glocken u.s.w. Ferner bei einer Anzahl von Meßinstrumenten (s.d.), bei den Dynamomaschinen (s.d.) u. dergl. mehr.
Literatur: [1] Heinke, Handbuch der Elektrotechnik, Bd. 1, Leipzig 1904. [2] Thomson, Der Elektromagnet, Halle 1894. [3] Holzt, Schule des Elektrotechnikers, Leipzig 1905. [4] Vieweger, Aufgaben nebst Lösungen aus dem Gebiete der Gleich- und Wechselstromtechnik, Mittweida 1902.
Holzt.
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