Stützmauern [2]

[389] Stützmauern, graphische Berechnung.

Die statische Berechnung der Stützmauern beruht auf der Theorie des Erddrucks (Bd. 3 S. 476). Während man früher verlangte, daß der mit 2 multiplizierte Erddruck nicht imstande sei, die Mauer umzustürzen (Stabilität mit doppelter Sicherheit), wird jetzt fast allgemein die bei andern Bauwerken längst übliche Forderung gestellt, daß die im Mauerwerk auftretenden Spannungen eine gewisse Grenze nicht überschreiten sollen. Vielfach wird noch gefordert, daß Zugspannungen nirgends vorkommen sollen, obgleich diese Forderung nur bei Staumauern (s.d.) notwendig ist.

Fig. 1 zeigt, wie eine gewöhnliche Stützmauer von trapezförmigem Querschnitt statisch untersucht wird. Es genügt, die Spannungen am Mauerfuß O P und an der Fundamentsohle O' P' zu ermitteln. Zuerst wird für die Mauerhöhe A O der Erddruck E bestimmt. Man zieht die natürliche Böschung OB unter dem Winkel φ zur Wagerechten und die Linie A L unter dem Winkel φ + φ1 zu A O (φ ist der Reibungswinkel von Erde auf Erde, φ1 derjenige von Erde auf Mauer). Hierauf bestimmt man mittels des Kreisbogens über B L und der Tangente O T die mittlere Proportionale O H von O B und O L, zieht H C parallel L A und macht H J = H C, so ist der Erddruck gleich γ · Δ C H J (γ = spez. Gewicht der Erde). Der Erddruck greift im unteren Drittel von A O an und schließt mit der Mauerwand den Winkel 90° – φ1 ein. Den Erddruck E sowie das Mauergewicht M (auf 1 m Tiefe) trägt man nun in passendem Maßstabe auf und setzt sie zur Mittelkraft R zusammen. Die Spannungen in P und O werden, wenn R innerhalb des Kernes (s.d.), d.h. innerhalb des inneren Drittels K K' der Mauerfläche angreift, am besten nach der Kernformel (s.d.) berechnet. Bezeichnet man die Mauerstärke mit s und die Abstände der Kraft R von K und K' mit r und r', so ist die Spannung in P gleich 6 R r : s2 und diejenige in O gleich 6 R r' : s2. Zur besseren Uebersicht stellt man de Spannungsverteilung häufig graphisch in Form der in Fig. 1 schraffierten Trapeze dar. Greift R außerhalb K K' an, so wird die Spannung in O negativ (Zugspannung). Gewöhnlich sieht man[389] der größeren Sicherheit wegen von der Zugfestigkeit des Mauerwerks ab; man berechnet die Spannung in P nach der Formel 2V : 3x, worin V die lotrechte Seitenkraft von R, und x die Entfernung des Punktes P vom Angriffspunkt der Kraft bedeutet. Die Druckfläche ist in diesem Falle ein Dreieck von der Grundlinie 3x. Um die Spannung an der Fundamentsohle zu finden, verfährt man in gleicher Weise, indem man den Druck auf die Wand O' A mit dem Gewicht der ganzen Mauer zusammensetzt.

Hat die Stützmauer eine gebrochene Hinterwand (Fig. 2), so bestimmt man zunächst wie oben den Erddruck E1 für die Wand A1O1. Um den auf die Wand O1 O2 wirkenden Druck E2 zu finden, zeichnet man zuerst das Druckdreieck C2 H2 J2 für die ganze Wand A2 O2; dann zieht man O1D1 parallel O2B2, verbindet D1 mit B2 und zieht H2' J2' parallel H2 J2, so ist E2 = γ · [H2 J2 J2' H2']. Der Angriffspunkt von E2 wird gefunden, wenn man in der Mitte von O1 O2 die Länge 0,289 · O1 O2 senkrecht aufträgt und über ihr von A2 aus einen rechten Winkel zeichnet. E2 geht auch durch den Schwerpunkt des die spezifischen Erddrücke darstellenden Trapezes. Nun berechnet man noch die Mauergewichte M1 und M2 und setzt die vier Kräfte mittels Kraft- und Seilecks zur Mittelkraft R zusammen.

In Fig. 3 ist der Fall einer gekrümmten Stützmauer dargestellt. Man teilt die Hinterfläche in eine Anzahl Teile und bestimmt für jeden Teil den Erddruck nach dem Verfahren, das in Fig. 2 für die Wand O1 O2, eingeschlagen wurde. In Fig. 3 haben wir die Wand in fünf Teile geteilt und für den vierten Teil die erforderlichen Linien eingezeichnet; sie führen zur Druckfläche H4 J4 J4' H4'. Hat man sämtliche Teildrücke gefunden, so setzt man sie durch Kraft- und Seileck zur Gesamtkraft E und diese schließlich mit dem Mauergewicht M zur Mittelkraft R zusammen.

Zuweilen werden Stützmauern aus Sparsamkeitsgründen mit Strebepfeilern (Fig. 4) versehen. In diesem Falle liegen die Kernpunkte K und K' nicht mehr im Drittel der Mauerbreite; ihre Abstände vom Schwerpunkt S werden nach der Formel k = J : Fe berechnet, worin F den Inhalt der Mauerfläche, J ihr Trägheitsmoment (s.d.) in bezug auf die Achse s und e den Abstand des Schwerpunkts von P bezw. O bedeutet. Der Erddruck wird zuerst wie gewöhnlich für eine Mauertiefe = 1 berechnet und hierauf mit t multipliziert. Aus der Mittelkraft R von E und M findet man schließlich die Spannungen nach der Formel R r : F k, worin r wie früher den Abstand der Kraft R vom Kernpunkte bezeichnet. Als zulässige Spannungen des Mauerwerks kann man bei Bruch- und Backsteinmauerwerk 80–120, bei Quadermauerwerk 150–300 t : m2 annehmen; der zulässige Fundamentdruck beträgt für die gewöhnlichen Erdarten 15–60 t : m2.


Literatur: Culmann, Graph. Statik, Zürich 1866; Rebhann, Theorie des Erddrucks und der Futtermauern, Wien 1871; v. Ott, Vorträge über Baumechanik, Prag 1877; Ritter, W., Eisenbahn 1877, Bd. 7, S. 178; Rychter, Zeitschr. des Oesterr. Ing.- und Arch.-Ver, 1877, S. 142, und 1880, S. 89; Kreuter, Deutsche Bauztg. 1879, S. 366; Crugnola, Sui muri di sostegno etc., Turin 1882; Lauenstein, Graph. Statik, Stuttgart 1898.

Mörsch.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 389-390.
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389 | 390
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