Erde, Erdmessung [2]

[244] Erde, Erdmessung . In zwei Veröffentlichungen aus letzter Zeit [1] und [2], hat Helmert die in der Tabelle S. 245 enthaltenen, aus den neueren großen Gradmessungen berechneten Werte der Abmessungen des Erdellipsoids mitgeteilt.

Die Werte von a sind unter 1 und 2 legale Meter, im übrigen internationale Meter. Das internationale Meter ist um 1 : 74000 kleiner als das legale. Die Berechnungen von 3 bis 6 und 10 beziehen sich auf die Besselsche Abplattung 1 : 299,15. Wird die von Helmert nach Pendelbeobachtungen bestimmte Abplattung 1 : 298,3 zugrunde gelegt, so wird a bei 10 nur um 10 m kleiner. Die Werte von a bei 7 und 8 sind mit der zuletzt angeführten Abplattung berechnet worden. Die nordamerikanischen Gradmessungen unter 9 erstrecken sich über ein[244] Gebiet von 19° Breiten- und 57° Längenausdehnung. Der Ausgangspunkt für die Orientierung der sämtlichen Dreiecksketten ist der Punkt Meades Rauch, Kansas, dessen Breite und Länge astronomisch bestimmt und auf dem das Azimut der Richtung nach dem Punkte Waldo gemessen wurde. Es sind außerdem 765 astronomische Beobachtungen ausgeführt worden, und zwar 381 Breiten-, 131 Längen- und 253 Azimutmessungen, auf 32 Punkten Breiten- und Längenmessungen zusammen. Dadurch wurden die Unterlagen beschafft für die Berechnung der Lotabweichungen, s. Bd. 6, S. 229. Tittmann und Hayford haben auf Grund des Clarkeschen Ellipsoids als Vergleichsellipsoid, s. Bd. 3, S. 486, ein Ellipsoid berechnet, das sich diesem Gebiete am betten anpaßt. Hierbei wurde erstmalig in großem Umfange die von Pratt vor etwa 50 Jahren zuerst aufgestellte Hypothese von der Isostasie der Erdkruste angewendet, daß unter den Gebirgen des Festlandes Massen geringerer Dichtigkeit und unter den Meeren Massen größerer Dichtigkeit lagern derart, daß im allgemeinen ein Gleichgewicht der unregelmäßig gestalteten Erdkruste besteht. Man nimmt an, daß in einer gewissen Tiefe unter der Meeresfläche eine Ausgleichungsfläche liegt, und daß das Gewicht der Masse zwischen dieser Ausgleichungsfläche und der Erdoberfläche über der Flächeneinheit gleich ist. Denkt man sich diese Masse senkrecht zusammengedrückt, so entsteht über der Ausgleichungsfläche eine gleichartige Kruste mit der Dichte des Erdinnern. Eine solche Massenverteilung beeinflußt die Richtung und Größe der Schwerkraft sowie die Größe der großen Halbachse und der Abplattung des Erdellipsoids. Je nach der Tiefe der Ausgleichungsfläche haben die Lotabweichungen andre Werte. Diese Tiefe war unbekannt, weshalb die Lotabweichungen für mehrere Tiefen berechnet wurde. Man fand, daß die für eine Tiefe von etwas mehr als 120km berechneten Lotabweichungen sich den beobachteten am meisten nähern. Aus den beobachteten und den für diese Tiefe berechneten Lotabweichungen wurden dann die Verbesserungen der Breite und Länge des Ausgangspunktes Meades Rauch und des auf ihm gemessenen Azimuts sowie der großen Halbachse und der Exzentrizität des Clarkeschen Erdellipsoids mit Ausgleichung nach der Methode der kleinsten Quadrate, s. Bd. 6, S. 415, berechnet. Man erhielt für jeden Punkt mit astronomischen Beobachtungen drei Fehlergleichungen von der Form


Erde, Erdmessung [2]

Hierin sind vm und vp die Komponenten im Meridian und 1. Vertikal der nach der Ausgleichung übrig bleibenden Lotabweichungen, (φ), (λ), (a), (α), (e2) die gesuchten Verbesserungen in der oben angegebenen Reihenfolge, k, l, m, n, o nach theoretischen Erwägungen berechnete Koeffizienten und φa, λa, αa bezw. φe, λe, αe die astronomischen bezw. geodätischen Breiten, Längen und Azimute der Punkte. – Zur Frage der zurzeit besten Abmessungen des Erdellipsoids verweist Helmert in [2] zunächst auf die Mittel unter 11 und 12 der Tafel. Da der nordamerikanische Wert von a unter 9 nur 38 m größer ist als der des Mittels unter 12, einige Werte unter 3 bis 8 wegen mangelnder isostatischer Reduktion zu klein sind und die astronomische Konferenz in Paris 1911 das Hayfordsche Ellipsoid angenommen hat, so hält auch Helmert an den Werten für dieses Ellipsoid fest. Im einzelnen sind diese: Große Halbachse a = 6378388 ± 53 m, kleine Halbachse b = 6356909 ± 108 m, Abplattung 1 : p = 1 : 296,96 ± 1,2, Meridianquadrant = 10002286 ± 117 m, Oberfläche des Erdellipsoids = 510100800 ± 10500 qkm, Tiefe der Ausgleichungsfläche 122 km. Etwa zu gleicher Zeit bestimmte Helmert die Tiefe der Ausgleichungsfläche zu 118 km auf anderem Wege aus 51 Schwerestörungen an den Steilküsten[245] der Meere. Diese beiden Tiefenwerte stimmen gut überein. Nach [2] sind jetzt der Wert der großen Halbachse bis auf 100 m und der Wert der Abplattung bis auf 1 : 300 ihres Betrages bekannt. Die Abweichungen des Geoids vom mittleren Erdellipsoid werden auf wenige Zehner von Metern, ausnahmsweise auf 100 m, geschätzt, vgl. Bd. 3, S. 485. Näheres über die vorstehenden Ausführungen s. [3] bis [16]. Mitteilungen über die Meridianbogenmessungen in Ecuador und Spitzbergen s. [17] und [18]. Hierüber und über andre Erdmessungsarbeiten s.a. [7]. In den angeführten Werken finden sich noch zahlreiche Literaturangaben.

Wenn im allgemeinen wohl ein Gleichgewichtszustand der Erdkruste nach der Prattschen Hypothese besteht, so ist er doch nicht überall ganz vollkommen. In weiten Gebieten, namentlich in Mitteleuropa und Mittelasien, sind Störungen der Schwerkraft beobachtet worden. Sie lassen auf Anhäufungen und Fehlbeträge der Massen der Erdkruste schließen, deren Entstehung durch horizontale Verschiebungen erklärt werden kann, s. [10], [12] und [14].

In den letzten 20 Jahren, besonders durch Hecker im vergangenen Jahrzehnt sind seine Beobachtungen an Horizontalpendeln, s. Bd. 5, S. 137, ausgeführt worden, deren Ergebnisse die schon früher von H. Darwin aufgestellte Theorie bestätigen, daß der Erdkörper gleich den Meeren Gezeiten hat, die von der Anziehung des Mondes und der Sonne herrühren, s. Ebbe und Flut, S. 201, und Bd. 3, S. 203. Nach dem Newtonschen Gesetze ziehen die Massen der Himmelskörper sich gegenseitig an im umgekehrten Verhältnisse der Quadrate ihrer Entfernungen. Stehen der Mond oder die Sonne im Zenit eines Erdortes, so sind ihre Anziehungen auf diesen Ort größer als auf den Erdmittelpunkt, und die Anziehungen auf diesen sind wieder größer als die auf den Gegenort an der andern Erdseite. Die beiden Erdhalbmesser werden daher durch die Anziehungen etwas vergrößert, entsprechend den Unterschieden der Anziehungen im Erd- und Gegenorte von den im Mittelpunkte. Der elastische Erdkörper hebt sich an den beiden Orten in der Richtung auf den Mond oder die Sonne und entgegengesetzt und zieht sich seitlich etwas zusammen. So entstehen seine elastische Flut und Ebbe. Die Erde widersteht diesen Anziehungen etwa mit der Elastizität des Stahles. Die durch den Mond und die Sonne hervorgerufenen Flutbewegungen haben eine größte Höhe von 0,33 bezw. 0,17 m. Die große Entfernung der Sonne läßt deren ungeheure Masse nicht so zur Geltung kommen wie die des Mondes. Die Pendel werden für die Beobachtungen in Kellern und Schächten aufgestellt, damit der Einfluß der Sonnenwärme ausgeschaltet wird. Näheres s. [9], [10], [19] und [20].

Die Geologen und Geophysiker bedienen sich einer Hypothese, nach der der starre Erdkern von einer elastischen Magmaschicht umgeben ist, auf der die Erdkruste wie auf einer Flüssigkeit im Gleichgewichte ruht. Schweydar hat im Anschlusse an seine Untersuchungen der Gezeiten des Erdkörpers auch diese Hypothese untersucht [21].

1912 waren 50 Jahre vergangen seit der Gründung der mitteleuropäischen Gradmessung, der Vorläuferin der internationalen Erdmessung. Diese hat einen bedeutenden Anteil an den neuen hervorragenden Erfolgen der Erdmessung; s. [22] und [23].


Erde, Erdmessung [2]

Literatur: [1] Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch., 1906, S. 525; Helmert, Die Größe der Erde. – [2] Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdkunde in Berlin 1913, S. 17; Ders., Geoid und Erdellipsoid. – [3] Hayford, The figure of the earth and isostasy from measurements in the U.S., Coast and Geodetic Survey, Washington 1909; Ders., Supplementary investigation in 1909 of the figure of the earth and isostasy, desgl., das. 1910. – [4] Zeitschr. f. Verm. 1911, S. 534; Eggert, Bericht hierüber. – [5] Oesterr. Zeitschr. f. Verm., Wien 1911, S. 323; Schumann, desgl. – [6] Ebend. 1910, S. 388; Láska, Ueber die Isostasie der Erdkruste. – [7] Verhandl. d. XVI. allg. Kons.d. intern. Erdmessung in London 1909, I. Teil, Berlin 1910, II. Teil, 1911, Berichte in den Sitzungen und Beilagen. – [8] Zeitschr. f. Verm. 1909, S. 929; Helmert, Bericht darüber. – [9] Berichte über die Tätigkeit des Zentraldirektoriums der internat. Erdmessung, Berlin. – [10] Veröffentl. d. Kgl. Preuß. Geod. Inst., Potsdam; Jahresberichte d. Direktors. – [11] Sitzungsberichte d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch., Berlin 1911, S. 10; Helmert, Ueber die Dimensionen des Hayfordschen Erdellipsoids. – [12] Ebend. 1908, S. 1058; Ders., Unvollkommenheiten im Gleichgewichtszustande der Erdkruste. – [13] Ebend. 1909, S. 1192; Ders., Die Tiefe der Ausgleichungsfläche bei der Prattschen Hypothese. – [14] Ebend. 1912, S. 308; Ders., Die Erfahrungsgrundlagen der Lehre vom allg. Gleichgewichtszustande der Massen der Erdkruste. – [15] Beiträge zur Geophysik, Leipzig 1910, S. 519; Bahn, Der südafrikanische Meridianbogen. – [16] Sitzungsberichte d. mathemat. naturwissensch. Kl. d. Kaiserl. Akad. d. Wissensch., Wien 1911, S. 1655; Schumann, Geoidabstände nach der Formel von Stockes. – [17] Oesterr. Zeitschr. f. Verm. 1909, S. 257; Tinter, Die Gradmessung in Ecuador-Peru. – [18] Petermanns Mitteilungen, Gotha 1913, II. Halbh., S. 17; Hammer, Die äquatoriale und die arktische Meridianbogenmessung. – [19] Deutsche Revue, Stuttgart u. Leipzig 1909, 4. Viertelj., S. 166; Helmert, Ueber elastische Fluten des festen Erdkörpers. – [20] Veröffentl. d. Kgl. Preuß. Geod. Inst., 1911; Hecker und Meißner, Beobachtungen an Horizontalpendeln über die Deformation des Erdkörpers unter dem Einfluß von Sonne und Mond. – [21] Ebend. 1912; Schweydar, Untersuchungen über die Gezeiten der Erde und die hypothetische Magmaschicht. – [22] Helmert, Das Zentralbureau während der ersten 50 Jahre der internat. Erdm., Vortrag auf der XVII. allg. Kons. in Hamburg. – [23] Van de Sande Bakhuyzen, Bericht über das Entstehen und die Entwicklung der internat. Erdm., desgl.

Hillmer.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 244-246.
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