Thermometer [2]

[798] Thermometer sind Vorrichtungen, die zur Bestimmung der Temperatur dienen. Es sollen einige Bemerkungen darüber beigebracht werden, wie man sich von der Richtigkeit der Angaben eines Thermometers überzeugen oder wie man ein solches prüfen kann.

Die Temperatur ist nach W. Thomson [1] thermodynamisch definiert, und zwar ist die absolute Temperatur eines Körpers (deren Nullpunkt ca. 273° C. unter dem Gefrierpunkte des Wassers liegt) diejenige, für welche bei einem unendlich kleinen Kreisprozesse das Verhältnis der unendlich kleinen Temperaturerhöhung zur absoluten Temperatur gleich dem Verhältnis der in Arbeit umgesetzten zu der gesamten vom heißen auf den kalten Körper übertragenen Wärmemenge ist. Diese Definition läßt sich unmittelbar zur Temperaturmessung nicht verwenden, man muß vielmehr physikalische Phänomene suchen, bei denen mit wechselnder Temperatur leicht meßbare Veränderungen vorgehen, die der oben definierten »Temperatur« annähernd proportional sind. Eine große Gruppe von Temperaturmeßinstrumenten beruht demgemäß auf der Messung der Ausdehnung der Körper bei der Erwärmung; zu ihr gehören auch fast alle dem täglichen Gebrauche dienenden Thermometer. Am geeignetsten dazu würde der Körper sein, dessen Ausdehnung der Temperatur streng proportional wäre, aber solche Substanzen gibt es nicht; nur der Druck der von der Thermodynamik eingeführten »idealen Gase«, bei denen innerhalb des betrachteten Temperaturintervalles das Produkt aus Druck und Volumen völlig konstant wäre, würde der absoluten Temperatur streng proportional sein. Dem sehr nahe kommt das Verhalten der gewöhnlich als permanent bezeichneten Gase: Helium, Wasserstoff, Stickstoff oder auch Luft. Man mißt dann das Verhältnis zweier absoluten Temperaturen durch das Verhältnis der Drucke eines auf konstantem Volumen gehaltenen Luft-(Wasserstoff-)quantums bei diesen beiden Temperaturen. Speziell für ein Wasserstoffthermometer bleibt die Abweichung der so ermittelten Temperaturen von der wahren thermodynamischen Skala in dem Temperaturintervall von 0° bis 100° C. innerhalb einiger Tausendstel Grade [2].

Für praktische Zwecke ist aber die Temperaturmessung mittels des Gasthermometers zu kompliziert und man benutzt Flüssigkeitsthermometer, speziell Quecksilberthermometer. Die Angaben eines solchen beruhen auf dem Unterschiede der Wärmeausdehnung des Glases und des in ihm enthaltenen Quecksilbers, die Abweichungen der Ausdehnungen beider Substanzen von der Proportionalität mit der Temperatur fälschen daher die Resultate, dadurch aber, daß man die für wissenschaftliche Zwecke gebrauchten Thermometer stets aus den gleichen Glassorten verfertigt, kann man Tabellen aufstellen, die die Abweichungen der nach vereinbarten einfachen, an allen Orten leicht ausführbaren Methoden geeichten Thermometer von der thermodynamischen oder der Wasserstoffskala angeben.

Um aus den Angaben eines aus einer bekannten Glassorte (etwa Jenaer Glas) angefertigten Thermometers die wirkliche Temperatur abzuleiten, ist nun folgendermaßen vorzugehen (vgl. [3]): Es sind zunächst die Fundamentalpunkte festzulegen, d.h. die Angaben des Thermometers, wenn dieses vollständig in schmelzendem Eise oder in unter 760 mm Druck siedendem Wasser sich befindet. Der Raum der Kapillare zwischen diesen beiden Querschnitten ist in 100 gleiche Teile zu teilen, deren jeder 1° C. repräsentiert. Die Verlängerung der Skala unter 0° und über 100° erfolgt derart, daß an allen Stellen der zwischen je zwei Gradstrichen liegende Kapillarraum gleich 1/100 des zwischen den Fundamentalpunkten liegenden ist. Da die Kapillaren nie an allen Stellen gleichen Querschnitt haben können, müssen sie kalibriert werden, was durch Messung der Länge eines abgetrennten Quecksilberfadens geschieht, die dem mittleren Querschnitt des Kapillarenstückes, in dem er sich befindet, umgekehrt proportional ist. Durch geeignete Verfahren [3] kann man so zu jedem der im allgemeinen äquidistanten Teilstriche eines Thermometers die Korrektion ermitteln, die man zu seinem Gradwerte addieren muß, um die Zahl der Hundertel des Kapillarenvolumens zwischen 0° und 100° zu erhalten,[798] die zwischen dem Nullstriche und dem betrachteten liegt. Diese Eichung kann stets ohne besondere Einrichtungen ausgeführt werden. Die so ermittelten Temperaturen entsprechen aber nur bei den beiden Fundamentalpunkten der Gasskala; um sie in ihrem ganzen Verlaufe auf diese zu reduzieren, müssen an den beobachteten Temperaturen noch die durch sehr schwierige und sorgfältige Messungen ermittelten Korrektionen angebracht werden, die für die meist benutzten Glassorten in der Tabelle gegeben sind (nach Scheel [4]).


Thermometer [2]

Für Temperaturen über 100° sind von E. Mahlke (5) die Korrektionen eines aus Glas 59III gefertigten Thermometers auf das Luftthermometer gegeben:


Thermometer [2]

Für Thermometer, die für Temperaturen unter 0° verwendet werden, geben nach Beobachtungen von Chappuis [6] die folgenden Zahlen die einer abgelesenen Temperatur entsprechenden wahren (gasthermometrischen) Temperaturen:


Thermometer [2]

wobei die Gradwerte der Thermometer nach den für Quecksilberthermometer gegebenen Methoden aus den Dimensionen der Kapillare bestimmt sind. Die gegebenen Korrektionen gelten für den Fall, daß die ganzen Thermometer sich auf der betreffenden Temperatur befinden. Ist nur die Kugel auf der zu messenden Temperatur, befindet sich die Skala aber auf Zimmertemperatur, so ist noch eine Korrektion wegen herausragenden Fadens anzubringen, die darauf Rücksicht nimmt, daß das Quecksilber des Fadens und die Kapillare sich nicht mit ausgedehnt haben, und die in [3] zu finden ist.

Schließlich ist noch die thermische Nachwirkung zu nennen, die die Fixpunkte der Thermometer verschiebt, indem das Volumen der Thermometerkugel nach einer Erwärmung nicht sogleich wieder seinen alten Wert erreicht. Durch Auswahl günstiger Glassorten (59III) ist diese Fehlerquelle auf einen kleinen Betrag zu reduzieren.

Prüfungen und Vergleichungen von Thermometern mit dem Wasserstoff- oder Luftthermometer führt die Physikalisch-Technische Reichsanstalt in Charlottenburg auf Verlangen aus.


Literatur: [1] Sir William Thomson; Heat, Edinburg 1880, S. 43 u. 44. – [2] B. Weinstein, Ueber die Reduktion der Angaben von Gasthermometern auf absolute Temperatur. Nr. 3 der metronomischen Beiträge der Kaiserlichen Normaleichungskommission, Berlin 1881. – Ch. Ed. Guillaume, Traité pratique de la Thermométrie de précision. Paris 1889, p. 261. – [3] Kohlrausch, Lehrbuch der praktischen Physik, 11. Aufl., 1911. – Winkelmann, Handbuch der Physik, Bd. III, 2. Aufl., Leipzig 1906. – Travaux et Memoires du Bureau international des poids et mesures, Bd. IV. – Wissenschaftl. Abhandlungen der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, Bd. I, Berlin 1894. – [4] K. Scheel, Wied. Ann. 58, 168, 1896. – [5] Wied. Ann. 53, 965, 1894. – [6] M.P. Chappuis, Arch. des sciences physic. et naturelles [3] 28, 293, 1892.

R. Ambronn.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 798-800.
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