[647] Glück – Das Wort erweckt zwei gänzlich verschiedene Vorstellungen, je nachdem es von dem Zustande eines Menschen gebraucht wird oder von den Umständen, welche diesen Zustand herbeigeführt haben (vielleicht herbeiführen können). In der zweiten Bedeutung ist Glück von Zufall nicht sehr verschieden; das wird besonders deutlich im Französischen, wo hasard zwar der allgemeinere Ausdruck ist und auf jedes Geschehen angewandt werden kann, fortune und sort ausschließlich vom Zufall ausgesagt wird, der menschliche Wesen betrifft, wo aber bonne und mauvaise fortune ursprünglich im Sinne eines günstigen und eines ungünstigen Zufalls gebraucht wurde. Ähnlich kann im Englischen fortune und luck von beiden Möglichkeiten des Zufalls ausgesagt werden. Schon im Lateinischen giebt es eine secunda und eine adversa fortuna; im Griechischen eine tychê agathê nur daß da die Vorstellung von einem günstigen Ausgang noch mehr überwiegt; wie denn auch im Deutschen Redensarten wie schlechtes, wechselndes Glück erst wieder Übersetzungen romanischer Redensarten sind. Denn daran kann doch wohl kein Zweifel sein, daß Glück etymologisch mit gelingen zusammenhängt und auch im objektiven Sinne von Hause aus den günstigen Zufall bedeutete (ließe sich Glück schon in einer althochdeutschen oder gar gotischen Form nachweisen, so würde ich an eine Lehnübersetzung[647] von tychê denken). Bei allen diesen Worten (tychê, fortuna, sors, Zufall) spielen sicherlich uralte mythologische Vorstellungen mit; beim neueren Sprachgebrauche sehr häufig Anlehnungen an Wortfolgen, die sich auf die Göttin Fortuna bezogen; das Glücksrad kommt daher, erinnert aber jetzt mehr an den bei der Lotterieziehung gebrauchten Zylinder; das Glück stand früher auf dem Rade, jetzt steckt es im Rade.
Das subjektive Glück, der Zustand des Glücksgefühls oder der vielgenannten Glückseligkeit bezieht sich jedenfalls (um es ganz allgemein auszudrücken) auf eine Befriedigung des menschlichen Willens. Die Sehnsucht, seine Wünsche zu befriedigen, ist dem Menschen so natürlich, daß die naive Philosophie es lange Zeit für ihre Aufgabe hielt, den Weg zur Glückseligkeit zu suchen und zu lehren. Diese Richtung der Philosophie hatte den hübschen Namen Eudämonismus. Je nach der Neigung des Philosophen wurde der Weg zum höchsten Glücke entweder in einer Herabsetzung der Bedürfnisse (Sokrates, die Kyniker) oder in einer Steigerung der Befriedigung (Kyrenaiker, Epikuräer) gefunden; die Rechnung stimmte beidemal, und sie mußte stimmen, einerlei, ob die Bedürfnisse mehr geistiger oder mehr sinnlicher Art waren.
Die alten Gemeinplätze, welche dann besonders in christlicher Zeit (die Idee geht aber auf Aristoteles zurück) ein glückliches Leben dem tugendhaften Leben gleichsetzten, möchte ich in ihrer Ruhe nicht stören, trotzdem selbst Spinoza, nach seiner eignen Gemütsart mit vollem Rechte, dieses geistige Glücksgefühl im letzten Satze seiner Ethik also formuliert hat: beatitudo non est virtutis praemium, sed ipsa virtus. Weil nämlich das Glück immer die Befriedigung irgend eines Willens ist, darum kann Tugend nur in solchen Ausnahmsmenschen Glück sein, deren Wille auf Tugend gerichtet ist; für alle andern Menschen hat ein solcher Satz gar keinen Sinn. Der Rigorismus Kants scheint mir nur darin fehlerhaft zu sein, daß er das starke Gefühl eines Sokrates, eines Spinoza, eines Kant zu einer allgemeinen Regel für die gebrechliche Menschheit machen wollte; ein Handeln, dessen Motiv das eigne[648] Glück ist, sollte die Bezeichnung sittlich gar nicht verdienen; er hätte nur ausdrücklich hinzufügen müssen, daß solche Handlungen auch die Bezeichnung unsittlich nicht verdienen; es wäre nicht so übel gewesen, wenn so der Rigorismus in sein Gegenteil verkehrt worden wäre, wenn man die Handlungen der gebrechlichen Menschen gar nicht mehr sittlich gepredigt hätte.
Halten wir an dem einfachen Sprachgebrauche fest, daß das Glück im subjektiven Sinne irgendwie sich immer auf Befriedigung menschlichen Willens beziehe, so verstehen wir nicht mehr, wie sich die Philosophen vieler Jahrhunderte mit Superlativen herumschlagen konnten, an welchen das arme bißchen Menschenglück gemessen wurde. Da wurde aus dem Wörtchen gut, das adjektivisch wieder nur bedeutete, was ein individuelles Bedürfnis befriedigte, unter dem Namen höchstes Gut ein unverständlicher Superlativ gebildet; das höchste Gut war dann der sittliche Endzweck, von Gott gesetzt, oder auch Gott selbst, war die Tugend, war das Glück. Und man dachte sich wahrscheinlich etwas dabei. Im Gegensatze dazu bewies Schopenhauer bekanntlich, indem er den sinnlosen Superlativ Pessismismus brauchte, daß alle Befriedigung, oder was man gemeinhin Glück nennt, eigentlich und wesentlich immer nur negativ und durchaus nie positiv wäre. »Denn Wunsch, d.h. Mangel, ist die vorhergehende Bedingung jedes Genusses. Mit der Befriedigung hört aber der Wunsch und folglich der Genuß auf« (W. a. W. I. 376). Mit gleicher Logik hätte er schließen können: es gibt keinen Rausch, weil auf den Rausch der Kater folgt.
Daß das Glück ein relativer Begriff sei, daß man sich bei seiner Definition vor Superlativen hüten müsse, das hat schon der recht kluge Platner gewußt, der in seinen Aphorismen (II. § 28) lehrt: »Glückseligkeit im psychologischen Sinne des Wortes ist der Zustand angenehmer Empfindungen. Im praktischen Sinn ist es die Mehrheit angenehmer Zustände in der Totalität des Lebens.«
Diese Relativität des subjektiven Glücks oder des Glücksgefühls hat schon vor Platner Voltaire klargemacht, in seiner[649] Weise, oberflächlich und dennoch vielleicht besser als mancher Philosoph. In dem Artikel: Souverain bien. »Le bonheur est une idée abstraite, composée de quelques sensations de plaisir. Platon, qui écrivait mieux qu'il ne raisonnait, imagina son Monde archétype, c'est-à-dire, son monde original, ses idées générales du beau, du bien, de l'ordre, du juste, comme s'il y avait des êtres éternels appelés ordre, bien, beau, juste, dont dérivassent les faibles copies de ce que nous paraît ici-bas juste, beau et bon. C'est donc d'après lui que les philosophes ont recherche le souverain bien, comme les chimistes cherchent la pierre philosophale: mais le souverain bien n'existe pas plus que le souverain carré ou le souverain cramoisi; il y a des couleurs cramoisies, il y a des carrés: mais il n'y a point d'être général qui s'appelle, ainsi. Cette chimérique manière de raisonner a gâté longtemps la philosophie.... Si on donne le nom de bonheur a quelques plaisirs répandus dans cette vie, il y a du bonheur en effet.... II n'y a que le seul cas du plaisir actuel et de la douleur actuelle où l'on puisse comparer le sort de deux hommes, en faisant abstraction de tout le reste... mais on ne peut aller au-delà avec sûreté; on ne peut évaluer l'être d'un homme avec celui de l'autre; on a point de balance pour peser les désirs et les sensations.«
Über die Relativität des Glücks und über seine Unbeständigkeit haben sich unzählige Schriftsteller ausgesprochen und auch an sogenannten Sprichwörtern über das Glück (Wander zählt deren 1025 auf) fehlt es nicht. Die meisten dieser von Volk zu Volk gewanderten Weisheiten und Sprichwörter lassen sich von der Sprache verführen, die Göttin Fortuna, d.h. das objektive Glück oder den Zufall, mit dem subjektiven Glücksgefühle zu verwechseln. Demgegenüber fühle ich mich zu einer Überlegung darüber verpflichtet, ob diese beiden Bedeutungen des Wortes Glück so wenig miteinander zu tun haben wie Bauer (Landmann) und Bauer (Käfig), oder ob sich beide Bedeutungen unter irgend einen Oberbegriff fassen lassen. Für die erste Annahme spräche die Erwägung, daß das Glücksgefühl gar sehr der Wirklichkeitswelt angehört (trotz [650] Schopenhauer), die Göttin Fortuna aber, der Zufall, durchaus nicht. Man achte nur darauf, daß Glückseligkeit, Glück, Lust, Freude, Heiterkeit nur verschiedene Grade des gleichen Gefühls bezeichnen, oft auch nur verschiedene Modewörter für das gleiche Gefühl waren, und daß auch noch der geringste Grad dieses Gefühls die wirkliche Gesundheit des Leibes beeinflussen kann. Für die zweite Annahme wäre ein seltsamer Umstand beachtenswert: daß nämlich das objektive wie das subjektive Glück erst nach dem Interesse des Individuums so benannt wird. Das subjektive Glück oder das Glücksgefühl muß irgend einem Interesse, irgend einem unbewußten Willen entsprechen; und ich korrigiere damit ein wenig die Erklärung, daß das subjektive Glück immer mit einer Willensbefriedigung zusammenhänge; Interesse aber ist immer eine Vorbedingung, da selbst die sublimiertesten Glücksgefühle, wie die Freude an der Natur und die Lust an einer guten Handlung, gar nicht aufkommen könnten, wenn nicht ein Interesse an der Natur, an Edelmut vorhanden wäre. Nun ist aber selbst die mathematische Berechnung, mit deren Hilfe man die Chancen des Zufalls beim Glücksspiel bestimmt, vom Interesse abhängig; denn die Bezeichnungen günstige und ungünstige Fälle, die man für die Wahrscheinlichkeitsrechnung eingeführt hat, bringen ja ganz ungehörige Vorstellungen in die Wissenschaft hinein und hätten längst durch die Bezeichnungen interessierende und gleichgültige Fälle ersetzt werden müssen. (Vgl. Art. Zufall.)
Ganz befriedigend ist aber dieser Versuch leider nicht, das objektive und das subjektive Glück unter den Oberbegriff des Interesses zu fassen. Immer bleibt es eine Willkür der Sprache, das unter allen Umständen angenehme Glücksgefühl mit dem gleichen Worte zu benennen wie die Umstände, die das individuelle Interesse fördern oder hemmen können. Wir bezeichnen ja auch Gewinn und Verlust nicht mit dem gleichen Worte. Doch die Sprache ist nun einmal irrational und hat sich sogar den Scherz gemacht, ein bloßes Mittel des objektiven und des subjektiven Glücks, den Geldbesitz, vielfach mit dem gleichen Worte zu beehren, wie das Glück selbst: fortune kann im Französischen[651] wie im Englischen ein Kapitalvermögen bedeuten, unsre pedantische Übersetzung Glücksgüter ist schon tugendlicher, weil sie auf die Unterscheidung zwischen den Gütern der unsteten Göttin Fortuna und den bleibenden Gütern hinweist.
Eine letzte Betrachtung wird das subjektive Glück begrifflich noch weiter vom objektiven Glücke entfernen. Die Franzosen nennen ein großes Vermögen une fortune; daß der glückliche Zufall oder das objektive Glück die Ursache des subjektiven Glücksgefühls sei, das wird dabei wie ein Axiom vorausgesetzt. Alle Weisen aller Zeiten haben aber gewußt, daß dieses Axiom unwahr ist. Nicht von äußern Umständen, nicht von äußern Zufällen hängt das Glück, die Freude, die Heiterkeit eines Menschen ab, sondern von seinem Charakter, genauer von dem, was man heute noch mit einem sehr langlebigen Worte sein Temperament nennt; und es wäre fast nur ein Wortspiel, wenn man dagegen anführen wollte, daß doch der individuelle Charakter, insbesondere das Temperament, vom Zufall der Geburt, vom Zufall der Zeugung entschieden worden ist.
Wenn nur nicht selbst diese vorsichtige Erklärung des. Glücksbegriffs noch über die Möglichkeit der Erkenntnis hinausginge. Der grimmige Swift hat eine noch resigniertere Definition vom Glücke gegeben, im 9. Abschnitt seines Märchens von der Tonne. Er verhöhnt da alle Systemmacher, die er für wahnsinnig erklärt. Nur Tollheit könne auf Grund. eines Systems Veränderungen in der Regierung, der Philosophie und der Religion herbeiführen wollen; dabei komme die Phantasie der Vernunft zwischen die Beine. »Wenn wir eine genaue Untersuchung anstellen, was insgemein durch die Glückseligkeit in Absicht auf den Verstand und die Sinnen verstanden werde, so werden wir finden, daß alle ihre Eigenschaften: und Zufälligkeiten in dieser kurzen Beschreibung eingeschlossen sind: die Glückseligkeit ist derjenige Zustand, da man ununterbrochen wohl und geschickt betrogen wird.« Ich gebe die Stelle absichtlich in einer beinahe zeitgenössischen Übersetzung. (Satyrische und ernsthafte Schriften von Dr. Jonathan Swift, III, S. 188.)[652]
Brockhaus-1809: Christoph von Gluck
DamenConvLex-1834: Gluck, Christoph, Ritter von
Kirchner-Michaelis-1907: Glück / Glückseligkeit
Meyers-1905: Glück [1] · Glück [2] · Gluck · Glück auf!
Pagel-1901: Gluck, Themistokles
Pataky-1898: Glück, Walli · Glück, Elisabeth
Pierer-1857: Glück [1] · Glück [2] · Gluck · Glück auf!
Buchempfehlung
Als einen humoristischen Autoren beschreibt sich E.T.A. Hoffmann in Verteidigung seines von den Zensurbehörden beschlagnahmten Manuskriptes, der »die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraction des Humors wie in einem Spiegel auffassend reflectirt«. Es nützt nichts, die Episode um den Geheimen Hofrat Knarrpanti, in dem sich der preußische Polizeidirektor von Kamptz erkannt haben will, fällt der Zensur zum Opfer und erscheint erst 90 Jahre später. Das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren, der Jurist Hoffmann ist zu dieser Zeit Mitglied des Oberappellationssenates am Berliner Kammergericht, erlebt er nicht mehr. Er stirbt kurz nach Erscheinen der zensierten Fassung seines »Märchens in sieben Abenteuern«.
128 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro