Dampfkesselexplosion

[452] Dampfkesselexplosion, ein fast momentanes Zerreißen oder Zerspringen eines Dampfkessels, das eintritt, wenn das Material desselben dem inwendigen Dampfdruck nicht mehr genügenden Widerstand leistet, und wobei Bruchstücke in der Regel mit geschoßartiger Heftigkeit auf weite Entfernungen fortgeschleudert, mächtige Ergießungen siedenden Wassers erzeugt und oft erschreckende Verheerungen angerichtet werden. Obgleich es nicht bei allen Explosionen möglich ist, die Ursachen genau zu ermitteln, so steht doch fest, daß in den meisten Fällen die folgenden Umstände als solche angesehen werden können: allmähliche, örtliche Blechschwächungen, schlechtes Material, zu hohe Dampfspannung, Wassermangel mit seinen Folgeerscheinungen. Die größte Zahl der Explosionen hat ihren Grund in Wassermangel.

Ein Kessel kann bei fehlerhafter Konstruktion, Anwendung schlechten Materials oder unverständiger Wartung so geschwächt und abgenutzt werden, daß schon beim gewöhnlichen Dampfdruck eine Explosion möglich ist. Derartige Schwächungen des Kessels sind Risse, die er durch wiederholte Biegungen der Bleche, wie sie mit Temperaturschwankungen verbunden sind, erhalten kann, sowie Zerfressung (Korrosionen) durch unreines Speisewasser oder Rosten von innen oder außen. Hat sich erst einmal ein großer Riß gebildet, so kann durch denselben plötzlich eine Menge Dampf austreten, und es entsteht im Kessel eine momentane Druckverminderung, die bei der verhältnismäßig hohen Wassertemperatur eine starke, plötzliche Dampfentwickelung, verbunden mit mächtigem Aufwallen des Wassers, zur Folge hat, so daß der Kessel zerrissen wird.

Lediglich durch allmähliche Spannungssteigerung kann ein Kessel nur bei grober Unachtsamkeit des Heizers oder bei einer unglücklicherweise gleichzeitig eintreffenden Unbeweglichkeit der Sicherheitsventile und des Manometers explodieren. Dagegen sind sehr gefährlich die plötzlichen Spannungssteigerungen, wie sie auf verschiedene Weise herbeigeführt werden können. Vor allem ist das Glühendwerden der Kesselwandungen doppelt gefahrbringend, weil es einerseits leicht zu einer rapiden Dampfentwickelung Veranlassung geben kann, anderseits aber auch die Festigkeit des Kessels vermindert (da glühendes Eisen viel weniger widerstandsfähig ist als kaltes). Die Kesselwände können nun dadurch stellenweise oder ganz überhitzt oder glühend werden, daß infolge von Wassermangel (dieser tritt am häufigsten bei zu lange verzögerter Speisung durch die Schuld des Wärters, oder bei unvorhergesehenem Undichtwerden oder Lecken des Kessels ein) der Wasserstand bis unter die obere Grenze der Heizkanäle sintt, oder dadurch, daß sich auf der Kesselwandung eine dicke, die Wärmeleitung stark hemmende Kesselsteinschicht gebildet hat, oder auch dadurch, daß sich unter einer Schicht von losgelösten Kesselsteinstücken eine Dampf blase entwickelt, die den Wasserzutritt verhindert. Gewöhnlich reicht das bloße Glühen von Teilen der Kesselwände noch nicht aus, um eine Explosion hervorzurufen. War Wassermangel die Ursache des Erglühens, so kann das Nachspeisen von frischem Wasser eine Explosion hervorbringen. Dieselbe kann auch eintreten. wenn der Kesselstein, der die Ursache des Erglühens der Kesselwand war, plötzlich Sprünge bekommt, durch die das Kesselwasser zu dem glühenden Eisen tritt, oder wenn die erwähnte Dampfblase zufällig einen Abzug erhält und dadurch dem Wasser Platz macht. Durch Herausreißen des Feuers und Öffnen der Feuertüren und der Reinigungstüren der Feuerzüge (wobei kalte Luft unter dem Kessel hinwegstreicht) kann man einen glühenden Kessel abkühlen; dabei muß jede Dampfabführung vermieden und dem Sicherheitsventil die Abführung des noch entstehenden Dampfes überlassen werden. Vor allen Dingen soll man, auch wenn das Glühen durch Wassermangel herbeigeführt ist, kein Wasser einführen, bevor der Kessel gehörig abgekühlt ist. Jedenfalls muß ein solcher Kessel, bevor er wieder in Betrieb gesetzt wird, sorgfältig untersucht und nötigenfalls repariert werden.

Nach Boutigny tritt bei der Wasserbenetzung der erglühten Kesselwandungen zunächst der sogen. sphäroidale Zustand (Leidenfrosts Phänomen) ein, d. h. das Wasser bleibt über den glühenden Stellen, ohne diese zu berühren, in Form von kugelförmigen Tropfen stehen, die langsam verdampfen und erst dann, wenn die Eisenfläche sich bis auf einen gewissen Grad abgekühlt hat, das Eisen berühren und fast momentan in Dampf verwandelt werden. Diese Anschauung wird jedoch kaum mehr als zutreffend erachtet. Außer dem Erglühen der Kesselwande wurde (nach Dufour) besonders auch der Siedeverzug als eine Ursache plötzlicher starker Dampfentwickelung und dadurch herbeigeführter D. angesehen. Doch werden diese Dampfkesselexplosionen jetzt dem Umstande zugeschrieben, daß durch das von neuem angefachte Feuer die Kesselplatten ziemlich schnell und starl, die darüberliegende Kesselsteinschicht viel langsamer erhitzt und so durch die verschiedene Ausdehnung ein Reißen und Abspringen des Kesselsteins herbeigeführt und die glühende Kesselwand der Wasserberührung ausgesetzt wird, was dann eine heftige Dampfentwickelung und die D. verursacht. Sodann können sogen. örtliche Wärmestauungen, die ohne Erglühen des Bleches Ausbauchungen oder Einbeulungen der Kesselwände erzeugen, die mittelbare Ursache von Explosionen bilden. Wärmestauungen treten auf infolge einer Störung im Wärmeübergang zwischen Kesselwand und Wasser durch übermäßige Anstrengung einzelner Heizflächenteile. Begünstigt wird[452] deren Entstehen durch Verwendung öl- oder fetthaltigen Speisewassers.

Vorsichtsmaßregeln zur Vermeidung von Dampfkesselexplosionen bestehen vor allem darin, daß nur gutes Material verwendet und die größte Sorgfalt bei allen Arbeiten des Kesselbaues beobachtet wird, daß schon gebrauchte Kessel nie ohne vorherige Untersuchung in Betrieb gesetzt, und daß die Kessel tüchtigen und gewissenhaften Wärtern anvertraut werden. Diese haben ihrerseits dafür zu sorgen, daß die Sicherheitsventile, Wasserstandszeiger, Speiseapparate etc. in gutem Zustande bleiben, daß die Feuerung regelmäßig geschieht, daß alle Stöße und Erschütterungen der Kessel vermieden und die Dampf- und Sicherheitsventile nur langsam geöffnet werden, daß alle schlechten Stellen, Sprünge und Risse rechtzeitig repariert werden, daß stets hinreichender Wasservorrat im Kessel ist, und daß eine oftmalige und sorgfältige Reinigung vom Schlamm und Kesselstein vorgenommen wird.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die von 1879–1900 in Deutschland stattgehabten Dampfkesselexplosionen und die dabei verunglückten Personen:

Tabelle

Da beispielsweise 1879 rund 60,000,1899 dagegen rund 139,300 Dampfkessel nachgewiesen wurden, so erscheint das Verhältnis der Explosionen zum Kesselbestand in neuerer Zeit entschieden günstiger als früher. Vgl. Fischer, Zur Geschichte der Dampfkesselexplosionen (»Dinglers Journal«, 1874, Bd. 213, S. 296); Kosak, Die Ursachen der D. und die Mittel zu ihrer Verhütung (Wien 1876), und die Literatur bei Artikel »Dampfkessel«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 452-453.
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