Girard

[862] Girard (spr. schirār), 1) Stephen, Philanthrop, geb. 24. Mai 1750 in der Nähe von Bordeaux als Sohn eines Schiffskapitäns, gest. 26. Dez. 1831 in Philadelphia, erwarb sich in Amerika als Seefahrer und Kaufmann ein bedeutendes Vermögen. Als Privatmann zeitlebens die Rauheit und Bedürfnislosigkeit eines alten Seemannes zeigend, war er in öffentlichen Angelegenheiten von einer beispiellosen Freigebigkeit. Diese kam namentlich der Stadt Philadelphia zugute. Einen Teil seines etwa 40 Mill. Doll. betragenden Nachlasses bestimmte er für Errichtung des seinen Namen tragenden Girard-College, eins der bedeutendsten Erziehungshäuser der Welt (eröffnet 1. Jan. 1848), in dem jetzt über 1600 Zöglinge (Waisenkinder aus Philadelphia, Pennsylvanien und New Orleans) Aufnahme, Erziehung und Pflege finden können. Der Religionsunterricht wie die Sonntagsandacht wird nicht von Geistlichen, sondern von den Lehrern erteilt und beschränkt sich fast ganz auf Moralphilosophie. Nach einer Bestimmung des Testaments ist keinem Geistlichen der Eintritt in die Anstalt, auch nur zur Besichtigung, gestattet. G. wollte nicht, daß sein segensreiches Unternehmen der Zankapfel des Sektenwesens werde. Am 20. Mai 1897 wurde seine Statue auf der City Hall Place in Philadelphia enthüllt. Vgl. Ingram, Life and character of S. G. (3. Aufl., Philad. 1886); »Handbook of Girard-College« (hrsg. von Scattergood, 1888); »Girard-College, semi-centennial, 1848–1898« (1898).

2) Pierre Simon, Ingenieur, geb. 4. Nov. 1765 in Caen, gest. 30. Nov. 1836 in Paris, wurde 1789 Ingénieur des ponts et chaussées, begleitete die Expedition Bonapartes nach Ägypten als Mitglied der wissenschaftlichen Kommission und leitete dann 1802–1820 als Ingénieuren chef des ponts et chaussées den Bau des Kanals, der das Wasser des Ourcq bis Paris führen sollte. 1819 wurde er Direktor der städtischen Gasbeleuchtung in Paris. Er schrieb: »Traité analytique de la résistance des solides, etc.« (Par. 1798; deutsch von Krönke, Gießen 1803); »Essai sur le mouvement des eaux courantes et la figure qu'il convient de donner aux canaux« (das. 1804); »Mémoires sur le canal de l'Ourcq et la distribution de ses eaux« (das. 1831–45, 2 Bde.).

3) Jean Baptiste, als Franziskanermönch Père Grégoire, schweizer. Pädagog, geb. 17. Dez. 1765 in Freiburg (Schweiz), gest. daselbst 6. März 1850, ward 1781 in Luzern Franziskaner, studierte in Würzburg Theologie, die er mit philosophischem Sinn auffaßte, war, nachdem er schon vorher als Pfarrer und Hilfsarbeiter bei der helvetischen Regierung zu Bern viel für das Schulwesen geleistet hatte, 1804–24 Direktor der Primärschulen seiner Vaterstadt, wurde 1824 als Geistlicher nach Bern, bald darauf als Professor der Philosophie an das Lyzeum zu Luzern berufen und kehrte 1834 in das Kloster seiner Vaterstadt zurück. Die Pestalozzischen Ideen über Erziehung nahmen, seit er (1809) im amtlichen Auftrag der Tagsatzung die Anstalt zu Iferten mit andern besucht und über sie berichtet hatte, ihn ganz für sich ein. Von den Jesuiten und ihren Anhängern angefeindet, fand er sonst viel Anerkennung. 1844 erhielt er von der französischen [862] Akademie den Monthyonschen Tugendpreis und wurde 1845 auswärtiges Mitglied des Instituts. Seine Hauptschriften sind: »De l'enseignement régulier de la langue maternelle dans les écoles et la famille« (Par. 1844, 4. Aufl. 1873, von der französischen Akademie gekrönt; deutsch von Pabst, Biel 1846) und »Cours éducatif de langue maternelle« (Par. 1840–48, 6 Bde.). Vgl. Daguet, Le Père Girard et son temps (Par. 1896, 2 Bde.).

4) Philippe Henride, Mechaniker, geb. 1. Febr. 1775 zu Lourmarin im Depart. Vaucluse, gest. 26. Aug. 1845 in Paris, war in verschiedenen Berufskreisen tätig, flüchtete während der französischen Revolution, führte ein äußerst wechselvolles Leben, kehrte unter Napoleon nach Paris zurück und konstruierte 1810 die erste brauchbare Flachsspinnmaschine, die er beständig verbesserte. Er konstruierte auch einen Röhrenkessel, eine rotierende Dampfmaschine, eine Dampfkanone, eine mit einer Flüssigkeit gefüllte Glaslinse für achromatische Fernrohre etc. 1815 nach Österreich berufen, betrieb er bis 1825 eine Spinnerei zu Hirtenberg bei Wien. Später leitete er das Bergwesen in Polen. In Avignon wurde ihm ein Denkmal errichtet.

5) Jules, Philolog, geb. 24. Febr. 1825 in Paris, studierte seit 1844 an der Normalschule daselbst und wurde 1848 Mitglied der französischen Schule in Athen, 1851 Professor der Rhetorik in Lille, 1853 in Montpellier, 1854 Professor der griechischen Literatur an der Normalschule zu Paris, 1873 Mitglied der Akademie der Inschriften, 1874 Professor der griechischen Poesie an der Faculté des lettres. Er schrieb: »Mémoire sur l'île d'Eubée« (1852); »De Megarensium ingenio« (1854); die Preisschrift »Essai sur Thucydide« (1860, neue Ausg. 1884); »Hypéride, sa vie et ses écrits« (1861); »Un procès de corruption chez les Athéniens« (1862); »Le sentiment religieuxen Grèce« (1869, 3. Aufl. 1887, preisgekrönt); »Etudes sur l'éloquence attique« (1874, 2. Aufl. 1883); »Etudes sur la poésie grecque« (1884).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 862-863.
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