Appellation

[100] Appellation ist ein Rechtsmittel, durch welches eine Partei erklärt, daß sie sich bei einem richterlichen Bescheide nicht beruhige, sondern sich durch denselben für beschwert halte und darum nochmalige Prüfung und Entscheidung von einem Gerichte höherer Instanz verlange. Die Appellation bringt die Sache stets in die Hände eines höhern Richters; sie hat, wie man es nennt, Devolutiveffect und unterscheidet sich dadurch von andern Rechtsmitteln, namentlich von der Leuterung und der Revision, welche eine nochmalige Prüfung der Sache vor demselben Gerichte beantragen. Der Appellation kann man sich gegen jede richterliche Verfügung bedienen, durch welche man, wenn sie Rechtskraft erlangte, einen Nachtheil erleiden würde; allein bei Verfügungen, welche sich blos auf die Leitung des Processes beziehen, findet keine Appellation statt, da sie im Laufe des Processes immer wieder abgeändert werden können. Darum ist in der preuß. Gerichtsordnung die Appellation nur bei Definitiverkenntnissen gestattet, obgleich sie nach gemeinem deutschen Rechte auch bei Interlocuten erlaubt ist. Zur Appellation ist aber fast überall erfoderlich, daß der Werth des Streitgegenstandes eine gewisse Höhe, die sogenannte Appellationssumme, erreiche. Dieselbe ist von den verschiedenen Particulargesetzgebungen sehr verschieden bestimmt und richtet sich danach, ob das Gericht, an welches appellirt wird, nur eine mittlere oder ob es die höchste Instanz ist. Bei den obersten Instanzen schwankt in den verschiedenen deutschen Staaten die Höhe der Appellationssumme zwischen 100 und 500 Thalern. Im einzelnen Falle kann eine solche Bestimmung allerdings sehr hart sein, da eine Summe, wenn sie die Höhe der Appellationssumme auch nicht erreicht, doch für den Einzelnen so wichtig sein kann, daß es für ihn wünschenswerth ist, wegen derselben noch ein Erkenntniß von einem höhern Gericht einzuholen; allein im Allgemeinen wird dadurch doch verhindert, daß die Proceßkosten den Werth des streitigen Gegenstandes nicht ganz in Anspruch nehmen.

Was die Form der Appellation anbetrifft, so muß der Appellirende dieselbe binnen der gesetzlichen zehntägigen Nothfrist anwenden oder interponiren, d.h. innerhalb zehn Tagen vom eröffneten Urtheile an muß er die Erklärung abgeben, daß er sich durch das Urtheil beschwert glaube und sich [100] des Rechtsmittels, der Appellation, zu bedienen gesonnen sei. Zugleich mit dieser Erklärung muß er an den Richter die Bitte stellen, ihm die Appellation zu gestatten und seinen Gegner, den Appellaten, von derselben in Kenntniß zu setzen. Nach Ablauf der Nothfrist von zehn Tagen, welche die Gesetzgebungen mancher Länder auf dreißig Tage verlängert haben, wird die Appellation nicht mehr angenommen und, wie man es zu nennen pflegt, von dem Richter für desert erklärt. Neben der Einwendung muß der Appellirende noch ein Gesuch an den Richter ergehen lassen um Ertheilung der sogenannten Apostel, d.h. des Zeugnisses, daß er bei der Einwendung der Appellation alle gesetzlichen Förmlichkeiten und Nothfristen gehörig beobachtet habe, sowie um Einsendung der bisher ergangenen Acten an das betreffende Obergericht. Hat der Appellirende die Apostel erhalten, so muß er die Appellation bei dem Obergerichte einführen oder introduciren und zwar binnen der Frist, welche ihm der Richter in der Apostel hierzu gesetzt hat. Die Einführung besteht darin, daß der Appellirende den Oberrichter benachrichtigt, daß er Appellation an ihn eingewendet habe und ihn bittet, dieselbe anzunehmen. Alsdann muß die Appellation gerechtfertigt, d.h. die Beschwerdepunkte entwickelt und ausgeführt werden. Jenachdem nun diese Rechtfertigungsschrift, über welche auch der Appellat vernommen wird, den Richter überzeugt, daß die Beschwerden des Appellirenden gegründet oder nicht gegründet seien, wird von ihm in seinem Erkenntnisse die Verfügung des Unterrichters entweder bestätigt oder abgeändert. Dieses Erkenntniß des Richters über die Beschwerden heißt der Relevanzbescheid.

Wie in privatrechtlichen Streitigkeiten, so kann auch gegen peinliche Erkenntnisse appellirt werden. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß hier die Zulässigkeit der Appellation nicht an die Beobachtung solcher Förmlichkeiten und Nothfristen gebunden sein kann, wie im Civilprocesse. So lange das Urtheil noch nicht vollstreckt ist, darf der Verurtheilte Appellation einwenden, und selbst wenn er früher das Rechtsmittel der Appellation gänzlich verworfen hätte. Im Criminalprocesse stehen sich zwei Parteien gegenüber, der Angeschuldigte auf der einen und der Staat auf der andern Seite; jeder von ihnen hat ein Recht, zu verlangen, daß keine andere Strafe ausgesprochen werde, als die, welche das Gesetz vorschreibt. Daß der Verbrecher sich über ein Urtheil beschweren dürfe, ist unzweifelhaft; das Gericht, an welches appellirt wird, hat in diesem Falle die Haltbarkeit der Beschwerde zu prüfen und in Folge dieser Prüfung das frühere Urtheil entweder zu bestätigen oder zu mildern, in keinem Falle aber zu schärfen. Ob aber der Staat sich beschweren könne, wenn nach seiner Meinung einem Verbrecher eine zu gelinde Strafe zuerkannt worden, ist eine Frage, welche ebenso oft bejaht als verneint worden ist.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 100-101.
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