[101] Appenzell, der dreizehnte Canton der schweizer. Eidgenossenschaft, im östl. Theile der Schweiz, ist von dem Gebiete des Cantons St.-Gallen umgeben und hat einen Flächengehalt von 71/4 ! M. mit 52,500 Einw. Ein Nebenzweig der Alpenkette, in welchem sich der pyramidenförmige Sentis, 7000, und der Kamor, 5400 F. hoch, erheben, begrenzt ihn gegen Mittag und das Hauptgewässer desselben ist die Sitter. Im Gebirge hindert das Klima den Ackerbau und erst 1808 wurden daselbst Versuche mit dem Anbau der Kartoffeln gemacht; dagegen weiden im Sommer auf den Alpen- und Thalwiesen gegen 23,000 Kühe und eine Menge Schafe, Ziegen und Pferde. Im übrigen Theile des Landes, vorzüglich hinter der Sitter, wo sich das Land nach dem fruchtbaren [101] Rheinthale hinneigt, wird Getreide, Obst und selbst etwas Wein gebaut. Außer der Viehzucht beschäftigen sich die Einwohner mit Verfertigung von Leinwand und Baumwollenwaaren, Musselin, Barchent, Schleier und Flor; auch besitzen sie zahlreiche Färbereien, Bleichen und Gerbereien. Der Canton trat 1513 in die Eidgenossenschaft und ist seit der Reformation politisch in zwei Theile geschieden; als nämlich durch Zwingli ein Theil der Appenzeller sich der neuen Lehre zuwandte, während ein anderer dem Glauben der Väter treu blieb, kamen sie 1597 dahin überein, das Land zu theilen; die Katholiken behielten das Gebirgsland, Innerrhoden, und die Reformirten das äußere Land, Außerrhoden; in jenem leben gegenwärtig 19,500 katholische, in diesem 43,000 reformirte Einwohner. In Innerrhoden sind die Bewohner fast ausschließlich Hirten; jeder lebt einsam auf seiner Alp oder in der Hütte, bis ihn endlich die Einsamkeit zu drücken anfängt, wo er dann die Menschen aufsucht und unter sie seine Lebensfülle bringt und das Bedürfniß, sie auszugießen; in Scherzen, Spiel und Tanz ist er unerschöpflich. Auf ihren Alpen verfertigen diese Hirten die feinsten und schönsten Stickereien. Die Bewohner von Außerrhoden beschäftigen sich mehr mit Fabriken, Manufacturen und Handel, sind außerordentlich gewerbfleißig und thätig und erfreuen sich großen Wohlstandes. Im Allgemeinen haben die Appenzeller vielen natürlichen Witz, der sich bei jeder Gelegenheit geltend macht; auch lebt noch unter ihnen jener freiheitsstolze Sinn und fröhliche Muth, mit dem sie einst von ihren Bergen niederstiegen gegen die Herren des Abts von St.-Gallen und die Ritter aus Schwaben und Tirol, und den sie auch 1798 gegen die Franzosen bewiesen. Von ihrer Körperkraft und Gewandtheit zeugt das Steinstoßen, ein ihnen eigenthümliches Spiel, wobei öfters Centner schwere Steine von einem Manne aus freien Händen weit fortgeworfen werden. Die Verfassung beider Rhoden ist rein demokratisch; die Landesgemeinde, an welcher jeder Appenzeller, der das 16. Jahr erreicht hat und einen Säbel als Zeichen seiner Wehrhaftigkeit trägt, Theil nehmen kann, ist die höchste Behörde und versammelt sich jährlich, um einen Landamman und die übrigen Beamten zu wählen, Gesetze zu geben oder zu ändern und alle wichtigern Angelegenheiten zu berathen und zu ordnen. Die vornehmsten Orte des Cantons sind: der Flecken Appenzell mit 3000 Einw., an der Sitter, Hauptort von Innerrhoden, und in Außerrhoden Trogen mit 2200 Einw., einem Heilbade und guten Schulanstalten; Herisau mit 7000 Einw., der volkreichste und betriebsamste Ort des Cantons; Gais, bekannt durch seine treffliche Anstalten für Molkenkuren und das nahe Schlachtfeld »Am Stoß«, wo die Appenzeller 1405 über die Östreicher siegten, und der Speicher, wo 1403 der Abt von St.-Gallen, der A. unterjochen wollte, geschlagen wurde.