Contumacia

[467] Contumacia oder Ungehorsam heißt in der Rechtssprache jede Nichtbefolgung eines richterlichen Befehls, welche die mannichfachsten Nachtheile nach sich ziehen kann. Die darüber geltenden Grundsätze kommen besonders im Civilproceß häufig zur Anwendung, wo sich der Ungehorsam vorzüglich bei Nichtbeobachtung einer richterlichen Vorladung ereignet. War diese blos eine dilatorische, so hat der Nichterschienene die Kosten des dadurch vereitelten Termins, den sogenannten allgemeinen Nachtheil des Ungehorsams, zu tragen; war sie aber eine peremtorische (s. Citat), so wird außerdem die Handlung, zu welcher der Contumax oder Ungehorsame vorgeladen war, als geschehen oder als unterlassen angenommen, je nachdem es ihm am nachtheiligsten ist, und dies sind die besondern Nachtheile des Ungehorsams. War z.B. der ausgebliebene Beklagte zur Einlassung auf die Klage vorgeladen, so wird die Klage für zugestanden angenommen, der Kläger ist des Beweises überhoben und der Beklagte kann verurtheilt werden; versäumte aber der Kläger die Beweisfrist, so wird der Beweis für nicht geführt angenommen und er verliert den Proceß. Das Eintreten des Ungehorsams setzt aber voraus, daß die Vorladung gültig erlassen [467] und gehörig behändigt, daß der anberaumte Termin oder die gestattete Frist wirklich verstrichen und eine Ungehorsamsbeschuldigung von Seiten des Gegners stattgefunden habe. Unterläßt es dieser, den Contumax des Ungehorsams anzuklagen, so wird angenommen, daß er ihm die Strafe erlassen und auf die Vortheile, welche für ihn aus dessen Nachlässigkeit entstehen, verzichten wolle. Letzteres findet indeß nicht statt bei den Nothfristen oder sogenannten Fatalien, welche schon durch ihren bloßen Ablauf einen unwiderbringlichen Verlust nach sich ziehen, wie z.B. die zehntägige Frist, innerhalb welcher eine Appellation eingewandt werden muß, und bei den in der Ladung angedrohten Strafen, z.B. wenn Jemand bei 5 Thlr. Strafe vorgeladen wurde. In Criminalsachen ist jedoch dieses Verzichten auf ein Recht nicht anwendbar, indem kein Unschuldiger, auch wenn er wollte, bestraft werden darf, und wird auch in manchen Fällen ein besonderes Verfahren, das Contumacialverfahren, gegen ihn eingeleitet und der Angeklagte in contumaciam, d.h. wegen Nichterscheinen, verurtheilt, so wird doch ein neues Verfahren nöthig, wenn er später sich stellen sollte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 467-468.
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