[164] Geier ist eine nur in der alten Welt bekannte Gattung der Raubvögel, welche sich durch einen starken, dicken Schnabel auszeichnet, der an der Spitze hakig und zusammengedrückt ist.
An der Wurzel des Schnabels stehen die Nasenlöcher. Die Zunge ist an der Spitze gespalten, Kopf und Hals sind mit wenigen Flaumenfedern besetzt und der Hals unten mit einem Kragen von langen Federn oder Flaumen umgeben. Ihr Flug ist langsam, in einer Schneckenlinie gekrümmt; sie erheben sich aber bis in die höchsten Regionen. Die Nester bauen sie auf unzugänglichen Felsen. Dorthin tragen sie in dem Kropfe ihren Jungen Nahrung zu. Sie rauben lebendige Thiere, gehen aber auch dem Aase nach und werden hierdurch namentlich in heißen Ländern nützlich, wo ohne sie die Luft von den todten Thieren verpestet werden würde. Der gemeine oder graue Geier hat einen bläulichen über die Hälfte nackten Hals und Hinterkopf. Der weiche Flaum auf der nackten Haut ist aschfarben, vorn am Halse aber dunkelbraun. Wangen und Augenkreise sind dunkelbraun. Am Hinterkopfe sind die Flaumfedern aufgerichtet und die längern am Halse bilden nach der Brust zu einen hellgrauen herzförmigen Kragen. Zwei lange graue Federbüschel zieren die Schultern. Er hat ferner einen 4 Zoll langen schwärzlichen, mit einer dunkelblauen Wachshaut besetzten Schnabel, fleischfarbene Beine mit schwarzen Klauen, graubraunen Oberleib und etwas hellere Brust, Bauch und Schenkel, schwarze, lichtgrau geränderte Schwungfedern und graubraunen Schwanz. Das Weibchen zeichnet sich von dem Männchen durch dunklere Farbe und bedeutendere Größe aus. Ein ausgewachsener Geier hat eine Flügelweite von acht Fuß und mißt von der Schnabelspitze bis zum Schwanzende 3 Fuß 6 Zoll. Nur selten kommt dieser Raubvogel nach Deutschland; seine Heimat sind die hohen Gebirge im Süden Europas und Asiens. Er ist träg, traurig und ungeschickt und er läßt, wenn er sich vollgefressen, den Menschen so nahe kommen, daß man ihn erschlagen kann.
Etwas kleiner als der gemeine ist der nachstehend abgebildete ägypt. Geier, auch der schmuzige Aasvogel genannt. Er hat nur eine Flügelweite von 51/2F. und seine größte Länge beträgt 2 F. Sein 3 Zoll langer Schnabel ist schwarz mit gelber Wachshaut. So lange er jung ist, hat er eine braune Farbe, später werden die Männchen weiß mit schwarzen Schwungfedern. Er hat nackte gelbe Wangen und nackte gelbe Kehle, gespreizte Hals- und Kopffedern, einen kegelförmigen, abgestumpften Schwanz, und wenn er ruht, reichen die Flügel etwas über das Ende des Schwanzes hinaus. Er ist sehr heißhungrig und nützt in den heißen Gegenden der alten Welt, wo er sehr häufig vorkommt, wesentlich durch diesen seinen Heißhunger, indem er das Aas verzehrt. Überdies frißt er Amphibien, Insekten und Würmer. Er wurde wegen seiner Nützlichkeit von den alten Ägyptern sehr hoch geehrt und steht auch jetzt noch bei den Mohammedanern in großem Ansehen.
Zu einer andern Gattung, den Aasvögeln, welche sich durch an der Kuppe gewölbten, an der Spitze hakenförmigen und zusammengedrückten Schnabel, durch Fleischwarzen [164] am Ende der Wachshaut und rinnenförmige, an der Seite gesägte Zunge auszeichnen, gehört der nachstehend abgebildete Greifgeier oder Condor, der auf den Anden in Südamerika gefunden wird. Er ist etwa 4, höchstens 5 F. hoch und hat eine Flügelweite von 10 F. Seine Beine sollen so dick wie das Handgelenk eines Mannes sein. Er steigt unter allen Vögeln am höchsten in die Lüfte. Das Männchen hat auf dem Kopfe einen knorpeligen Auswuchs und an den untern Kiefern eine schlaffe gefaltete Haut. Der Hals und die Kopfgegend sind kahl und die runzelige Haut ist nur mit wenigen dünnen Haaren besetzt, und wie der Kamm bläulichroth. Er hat ferner nackte offene Ohren, einen weißen Schnabel und ein Halsband von weichen weißen Federn. Die Farbe des Männchens ist schwarz und die größten [165] Deckfedern der Flügel am äußern Theile sind weiß. Das Weibchen ist von dunkelbräunlicher Farbe. Die mit Schuppen besetzten Beine sind blaugrau. Sie fallen selbst größere Thiere an, welche sie mit ihren Klauen verwunden, bis sie ermattet hinstürzen.
Gleichfalls in Amerika vorkommend, an Gestalt und Größe aber dem ägypt. Geier gleichend, ist der Urubu, der auch in Amerika sich auf dieselbe Weise, wie jener in Ägypten, nützlich macht, indem er alle Arten von Unreinigkeiten verzehrt. Sein ganzer Körper ist glänzend schwarz und der Kopf ganz nackt. Er ist sehr wenig scheu, sodaß man ihn selbst in den Städten antrifft. Man findet ihn in allen warmen Gegenden Amerikas. Er riecht unangenehm nach Moschus und noch übler, wenn er Aas gefressen hat.
Nicht viel kleiner als der Condor ist der Lämmergeier oder gemeine Bartgeier, welcher vorzüglich auf den europ. Alpen lebt. Er hat einen anfangs geraden, dann aufwärts gebogenen und an der Spitze hakenförmigen Schnabel, seine Nasenlöcher sind mit nach vorn gerichteten Borsten bedeckt, und unter dem Unterschnabel hat er einen Bart von Borsten. Er zeichnet sich ferner durch einen dichtbefiederten Kopf und kurze, bis an die Zehen befiederte Beine aus. Das Aas verzehrt er nur, wenn er kein frisches Fleisch bekommen kann. Der Lämmergeier erreicht eine Länge von 4 F. und eine Flügelweite von 9–10 F. Der Schnabel und die spitzigen Nägel sind hornfarben, die Wachshaut und die Zehen graublau. Der Kopf ist weiß und vom hintern Ende des Schnabels durch die Augen geht ein schwarzer Streif; der Bart ist schwarz; der Hals hinten weiß, vorn schmuziggelb, und die Brust trägt einen Kranz von gelblichweißen Federn mit schwarzen Flecken. Die Deckfedern der Flügel, die Federn der Schultern, des Rückens und der Beine sind schwarz mit weißen Schäften und einem weißgelben Schaftfleck an der Spitze, während die Schwanzfedern und die Schwungfedern silbergrau mit schwarzen Schäften sind. Er greift lebendige Thiere aller Art an, soll mitunter sogar Kinder rauben und sucht der größten Thiere dadurch Herr zu werden, daß er sie nach Felsenwänden hindrängt, bis sie von denselben herabstürzen.