Gesang

[199] Gesang ist die zu Musik gewordene menschliche Rede. Die Kunst hat noch kein Instrument zu erfinden vermocht, welches an Bildsamkeit und Seelenhaftigkeit die menschliche Kehle übertrifft, und wie der Gesang die erste und natürlichste Musik ist, so ist er auch die schönste und ergreifendste. Der Gesang hat zugleich vor der Instrumentalmusik den großen Vorzug, daß er die Gefühle zugleich in Tönen und Worten ausspricht, daher die unmittelbare Empfindung der Musik durch den Sinn der Worte und dieser durch jene erklärt wird. Musik und Wortsinn müssen einander aber genau entsprechen, wenn der Gesang seinen Zweck nicht verfehlen soll, nämlich zugleich der vollständigste Ausdruck der Empfindung zu sein, und diese selbst am mächtigsten im Hörer zu erregen. In seiner höchsten Ausbildung ist der Gesang dramatisch, wie in der Oper, wo alle Leidenschaften und Gefühle im Gesange laut werden. Den höchsten Gegenstand hat jedoch der religiöse Gesang, den man als mächtigstes Erregungsmittel zur Andacht seit den ältesten Zeiten beim Gottesdienste eingeführt hat. Sammlungen religiöser Lieder zum Singen werden Gesangbücher genannt. Sie sind vorzüglich bei der protestantischen Kirche in Gebrauch gekommen, wo die Gemeinde am Gesange Theil nimmt. Luther selbst gab das erste deutsche Gesangbuch heraus, und seitdem sind fast in allen größern Gemeinden eigne Gesangbücher öffentlich eingeführt worden und mit der fortschreitenden Bildung neue Gesangbücher an die Stelle der alten getreten.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 199.
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