[509] Joseph II., röm.-deutscher Kaiser, 1765–90, ein Sohn Franz I. und der Maria Theresia, geb. am 13. März 1741, war einer der wohlwollendsten und freisinnigsten Fürsten, der aber durch die von ihm nicht mit der nöthigen Rücksicht auf die Culturstufe der ihm unterworfenen Völker eingeführten Verbesserungen und Neuerungen sich selbst Kummer und Noth bereitete.
Schon in der Jugend zeichnete sich I. durch einen gewandten und lebhaften Geist aus, der sich nur ungern unter den strengen Willen seiner Mutter fügte und der Misbrauch, der mit seiner Mutter frommer Gesinnung wol nicht selten getrieben wurde, erregte in dem Jünglinge eine heftige Abneigung gegen die Geistlichkeit. I. wurde nach dem hubertsburger Frieden 1764 zum röm. Könige erwählt und folgte im nächsten Jahre seinem Vater als Oberhaupt des deutschen Reichs. Maria Theresia behielt selbst, wie bei den Lebzeiten ihres Gemahls, die Regierung über die östr. Staaten, obgleich sie I. zum Mitregenten erklärte und ihm die Verwaltung des Heers überließ. I. bewunderte [509] den großen Gegner seines Hauses, den König Friedrich den Großen, und nahm ihn sich zum Muster. Er machte, so lange seine Mutter noch lebte, Reisen, um sich mit seinen Staaten genauer und durch eigne Anschauung bekannt zu machen, und lernte auf einer derselben, 1768, den preuß. König persönlich kennen. Nach dem Tode der Maria Theresia begann I. mit Zurücksetzung der bisherigen Politik Östreichs seine Reformen, durch welche er die Bewunderung des Auslandes und die Liebe seines Volks sich erwarb, aber die durch dieselben benachtheiligten Stände, Adel und Geistlichkeit, gegen sich aufregte. Ein Besuch, der ihm 1782 von dem Papste Pius VI. in Wien zu Theil wurde und welchen er in Rom erwiderte, hielt ihn nicht ab, fortwährend an der Verminderung der Klöster zu arbeiten, nachdem er sie vorher von Rom möglichst unabhängig gemacht hatte. Er schaffte die Nonnenklöster und alle diejenigen Mönchsklöster ab, welche sich nicht auf eine oder die andere Weise nützlich machten. Auf diese Weise kam in acht Jahren in den östr. Staaten die Zahl der Ordensleute von 63,000 auf 27,000 herunter. Er schaffte ferner die Leibeigenschaft ab, hob die Juden aus der gedrückten Lage, in welcher sie sich bisher befunden, erweiterte die Preßfreiheit, verbesserte das Schulwesen, das Kirchenwesen, die Policei und die Staatsverwaltung, hob die Todesstrafe auf, förderte den Landbau u.s.w. I. mußte aber bald die traurige Erfahrung machen, daß er fast überall mit seinen Verbesserungen zu schnell zu Werke gegangen war und dadurch, statt wirklich das Wohl seiner Unterthanen zu fördern, sie nur in einen. Zustand der Unbehaglichkeit und Verwirrung versetzt hatte. Denn aus den bisherigen, wenn auch vielfach mit Misbräuchen verwebten, aber doch gewohnten Verhältnissen sahen sie sich herausgerissen und konnten sich, weil es ihnen an dem klaren Überblick fehlte, den nur größere Geistesbildung zu geben vermag, in den neuen Zustand der Dinge nicht finden. Dazu kam, daß der gebildete Theil der Nation, die Geistlichkeit und der Adel, statt den gemeinen Mann zu beruhigen und zu belehren, nur bemüht war, ihn gegen den Kaiser und dessen Verordnungen einzunehmen. Zuerst empörten sich die Walachen in Ungarn, doch wurde der Aufstand noch durch die Hinrichtung der Anführer unterdrückt. I. kam in Streit mit den Holländern über die freie Schiffahrt auf der Schelde und seine Verhandlungen über den Umtausch Baierns gegen die östr. Niederlande wurden 1785 durch den deutschen Fürstenbund vereitelt. Ein Aufstand, der nachher in den Niederlanden ausbrach, nöthigte den Kaiser, seine Verbesserungspläne hier aufzugeben. Im J. 1788 brach der Krieg mit den Türken aus und I. selbst brachte während derselben seine Gesundheit und sein Leben in Gefahr. Von allen Seiten brach aber die Unzufriedenheit aus, nachdem 1789 das neue Steuergesetz erschienen war. Die Niederlande erklärten sich für unabhängig und die östr. Besatzung wurde überall vertrieben, sodaß nur Luxemburg in ihrer Gewalt blieb. Alle Unterhandlungen, welche der Kaiser anzuknüpfen bereit war, wurden zurückgewiesen. Gewaltiger als vorher brach auch in Ungarn die allgemeine Unzufriedenheit aus und in Tirol war gleichfalls die Aufregung groß. Durch diese Unglücksfälle sah sich der Kaiser genöthigt, in den genannten Ländern alle von ihm gemachten Neuerungen aufzuheben und den frühern Zustand der Dinge wiederherzustellen. Seine seit dem türk. Feldzuge wankende Gesundheit konnte sich nicht wieder befestigen und der Kaiser, welchem zum wahrhaft großen Regenten und Wohlthäter seiner Völker nur die nöthige Besonnenheit gefehlt hatte, erlag am 20. Febr. 1790. Kaiser Franz I. ehrte das Andenken seines Oheims I. durch ein Denkmal, welches er ihm 1807 zu Wien errichten ließ.