Klinik

[617] Klinik, ein Wort griech. Ursprungs, bezeichnet den am Krankenbette ertheilten Unterricht in der Heilkunst. Schon die Alten erkannten die Wichtigkeit desselben für die Bildung junger Ärzte. Ohne sie fehlt es nämlich dem angehenden Heilkünstler an der für ihn so nöthigen Gelegenheit und Anleitung, einzelne Krankheitsfälle in ihrer Besonderheit zu beobachten, richtig zu beurtheilen und zu behandeln. Hier ist es, wo er zuerst die Aufgabe zu lösen hat, die Kenntnisse, die er sich durch Studium zu eigen gemacht, in Anwendung zu bringen. Hier soll er die Kunst erlernen, den Zustand eines Kranken durch zweckgemäße Untersuchung desselben zu erforschen, die Zeichen, durch welche sich die verschiedenen Krankheiten voneinander unterscheiden, ihrer Bedeutung nach aufzufassen und für die Beurtheilung des einzelnen Falles zu benutzen, sich von der Wirksamkeit der etwa anzuwendenden Heilmittel zu überzeugen und sich für die Ausübung der schwerern Kunst vorzubereiten, die vielseitiger Übung bedarf; hier kann er dies noch ohne Gefahr für die ihm übergebenen Kranken, da ihm stets ein in der Regel wissenschaftlich hochgebildeter und vielerfahrener Lehrer rathend und helfend zur Seite steht. In den ältesten Zeiten bestand der Unterricht in der Heilkunst hauptsächlich in dem am Krankenbette ertheilten. Anfänglich war die Kenntniß und die Ausübung dieser Kunst das Eigenthum einzelner weniger Familien, in denen sie von Geschlecht zu Geschlecht forterbten. Die Vorgänger des Hippokrates, sowie dieser selbst, bildeten sich einzig und allein in dieser eigentlichen Schule der Natur und Erfahrung. Später wurde der klinische Unterricht bis zum 17. Jahrh. leider gänzlich vernachlässigt. Erst da kam man auf den glücklichen Gedanken, die großen Vereinigungen von Kranken, welche die mittlerweile entstandenen Hospitäler darboten, für den Unterricht in der Heilkunst zu benutzen, und zwar soll zuerst Sylvius, Professor an der Universität Leyden in Holland, 1658, über die verschiedenen Krankheitssälle, welche in dem unter seiner Leitung stehenden Spitale vorkamen, Vorlesungen gehalten, nach Andern schon lange vorher Wilh. Straten, ein berühmter Arzt in Utrecht, eine sehr besuchte Klinik gehabt haben. Noch mehr fand sie die verdiente Anerkennung, als sich zu Anfange des 18. Jahrh. auch der große Boerhaave ihrer bediente. Von nun an wurden in verschiedenen Ländern Europas klinische Schulen eingerichtet, namentlich aber erwarben sich die von Edinburg und Wien einen so hohen Ruf, daß alle Zweifel über die Zweckmäßigkeit und den Nutzen derselben aufhörten. Gegenwärtig dürfte wol keine Hochschule, keine medicinische Akademie in Europa ohne eine Anstalt für klinischen Unterricht angetroffen werden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 617.
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