Lenclos

[729] Lenclos (Anne, genannt Ninon de), von adeligen Ältern 1615 zu Paris geboren, bildete nach dem frühen Tode jener selbst ihren Geist zu einem Witz und Scharfsinn aus, durch den sie eben so berühmt geworden ist, als durch ihren Hang zur Unabhängigkeit und zum willkürlichen Wechsel in der Liebe; denn sie widerstand, trotz den verlockendsten Anträgen, jeder ernstern, namentlich ehelichen Verbindung. Jenem Hange und der Ausübung angenehmer Talente, unter denen meisterhaftes Clavierspiel, geschmackvoller Gesang und anmuthiger Tanz obenan standen, ungestört nachleben zu können, lieh sie ihr Vermögen auf Leibrenten aus und zog davon ein jährliches Einkommen von 8–10,000 Livres. An ihren Gunstverschenkungen hatten weder verächtliche Gewinnsucht, noch Eitelkeit, noch sonst eine andere Leidenschaft, nur Laune und Unbeständigkeit Antheil. Trotz ihrer, aller tiefern Sitte Hohn sprechenden, frivolen Lebensweise genoß sie doch die Achtung und Liebe der geehrtesten Frauen, welche nach ihrem Umgange strebten und sich um ihre Freundschaft bemühten. Denn wie nur ein ungebundener Freiheitssinn und kein anderes Motiv jene Unbeständigkeit in der Liebe bei ihr erzeugte, so verband sie auch mit ihren vielen Talenten Treue in der Freundschaft, Gewissenhaftigkeit und Redlichkeit in allen Dingen, Heiterkeit, Anstand und die größte äußere Sitte im Umgange, geistreiches Wesen, ohne damit zu prunken, und Schönheit bis in das höchste Alter. Durch dies Alles verdiente sie sich den Namen der franz. Aspasia. Ihr Haus war der Sammelplatz aller damals in Paris Angesehensten. Hofleute, Helden drängten sich um sie, Gelehrte und Künstler zogen sie bei ihren Werken zu Rathe. Die Königin von Schweden, Christine, stattete ihr sogar bei ihrer Anwesenheit in Paris ihren Besuch ab. Auch ließ sich N. die Bildung hoffnungsvoller junger Männer angelegen sein, und vermachte dem jungen Voltaire eine bedeutende Summe für Bücher. Sie starb 1705. Man hat von ihr eine kleine Schrift: »La coquette vengée«; die unter ihrem Namen erschienenen Briefe werden aber für unecht gehalten. Merkwürdig ist das Schicksal und die Lebensgeschichte ihres zweiten Sohnes, der sich, ohne zu wissen, daß sie seine Mutter sei, in sie verliebte, und als sich ihm dies Geheimniß aufklärte. aus Verzweiflung erschoß.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 729.
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