Missionen

[155] Missīonen nennt man vorzugsweise die zur Verbreitung des Christenthums unternommenen Sendungen christlicher Lehrer unter nichtchristliche, namentlich heidnische Völker. Alle diese Unternehmungen beruhen auf dem Grundsatze, daß das Christenthum Weltreligion sei, und werden, um demselben diese Bestimmung zu geben, entweder von der Kirche selbst, wie die katholischen Missionen, oder von besondern, zu diesem Zwecke gebildeten, Missionsgesellschaften unternommen, wie die Missionen der protestantischen Religionsparteien. Ein von ihnen oder der katholischen Kirche mit der Verbreitung des Christenthums beauftragter abgesandter Lehrer heißt ein Missionar oder Glaubensbote, was gemeiniglich so viel gilt als Heidenbekehrer. Solche Bekehrungen heidnischer Völker durch Missionare wurden zuerst unter der Aufsicht und Leitung der römischen Kirche, welche auch in neuerer Zeit auf ähnliche Weise Missionare zur Wiedergewinnung von ihr getrennter christlicher Religionsverwandten aussendet, unternommen, und unter Andern wirkten im Mittelalter in diesem Sinne die röm. Missionare und Heiligen Bonifacius, Adalbert, Cyrillus (s.d.) für die Annahme des Christenthums bei den german. und slaw. Völkerschaften. Mit der Blüte des Papstthums hatte sich auch die christliche Bildung über fast ganz Europa verbreitet, durch Missionen sie den außereuropäischen Ländern mitzutheilen, verhinderten aber noch die Unruhen und Streitigkeiten im Innern der Kirche. Erst mit der Entdeckung West- und Ostindiens wurde das Missionswesen eifriger, planmäßiger und ausgedehnter betrieben und erhielt für die Religions- und Sittengeschichte, für die Länder- und Völkerkunde eine höhere Bedeutung. Den Anfang machte die röm. Kirche, indem sie in den neuentdeckten Ländern die durch die Reformation erlittenen Verluste ihrer Herrschaft zu ersetzen suchte. Sie bediente sich hierbei der zahllosen Mönche und Ordensgeistlichen, die den Eroberern dieser Länder auf dem Fuße folgten und Roms geistliche Herrschaft unter dem Schutze der Waffen verbreiteten. Vor Allen zeichneten sich unter ihnen durch ihren rastlosen Eifer, ihre Geschicklichkeit und Klugheit, die aber auch unerlaubte Mittel nicht scheute, die Jesuiten aus. Ihre Missionen in Südamerika, in Ostindien, China und Japan wurden die merkwürdigsten der katholischen Kirche, konnten aber bei dem sich steigernden Hasse der Eingeborenen gegen die Europäer, ungeachtet der Unterstützung, die ihnen von Rom aus durch die neugegründete große Missionsgesellschaft, die Propaganda (s.d.) und die Bildungsanstalt für Missionare zu Theil ward, nur vorübergehend für die Verbreitung des Christenthums in den zuletzt genannten Ländern wirken. Als mit der Aufhebung des Jesuitenordens die katholischen Missionen ihre thätigsten Mitglieder verloren und die von Frankreich ausgehenden Kriegsunruhen die zu ihrer Unterstützung in der Kirche vorhandenen reichen Hülfsmittel erschöpften, geriethen sie in großen Verfall, von dem sie jedoch gegenwärtig ein für sie in Rom und Frankreich neu erwachter Eifer zu erheben sucht. Mit dem Übergewichte des protestantischen Europa auf dem Meere entstanden die Missionen der verschiedenen protestantischen Religionsparteien nicht um eines kirchlichen Zwecks willen, sondern aus reiner Menschenliebe. Sie sind das Werk der oben genannten Missionsgesellschaften, die frei und unabhängig vom Staate wie von der Kirche nur die Verbreitung des Christenthums im Auge haben. Als das Hauptmittel der Ausbreitung des Christenthums betrachten sie das von der katholischen Kirche verbotene Lesen der Bibel, die sie, unterstützt von den Bibelgesellschaften, in alle möglichen Sprachen übersetzt, durch die Missionare unter die zu bekehrenden oder bereits bekehrten Heiden vertheilen lassen und von der unbefangenen Auffassung der h. Schriften die Begründung und weitere Entwickelung des Christenthums erwarten. Diese Gesellschaften bildeten sich zuerst um die Mitte des 17. Jahrh. in dem am meisten mit auswärtigen nichtchristlichen Völkern verkehrenden England, später aber sowol hier, wie auf dem Festlande Europas, in vergrößerter Anzahl und mit immer gesteigerter Theilnahme, und in neuerer Zeit selbst in Nordamerika, Asien und Afrika, und ihre Mitglieder gehören zu den Bekennern und Anhängern fast aller Confessionen und Sekten der Protestanten, stehen unter sich in keiner nähern Verbindung, reichen sich aber bei ihren Unternehmungen brüderlich die Hand. Bei dem mitzutheilenden Christenthume haben sie nur die herrschende Glaubensmeinung ihrer Kirche oder Sekte im Auge, die gemeiniglich auf den Missionsschulen, die gleichfalls ein Werk ihres frommen Eifers sind, vorher dem abzusendenden Missionar mit den für seinen Beruf nöthigen Kenntnissen und Fertigkeiten beigebracht wird. Zu den merkwürdigsten Missionsgesellschaften gehören seit 1794 die große londoner, welche 1836 eine Einnahme von 64,372 Pf. St., die engl. Kirchenmissionsgesellschaft, deren Einnahme 1836 sich auf 71,527 Pf. St., die Wesley-London-Missionsgesellschaft (s. Methodisten), deren Einnahme sich auf 75,526 Pf. St. belief; die kopenhagener, die berliner, die baseler und die der herrnhuter Brüdergemeinen, aus der die meisten Glaubensboten für die deutschen Missionen hervorgehen. Zu Berlin, Basel und an andern Orten sind Bildungsanstalten für Missionare. Auch für die Bekehrung der Juden haben sich an verschiedenen Orten Gesellschaften gebildet, durch die jedoch nur wenig Juden und diese auch mehr aus äußern Rücksichten sich für das Christenthum gewinnen ließen. Denn die Erfahrung hat es vielfach bestätigt, daß auch unter den heidnischen Völkern solche weit schwerer zur Annahme des Christenthums zu bewegen waren, die mit einem gewissen Grade äußerer Bildung auch einige Religionserkenntniß verbanden, wie die Indier und Chinesen, als andere, die sich noch in dem Zustande der Wildheit befanden. Einige derselben, wie die gutmüthigen Südsee-Insulaner, haben das Christenthum fast allgemein angenommen. So groß nun im Allgemeinen die Anzahl der Menschen ist, die durch die Missionen dem Christenthume zugeführt worden sind, so ist doch dadurch der mangelhafte religiös-sittliche Zustand dieser Menschen nur wenig verbessert worden. Der Grund hiervon ist weniger in den von den Missionaren bei der Verkündigung des Christenthums begangenen Fehlgriffen, als vielmehr darin zu suchen, daß die höhere Bildung des Geistes, womit das Christenthum den Menschen verklärt, erst im Laufe der Jahrhunderte emporblühen und reisen kann.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 155-156.
Lizenz:
Faksimiles:
155 | 156
Kategorien: