Neuenburg

Neuenburg

[270] Neuenburg oder Neufchatel, ein souveraines preuß. Fürstenthum und zugleich als ein vom preuß. Staatsinteresse getrennter Staat der 21. Canton und der einzige monarchische der schweiz. Eidgenossenschaft, wird nördl. vom Canton Bern, südl. von Waadt, westl. von Frankreich, östl. vom neuenburger See begrenzt und hat auf 131/4 ! M. gegen 60,000 meist reformirte und franz. redende Bewohner.

Es besteht aus dem eigentlichen Fürstenthume N. und der Grafschaft Valengin, wird von mehren Zweigen des Juragebirges durchzogen und steht mittels des tiefen und fischreichen Neuenburgersee, welcher 1340 F. über dem Meere und 206 F. höher als der Genfersee liegt, neun Stunden lang und zwei Stunden breit ist und durch seine Zu- und Abflüsse nach andern Seen, mit dem Rheine in Verbindung. In den ältesten Zeiten hatte N. seine eignen Herren, welche lange Lehnsträger der deutschen Kaiser waren, kam im 16. Jahrh. an die Besitzer des franz. Fürstenthums Orange und beim Aussterben dieses Hauses entschied 1707 das von den Landständen zur Untersuchung der zahlreichen Erbansprüche niedergesetzte Tribunal für den König Friedrich l. von Preußen. Als Fürstenthum blieb es bei dessen Nachfolgern bis 1806, wo es an Frankreich abgetreten und von Napoleon dem Marschall Berthier und nachherigen Fürsten von N. und Wagram verliehen wurde. Durch den pariser Frieden von 1814 kam es vergrößert wieder unter preuß. Hoheit, erhielt eine der von Genf ähnliche Verfassung, sowie die Rechte eines für sich bestehenden Staats erneuert, und ward im Sept. in die schweiz. Eidgenossenschaft aufgenommen. Übrigens ist es von jeher als ein Theil der Schweiz angesehen worden und stand seit Jahrhunderten mit Bern und andern Cantonen im Bündniß. Als Fürst von N. übt der König von Preußen durch den von ihm ernannten Gouverneur und Staatsrath alle Souverainetätsrechte, die Besteuerung aber und Gesetzgebung geht von den Landständen aus, welche gewöhnlich alle zwei Jahre zusammentreten und zu denen er 45 von den 75 Mitgliedern derselben ernennt. Zum Dienste in der Miliz ist jeder Einwohner von 18–50 Jahren verpflichtet und nur vermöge einer besondern Übereinkunft dient ein Bataillon von 400 M. Schützen bei der königl. Garde. In Folge der von den Eidgenossen neuerdings beabsichtigten mancherlei innern Veränderungen kam es 1832 auch in N. zu unruhigen Auftritten, die jedoch bald unterdrückt und die Anstifter zur Strafe gezogen wurden. Haupterwerbsquellen der überaus betriebsamen und dadurch wohlhabenden Bewohner sind die Fabrikation von Uhren, Gold- und Silberwaaren, baumwollene Waaren, Spitzen, Weinbau und Viehzucht; die Einkünfte des Landes belaufen sich auf 440,000 Francs; geringer sind die Ausgaben. Der Fürst erhält eine Civilliste von 150,000 Francs und zum schweiz. Bundesheere stellt der Canton N. 960 M. und zahlt 24,000 Francs. – Landeshauptstadt ist Neuenburg oder Neufchatel mit 6000 Einw. am Ufer des gleichnamigen Sees und wo der reißende Seyon sich in demselben ergießt, gelegen. Der Ort gehört zu den freundlichsten Städten der Schweiz, ist sehr wohlhabend, hat ein altes Schloß, ein schönes Rathhaus, welches ein von dort gebürtiger Kaufmann David Pury in Lissabon erbauen ließ und 1786 auch sein über eine Million Thaler betragendes Vermögen zum Besten der geistlichen und Unterrichtsanstalten und zu andern gemeinnützigen Zwecken vermachte. Ebenso stiftete 1810 der Kaufmann von Pourtales mit einem Aufwande von mehr als 200,000 Thlr. ein Krankenhaus. Merkwürdig ist noch die im 10. Jahrh. erbaute Hauptkirche und vor derselben das Grabmal des 1565 gestorbenen Predigers Wilh. Farel, eines eifrigen Beförderers der Reformation. N. ist der Sitz der höchsten Behörden und der Haupthandelsort des Landes und die vorstehende Abbildung gibt eine Ansicht des Landungsplatzes am dortigen See. – In der Grafschaft Valengin liegen die rauhen Thäler Locle und Chaux de Fonds, wo beinahe blos Gras wächst, die aber die Mittelpunkte einer überaus umfänglichen Fabrikation von Uhren, Gold- und Silberwaaren und Spitzen, von Kattundruckereien und andern Gewerbszweigen sind. Der Anfang der hiesigen Uhrenfabrikation geht in die letzten Jahrzehnde des 17. Jahrh. zurück, wo hier Dan. Joh. Richard, genannt Bressel, in seinem 15. Jahre zufällig eine fremde Uhr in die Hände bekam und sich die Einrichtung derselben so gut absah, daß er selbst eine zu Stande brachte und in der Verfolgung dieses Geschäfts die Uhrmacherkunst dort heimisch machte. Bei Locle liegt am Bache Bied in einer Gebirgsschlucht eine merkwürdige oberschlächtige Mühle mit drei übereinander hängenden Rädern, welche von den hier unterirdisch abfließenden Gewässern des Thales getrieben wird.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 270-272.
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