[441] Perfection heißt eigentlich Vervollkommnung, dann aber Vollkommenheit und Vollendung oder Ausführung, und [441] man sagt z.B., eine Handlung sei nicht zur Perfection gelangt, wenn sie unausgeführt blieb. – Unter Perfectibilismus versteht man den Glauben an die fortschreitende Vervollkommnungsfähigkeit oder Perfectibilität des Menschengeschlechts oder aller menschlichen Verhältnisse, sowol der aus geistiger Thätigkeit des Menschen und der gegenseitigen Bestrebungen in der Gesellschaft hervorgegangenen, wohin also die bürgerlichen Verhältnisse im Staate, Wissenschaften und Künste gehören, als auch Dessen, was ihm von außen zu seinem Heile geboten wird, der geoffenbarten Religion. Es berechtigt zu diesem Glauben die Vernunft des Menschen, welche ihm erlaubt, seine Blicke über die an bestimmte Schranken gefesselte Natur, welche ihn umgibt, auf das Ideale zu richten; auch steht derselbe mit dem Glauben an eine göttliche Vorsehung und an die Fortdauer nach dem Tode, sowie mit dem an die Erziehung des Menschengeschlechts durch Gott, in natürlichem und nothwendigem Zusammenhange. Der Mensch aber darf sich dabei nicht etwa blos leidend verhalten, sondern hat die edle Pflicht zu erfüllen, sich fortwährend sowol um seine eigne als auch um die Vervollkommnung Anderer und aller menschlichen Verhältnisse zu bemühen, je nachdem er durch seine bürgerliche Stellung oder seine Einsicht Beruf und Befähigung dazu besitzt. Was die Perfectibilität der geoffenbarten Religion anlangt, so steht derselben die Vollkommenheit keineswegs entgegen, welche jedem Ausflusse des göttlichen Willens eigen sein muß. Denn indem eine geoffenbarte Religion in die Menschenwelt eintritt, erfodern die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse, unter welchen dies geschieht, daß sie die denselben entsprechenden äußern Formen annimmt. Diese aber sind beschränkter und vergänglicher Natur, wie alles Weltliche und Örtliche und indem eine geoffenbarte Lehre selbst sich immer weiter ausbreitet und allgemeiner dazu beiträgt, die Menschheit auf eine höhere Bildungsstufe zu erheben, müssen auch jene an Ort und Zeit gebundenen äußern Formen nach und nach wegfallen und die Vollkommenheit der Offenbarung zeigt sich eben darin erst recht, daß sie dem beschränktern, wie dem erweiterten menschlichen Bedürfnisse gleichmäßig entspricht und göttlichen Segen unter allen Umständen verbreitet. Dies gilt denn ganz besonders vom Christenthum, welches daher auch allein von allen den Namen von Offenbarungen in Anspruch nehmenden Religionslehren als eine göttliche Veranstaltung betrachtet werden muß, durch welche die Menschheit zu ihrem Heil erzogen werde. Unter die vorzüglichsten Schriften über Perfectibilität der offenbarten Religion gehören Krug's »Briefe über Perfectibilität der geoffenbarten Religion« (Jena und Lpz. 1795); auch ist Ammon's Schrift: »Über die Fortbildung des Christenthums zur Weltreligion« (Dresden 1837) nachzulesen.