Saint-Martin

[20] Saint-Martin (Louis Claude, Marquis de), »le philosophe inconnu« (der unbekannte Philosoph) genannt und in mancher Beziehung unserm Jakob Böhme (s.d.) zu vergleichen, wurde im J. 1743 zu Amboise in der Touraine geboren. Sehr religiös erzogen, trat er früh in den Militairstand, neben welchem Berufe er jedoch fleißig alte und neue Sprachen studirte und religiös-philosophische und Naturbetrachtungen anstellte. Die Bekanntschaft mit einem Mitgliede des Illuminaten-Ordens und die Lecture der Werke des Jakob Böhme, dessen »Aurora« er auch ins Französische übersetzt hat, machten ihn zur mystischen Theosophie (s.d.) geneigt. Er gab seinen Dienst auf und bereiste Deutschland, die Schweiz, England und Italien. Zur Zeit der Revolution lebte er, ohne Antheil an ihr zu nehmen und ganz zurückgezogen, in Paris. Seine letzten Jahre brachte er bei Chatillon zu, wo er 1803 starb. Alle, die ihn kannten, rühmten seinen edeln und liebenswürdigen Charakter, seine einfache Lebensweise und wohlthätige Gesinnung. Der Einfluß, den er auf Gleichgesinnte ausübte, war so groß, daß sich noch jetzt nach ihm die Mitglieder einer religiösen Gesellschaft, welche an St.-M.'s Überzeugungen festhält, Martinisten nennen. Die vorzüglichsten seiner Schriften sind: »Irrthümer und Wahrheit« (deutsch von Claudius, Hamb. 1782); »Vom Geist und Wesen der Dinge, oder philosophische Blicke auf die Natur der Dinge und den Zweck ihres Daseins« (deutsch von Schubert, 2 Bde., Lpz. 1811); »Des Menschen Sehnen und Ahnen« (deutsch von A. Wagner, Lpz. 1813) u.a.m. Seine Philosophie ist weniger Wissenschaft als tiefsinnige mysteriöse Anschauung des Menschen und der Natur. Durch diese innige Tiefe stellte sie sich, günstig wirkend, der in seiner Zeit und unter seinem Volke damals besonders herrschenden oberflächlichen Verstandes- oder Aufklärungsphilosophie gegenüber. In ihr stellte er den Menschen als den Schlüssel aller Räthsel und das Bild aller Wahrheit hin, wodurch sich ihm eine natürliche Offenbarung gestaltete. Auszüge aus seinen Werken sind enthalten in »Angelus Silesius und St.-Martin« (Berl. 1834).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 20.
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