[209] Slawen ist der Name des über 50 Mill. starken Völkerstammes, welcher die kleinere, östl. Hälfte von Europa inne hat und durch die Besitznahme des nördl. Asiens durch die Russen auch über einen großen Theil dieses Welttheils verbreitet ist. Sie sind vielleicht dieselben, welche im frühern Alterthume Scythen (s.d.), später Sarmaten (s.d.), mehr nach unbestimmten geographischen Beziehungen als nach ethnographischer Abgrenzung genannt wurden. Der Name Slawen, welcher am wahrscheinlichsten von Slawa, d.h. Ruhm, abgeleitet wird, kommt zum ersten Mal im 6. Jahrh. bei Jornandes vor. Um diese Zeit drangen sie, nachdem sie bisher nur in dem heutigen Rußland und in dem westl. Asien gesessen hatten, in Folge der Völkerwanderung (s.d.) gegen O. vor, bis an die Elbe und Saale, und südl. bis an das adriat. Meer. Der Zweig der Slawen, welcher im nördl. Deutschland sich am meisten gegen O. verbreitet hatte, waren die Wenden (s.d.). Diese wurden auch zuerst germanisirt, sodaß sich jetzt nur wenige Reste von ihnen erhalten haben. Die südl. Wohnsitze der Slawen wurden von Avaren, Ungarn und andern nichtslawischen Völkern heimgesucht. So gingen in Deutschland allmälig alle slawischen Reiche unter, am längsten erhielt sich noch Böhmen. Die verschiedenen slawischen Völkerschaften, von denen indessen einige ganz unkenntlich geworden, sind: 1) Diejenigen, welche herrschend geblieben sind und selbständige Reiche bilden, als die Russen, zu denen auch die Kosacken gehören, und die Polen; 2) in Deutschland, Preußen und Ungarn: die Kassuben in Pommern, die Wenden [209] (darunter die Sorben), die Böhmen, die Mähren, die Slowaken, die Slawonen nebst den Kroaten und die Dalmaten, von denen jedoch ein Theil der Türkei unterthan ist; 3) in der Türkei: die Serbier, die Bosniaken, die Montenegriner und die Bulgaren. Alle Slawen, auch die zur Türkei gehörigen, sind Christen. Ob die Letten oder Lithauer, denen auch die alten Preußen oder Poruzzen angehörten, ein slawischer Volksstamm sind, ist noch nicht ganz ausgemacht. Die Finnen und die Ungarn sind von den Slawen ganz verschiedene Volksstämme. Gegenwärtig sind alle Völker slawischen Stammes hinter den germanischen in der Bildung zurück. Es ist dies die Folge von ihrem langsamen Fortschreiten, welches vielleicht in einem Mangel an Bildungsfähigkeit überhaupt seinen Grund hat, und von ihren entlegenen Wohnsitzen. Nach der Völkerwanderung standen sie den Germanen gleich und werden als ein arbeitsames, Viehzucht und Ackerbau treibendes Volk geschildert. So waren sie zwar dem aus Asien eindringenden Horden den Hunnen, Mongolen und andern, weit überlegen, aber es fehlten bei ihnen diejenigen Elemente, welche bei den Deutschen einen völligen Umschwung der Bildung hervorgebracht und das Mittelalter, welches an den Slawen spurlos vorübergegangen ist, zu einer Schule der Gesittung gemacht haben. Sie haben daher auch ihre Nationalsitten weit treuer bewahrt als die Deutschen, und bieten somit in der jetzigen Zeit, wo man dem Studium der Völkereigenthümlichkeiten weit mehr zugewendet ist als sonst, ein weites Feld der Beobachtung dar. Eine durchgehende, aber sehr unvortheilhafte Eigenthümlichkeit ist bei allen Slawen die Leibeigenschaft der Bauern, und dadurch das Fehlen eines dritten Standes. Gegen die Deutschen hegen sie eine tief eingewurzelte Nationalfeindschaft. Ihre Bekehrung zum Christenthume begann im 8. Jahrh. Der Hauptapostel der Slawen ist Cyrill (s.d.), von dem auch die älteste slawische Schriftsprache, das Kirchenslawisch, und das nach ihm genannte Alphabet herrührt. Von ihrer heidnischen Religion können wir bis jetzt nur nach den Überresten, die sich in den deutsch. slawischen Gegenden gefunden haben, sprechen. Allgemein scheint die Verehrung Swantewit's (s.d.) als des höchsten Gottes gewesen zu sein. Dann verehrten sie Bielbog (eigentlich weißer Gott) als guten, und Czernebog (eigentlich schwarzer Gott) als bösen Gott. Die Sprachen aller Slawen sind verwandt und haben bei aller Verschiedenheit unter den einzelnen Völkerschaften viel Gemeinschaftliches. Von der deutschen, hinter der sie nur an Ausbildung, nicht aber an ursprünglichen Vorzügen zurück sind, unterscheiden sie sich besonders durch eine höchst vollkommene Declination und Conjugation (letztere selbst die griech. übertreffend), durch Vocalendungen bei der Flexion, durch die für den Ausländer unnachahmliche Weichheit gewisser Consonanten und durch Freiheit in der Wortstellung. Dobrowsky unterscheidet zwei Familien der slawischen Sprachen, die nordwestl., zu der er die der Polen, Böhmen, Slowaken und Sorben-Wenden rechnet, und die südöstl., zu welcher die der Russen, Bulgaren, Serben, Dalmaten, Kroaten und Winden oder Slowanen in Steiermark, Kärnten und Krain gehören.