[539] Slawen, zusammenfassende Bezeichnung für eine Anzahl von Völkern indogermanischen Stammes, die sich durch die Ähnlichkeit ihrer Sprachen als verwandt oder zu einer Familie gehörig erweisen, nämlich Russen und Kleinrussen, Bulgaren, Serben und Kroaten, Slowenen, Tschechen und Slowaken, Sorben, Polen (dazu die Kassuben) und das ausgestorbene Volk der Polaben (vgl. die einzelnen Artikel). Die Bezeichnung »Slawen« geht zurück auf das Wort slovêne (spätere Form slavêne, slavjane; Sing. slovênin etc.), den ursprünglichen Gesamtnamen bei den S. selber. Außerdem wird zur Bezeichnung der S. von den deutschen Stämmen seit ältester Zeit der Ausdruck Wenden oder Winden gebraucht, während man heutigestags den Namen »Wenden« auf die Lausitzer S. (Sorben) und »Winden« auf die Slowenen zu beschränken pflegt; die S. selber aber haben sich nie mit diesem Ausdruck bezeichnet. Die Russen und Kleinrussen (oder Russen im weitesten Sinne) pflegt man auch Ostslawen zu nennen und Bulgaren, Serben, Kroaten und Slowenen als Südslawen und Tschechen, Slowaken, Sorben, Polen und Polaben als Westslawen zusammenzufassen (vgl. Slawische Sprachen). Hinsichtlich der heutigen geographischen Ausbreitung der S. s. die Völker- und Sprachenkarte beim Artikel »Europa«.
Die älteste Geschichte der S. ist dunkel. Ohne Zweifel haben die angegebenen slawischen Völkerschaften ursprünglich einmal ein Gesamtvolk gebildet. In der Geschichte werden die S. nachweislich erst im 1. Jahrh. n. Chr. erwähnt. Plinius der Ältere und Tacitus nennen nämlich als ein zu ihrer Zeit zwischen den Fenni (Finnen, an der Ostsee) und den Bastarnae und Peucini (zwei germanischen Stämmen am Ostrande der Karpathen) seßhaftes Volk die Venedae, ein Name, in dem man unschwer die erwähnte, bei den Germanen für die S. übliche Bezeichnung (althochd. Winid, Wined, Plural Winidâ) erkennt. Für das 2. Jahrh. führt Ptolemäus in seiner Beschreibung des europäischen Sarmatien (des Landes zwischen Weichsel und Don) 5060 kleinere Völkerschaften auf, von denen, wenn auch nicht, wie Šafařík annahm, etwa die Hälfte, so doch ein großer Teil mit Sicherheit als slawisch angesehen werden kann. Hier, zwischen den Waldaihöhen und den Alaunischen Bergen, im NW. an das Gebiet der litauischen Stämme an der Ostsee stoßend, im N. und O. von finnischen Völkerschaften und im Süden von den die Pontische Steppe innehabenden sarmatischen Stämmen begrenzt, lag nach aller Wahrscheinlichkeit seit unbestimmbarer Zeit bis in das 3. Jahrh. n. Chr. die Heimat des slawischen Gesamtvolkes. Die Geschichte nach Ptolemäus schweigt über die S. bis in die Mitte des 6. Jahrh. In dem Jahrhundert nach Ptolemäus beginnen bekanntlich die Völkerwanderungen der germanischen Stämme. Die Goten, Burgunder, Sueven, Langobarden etc. ziehen im Laufe des 3. und 4. Jahrh. aus Norddeutschland fort, das ganze Land zwischen Weichsel und Elbe freilassend, das offenbar etwa während derselben Zeit bis in den Anfang des 5. Jahrh. allmählich von den nachrückenden S. (Polaben, Polen oder Lechen, Sorben) besetzt worden ist. In Böhmen und Mähren müssen, nach dem Verschwinden der Markomannen daselbst, die tschechischen S., die mit der allmählichen Wanderung der S. nach W. zwischen 200 und 400 wohl bereits bis an das Riesengebirge und die Sudeten gekommen waren, in der zweiten Hälfte des 5. Jahrh. eingewandert sein. Über die Zeit der Wanderungen der S. aus der Urheimat nach SW. und Süden sind die Ansichten sehr geteilt. Sichere historische Zeugnisse über die S. nach Ptolemäus haben wir erst bei Procopius (namentlich in »De bello Gothico«) und bei Jordanis (»De rebus Gethicis«).[539] Beide kennen die S. als bereits am nördlichen Ufer der untern Donau ansässig und sind zugleich die letzten, welche die S. als Gesamtvolk bezeichnen, und zwar Jordanis als Winidae, Prokop mit dem sonst nicht vorkommenden Namen »Sporen«. Beide unterscheiden außerdem zwei slawische Hauptvölker, Sklawenen und Anten. Die Wohnsitze der Sklawenen reichten nach Jordanis nördlich von der untern Donau und östlich von den Karpathen bis an den Dnjestr, die der Anten vom Dnjestr bis an den Dnjepr. Wann die S. bis an die untere Donau gekommen sind, ist sehr schwer festzustellen. In der zweiten Hälfte des 6. Jahrh. begann ein slawischer Stamm (die heutigen Slowenen) nach dem Abzug der Langobarden (568) von der Donau aus über Pannonien, Noricum und Karnien sich auszubreiten. 595 geschieht die erste Erwähnung dieser Slowenen als im Kampfe mit den Bayern im Pustertal. Anfang des 7. Jahrh. siedelten die S. auch über die Donau nach Mösien, Thrakien und Mazedonien über, wohin sie bereits früher zahlreiche Einfälle gemacht hatten. Von den 678 über die untere Donau in Mösien einfallenden (finnischen) Bulgaren unterjocht, verschmolzen sie im Laufe der Zeit mit diesen zu einem Volke, das jetzt Bulgaren genannt wird, der Sprache nach jedoch rein slawisch ist. Außerdem zogen im Anfang des 7. Jahrh. S. nach Dalmatien und Illyricum, zuerst die Kroaten (Chorwaten), etwas später die Serben. Die zahlreichen, in der Urheimat jenseit der Karpathen zurückgebliebenen Slawenstämme breiteten sich allmählich nach N. und O. aus und erhielten später nach den 859 aus Skandinavien dahin kommenden und nach und nach die slawischen, zum Teil auch finnische Völkerschaften unter ihrer Herrschaft vereinigenden Warägern aus dem Stamme der Ruś den Gesamtnamen Russen. Hinsichtlich der weitern Geschichte der einzelnen slawischen Völker s. die betreffenden Einzelartikel. Im europäischen Völkerkonzert nehmen die S. eine von den Romanen und Germanen abgesonderte, darum aber nicht weniger bedeutende Stellung ein. Da sie kein Bürgertum, kein Städtewesen aus sich heraus entwickelten, blieben sie auch neben den andern beiden indogermanischen Hauptstämmen in bezug auf Gewerbe und Handel, Künste und Wissenschaften bis in die neueste Zeit zurück; sie waren, da ihnen die Vermittelung zwischen Herr und Bauer fehlte, einseitig, und lange Zeit konnten die S. ohne fremde Hilfe, ohne Anregung von außen (Byzantiner, Deutsche) auf dem Gebiete der Kulturentwickelung nichts leisten. Während sie vielfache Fertigkeiten, große Gewandtheit, Anstelligkeit zeigen, vermissen wir bei ihnen bis in die neuere Zeit große und originale Kulturleistungen, die auf die Westeuropäer eingewirkt hätten, in der Wissenschaft, in der Kunst wie in den Gewerben. Die S., von denen noch acht Zehntel Bauern (bis 1861 zumeist Leibeigne) sind, traten als die letzten in die europäische Kulturentwickelung ein. Politisch gelangen sie gegenwärtig durch Rußland mehr zur Geltung, neben dem außer Montenegro auch Serbien und Bulgarien seit 1878 wieder zu selbständigen Staaten geworden sind, während die übrigen S. zu Österreich-Ungarn, wo sie 45,96 Proz. der Gesamtbevölkerung ausmachen, zum Deutschen Reiche (6,44 Proz. der Gesamtbevölkerung, namentlich Preußen [10 Proz.]) und zur Türkei (Mazedonien) gehören. Die Gesamtzahl der S. dürfte zurzeit mindestens 130 Millionen betragen; hinsichtlich ihrer Anzahl und Verteilung in den einzelnen Ländern vgl. die Spezialartikel.
Die Russen, Bulgaren und Serben gehören fast ausschließlich der griechisch-katholischen, die Kroaten, Slowenen, Tschechen und Polen der römisch-katholischen Kirche an. Von den Sorben (Wenden) sind über 9/10 Protestanten und fast 1/10 römische Katholiken. Nicht ganz 1 Proz. der S. sind Mohammedaner, nämlich etwas über 1/2 Mill. Serben und fast 1/2 Mill. Bulgaren. Vgl. Šafařík, Slawische Altertümer (tschech., Prag 1837, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 18451844, 2 Bde.); Zeuß, Die Deutschen und die Nachbarstämme (Münch. 1837); Palacký, Geschichte von Böhmen (3. Aufl., Prag 187678, 5 Bde.); Dudik, Mährens allgemeine Geschichte (Brünn 18601889, Bd. 112); L. Giesebrecht, Wendische Geschichten (Berl. 1843, 3 Bde.); H. Jireček, Entstehen christlicher Reiche im Gebiet des heutigen österreichischen Kaiserstaats (2. Ausg., Wien 1870); Leger, Le monde slave (2. Aufl., Par. 1897; zweite Serie 1902); Rittich, Die Slawenwelt (russ., Warsch. 1885); Krauß, Sitte und Brauch der Südslawen (Wien 1885) und andre Schriften des Verfassers (s. Krauß 5); Buschan, Germanen und S. (Münst. 1890); Hellwald, Die Welt der S. (Berl. 1890); Niederle, Über den Ursprung der S. (tschech., Prag 1896) und Slawische Altertümer (tschech., das. 1902); Tetzner, Die S. in Deutschland (Braunschw. 1902).
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