Henriette Anna, Herzogin von Orleans

[247] Henriette Anna, Herzogin von Orleans von England. Herzogin von Orleans, war die Tochter Karl's I. und Henriette's von Frankreich. Sie wurde den 16. Juni 1644 zu Exeter geboren, wohin sich ihre Mutter begeben hatte, um den blutigen Bürgerkriegen und Verwirrungen, die England verheerten, zu entgehen. Noch zählte Henriette nicht siebenzehn Tage, als die Königin nach Frankreich flüchtete, und sie unter dem Schutze ihrer Erzieherin, der Gräfin Morton, zurückließ, der es erst nach zwei Jahren gelang, sie den Rebellen zu entführen, und sie in die Arme ihrer Mutter zu bringen. Nachdem diese unglückliche Königin das beklagenswerthe Ende ihres Gemahles erfahren hatte, zog sie sich in das Kloster zu Chaillot zurück, wo sie sich, aller Erdengröße entsagend, einzig mit der Erziehung ihrer Tochter beschäftigte. Henriette war frühe durch ein unglückliches Schicksal gereist; sie hielt in der Tiefe ihrer Seele an den edlen Gesinnungen fest, die ihrer hohen Geburt angemessen waren, während ihre Erziehung, die sie auch andern Klassen der menschlichen Gesellschaft näher brachte, jene Leutseligkeit und Anmuth ausbildete, die sie zu einer der liebenswürdigsten Fürstinnen erhoben, von denen je Frankreichs Thron umgeben war. Einige Zeit schienen Anna von Oestreich und die Königin von England eine Vermählung Ludwig's XIV. mit Henrietten zu wünschen; allein der König verwarf den Plan wegen Henriette's großer Jugend. Wenige Monate nach dem Abschlusse des pyrenäischen Friedens warb die Königin Mutter um ihre Hand für Philipp, Herzog von Orleans, des Königs Bruder. Die Vermählung wurde den 31. März 1661 ohne alle Pracht in der Kapelle des Palais royal vollzogen. – Bis jetzt hatte Henriette fast ausschließlich in der Nähe ihrer[247] königlichen Mutter gelebt, die nur einen kleinen Kreis um sich zu versammeln pflegte; um so mehr überraschte die junge Herzogin die Welt durch die Anmuth eines gebildeten Geistes und den unwiderstehlichen Zauber ihrer Unterhaltung. Die größte Leutseligkeit, der Reiz der ersten Jugendblüthe, durch die liebenswürdigste Munterkeit belebt, erhoben sie zur schönsten Zierde am glänzenden Hofe Ludwig's XIV. und riefen das Andenken an ihre Aeltermutter, die interessante Maria Stuart, zurück. Aber wenn auch diese ausgezeichneten Eigenschaften ihr alle Herzen gewannen, so war sie nicht minder von den Gefahren umgeben, welche jenen zur Seite stehen, wenn sie nicht durch Vernunft und Erfahrung geleitet werden. In den höhern Ständen der Gesellschaft herrschte damals jene Mode kalter Liebeshändel, mit denen alle Romane und mittelmäßigen Dichtungen der damaligen Zeit angefüllt sind. Dieser allgemeinen Ursache muß größtentheils Henrietten's Verhältniß mit dem Grafen von Guiche zugeschrieben werden, der einer der schönsten und beliebtesten jungen Männer des Hofes war, und sich darin gefiel, in Stil und Sprache die Helden nachzuahmen, die in Calprenide's und Scudery's Dichtungen sich eines so großen Beifalls erfreuten. Beim Herzoge von Orleans stand Guiche besonders in Gnaden, der ihn seiner jungen Gemahlin mit der Bitte vorstellte, ihm ihr Wohlwollen zu schenken und in ihre vertrauteren Kreise aufzunehmen. Die Verehrung, die der Graf für die Fürstin empfand, verwandelte sich bald in ein zärtlicheres, wenn auch minder ehrerbietiges Gefühl. Bei Henrietten wurde er durch eine ihrer Hofdamen, das Fräulein von Montalais, unterstützt, die bald bemerkt hatte, was in des Grafen Seele vorging. Anfangs zeigte sie ihrer Herrin Briefe, die der Graf ihr anvertraut hatte; diese weigerte sich sie zu lesen, aber endlich wurde ihr Widerstand durch die Bitten des Fräuleins besiegt; sie erlaubte ihr, Guiche zu antworten, bald schrieb sie ihm selbst, und wurde von dem unmäßigen Wunsche zu gefallen so weit hingerissen, daß sie dem Grafen mehrere geheime[248] Zusammenkünfte gestattete. Als der Herzog eine Ahnung hiervon bekam, bat er den König um Guiche's Entfernung vom Hofe, dem auch sogleich der Befehl ertheilt wurde, sich nach Polen zu begeben, während seine Gönnerin, Frl. von Montalais, ihrer Dienste entlassen wurde. Mehr läßt sich mit Zuverlässigkeit nicht über diese Intrigue auffinden, und wir sind nicht ungeneigt, Henrietten mehr leichten Sinn und Unbedachtsamkeit, als Leichtsinn zuzuschreiben. Kurze Zeit nach ihrer Vermählung begab sich der Herzog mit seiner Gemahlin nach Fontainebleau, wo der Hof versammelt war. Hier eigentlich lernte Ludwig XIV. Henrietten's seltene Verdienste schätzen, und bereute vielleicht, sie nicht zur Theilnehmerin seines Thrones erhoben zu haben. Bezauberte ihn die Gesellschaft seiner Schwägerin, so blieb auch sie nicht unempfindlich gegen eine Auszeichnung, die ihrer Eigenliebe sowohl, als ihrer Eitelkeit schmeichelte. Doch es nahte der Zeitpunkt, wo des Königs Leidenschaft für das Fräulein von la Vallière jede andere aus seinem Herzen verbannen sollte, und nur ungern gestehen wir ein, daß es Henriette nicht unter ihrer Würde fand, die glücklichere Nebenbuhlerin durch alle mögliche Hofintriguen zu verfolgen (siehe la Vallière), durch welche sie jedoch den König nur immer mehr von sich entfernte. Während ihr äußeres Leben auf diese Art bewegt wurde, fand sie auch im Innern ihres Hauses nicht Ruhe und Zufriedenheit. Mit allen jenen liebenswürdigen Eigenschaften begabt, die einen Gatten dauernd fesseln können, gelang es ihr doch nicht, sich des Herzogs Liebe zu gewinnen. In der Gunst dieses Prinzen war dem Grafen von Guiche der Ritter von Lothringen gefolgt, von dem er sich unumschränkt beherrschen ließ. Schon oft hatte Henriette laut ihren Unwillen darüber geäußert; da alle Klagen fruchtlos blieben, nahm sie ihre Zuflucht zum Könige, der den Bitten seiner Schwägerin nachgab, und den Ritter vom Hofe verwies. Auf das Aeußerste hierdurch erbittert, trug der Herzog seinen ganzen Groll auf Henrietten über, die er mit Klagen und Vorwürfen[249] überhäufte, und selbst die nicht schonte, die ihre Vertheidigung zu ergreifen suchten. Des Königs Ungnade und Kälte gegen seine Schwägerin dauerte fort, bis ein wichtiges politisches Interesse ihn derselben wieder näher brachte. Es war im Jahr 1670, als Ludwig XIV. die besten Mittel zu Hollands Verderben ersann und überlegte; kein anderes schien ihm günstig, als wenn er Karl II. bereden könnte, sich von der Triple-Allianz, die England und Schweden mit Holland verband, loszusagen. Eine Gesandtschaft war schon nach London abgegangen, die sich zwar der ehrenvollsten Aufnahme erfreute, aber keinen Beschluß zu Wege brachte. Der König kannte das gute und vertrauliche Verhältniß, in dem Henriette mit ihren Bruder stand und glaubte daher, durch ihre Vermittelung am leichtesten das Ziel seiner Wünsche zu erreichen; somit näherte er sich der Herzogin und theilte ihr seine Plane mit. Gern übernahm diese einen Auftrag, dessen Wichtigkeit ihr schmeichelte. Nachdem alle nöthigen Vorbereitungen getroffen waren, kündigte man unter dem Vorwande eine Reise nach Flandern an, der Königin die Städte zu zeigen, die zu ihrem Erbe gehörten und die Ludwig XIV. mit Frankreich vereinigt hatte. Als der Hof Calais erreicht hatte, begab sich Henriette nach Dover, um, so sagte man, ihrem Bruder zu besuchen, der sich gleichfalls dort eingefunden hatte. Nach kaum zehntägiger Abwesenheit kehrte sie nach Frankreich zurück, und hielt einen Vertrag in Händen, von dem das Schicksal mehrerer Staaten abhing. »Das Vertrauen zweier so großer Monarchen,« sagt Bossuet, »erhoben sie auf die höchste Stufe der Größe und des Ruhmes,« als ihrem Leben plötzlich das Ziel gesteckt wurde. Den 29. Juni 1670 widerhallt in Holland aus Aller Munde der Ruf: die Herzogin stirbt, Madame ist todt! Die Fürstin klagte über Seitenstechen und heftige Schmerzen im Magen, die trotz aller angewandten Mittel nicht weichen wollten, sondern sich immer vermehrten. Henriette wiederholte stets, sie sei vergiftet und ihr Zustand gefährlicher, als man glaube, worauf [250] ihr Gegengift gereicht wurde. Sie umarmte ihren Gemahl, der vor ihrem Bette stand und sagte mit sanfter Stimme: »Ach, schon lange bin ich nicht mehr der Gegenstand Ihrer Liebe; aber Sie waren ungerecht gegen mich, nie habe ich mich gegen Sie vergangen.« Als Ludwig XIV. hiervon benachrichtigt wurde, eilte er gegen Mitternacht von Versailles nach Paris, und nachdem er sich mit den Aerzten besprochen hatte, die jetzt der Herzogin Zustand für gefährlich erklärten, nahm er mit Thränen im Auge von seiner Schwägerin Abschied und zog sich in der größten Verwirrung zurück. Bald darauf erschien der Pfarrer von St. Cloud; Henriette beichtete in Gegenwart ihrer Kammerfrau und vollendete gegen drei Uhr Morgens im kaum erreichten 26. Lebensjahre. Das plötzliche Hinscheiden dieser Fürstin erregte eine allgemeine, schwer zu schildernde Bestürzung und Gerüchte aller Art; noch jetzt fragen wir uns sinnend, welches die Ursache davon hat sein können? – Es würdegewagt sein, diese zweifelhafte Frage, die mehr der geheimen Geschichte des französischen Hofes angehört, lösen zu wollen: doch mögen einige Vermuthungen hier eine geeignete Stelle finden. Die Aerzte, die in Gegenwart der englischen Gesandten den Leichnam öffneten, erklärten der Fürstin Tod für einen natürlichen; dasselbe Zeugniß legt Vallot, des Königs Leibarzt, in einer schriftlichen Erklärung ab. Die meisten englischen und französischen Schriftsteller pflichten gleichfalls dieser Meinung bei. Auf der andern Seite hatte Frankreich noch ein großes politisches Interesse, auch den leisesten Schein einer Vergiftung zu vermeiden; man fürchtete in Versailles einen Bruch mit Karl II., und daher wäre es möglich, daß politische Absichten Einfluß auf die ärztlichen Berichte gehabt hätten. Aber wenn das Verbrechen wahr ist, wen darf man als dessen Thäter nennen? Es liefen im Volke Gerüchte um, die den Ruf einer erhabenen Person gefährdeten, Andere schreiben dem verwiesenen Ritter von Lothringen die abscheuliche That zu, der damals in Rom[251] lebte, wo er dem Ende seiner Verbannung mit Ungeduld entgegen sah. Dasselbe erklärt Voltaire für ein Volksmährchen. Frau von Lafayette hat die Lebensgeschichte Henrietten's geschrieben, doch scheint sie nur da treue Biographin zu sein, wo es sich um die Einzelnheiten der letzten Krankheit handelt; sie verließ die Herzogin nicht einen Augenblick und erstattet über Alles, was vorging, die ausführlichsten Berichte. Bossuet hielt den 21. August 1670 Henrietten eine Leichenrede, die als Muster aller Kanzelberedsamkeit betrachtet werden kann.

E. v. E.

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Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 247-252.
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